Bundeskabinett billigt Entwurf für Gendiagnostikgesetz
29.08.2008 -
Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms entdecken Wissenschaftler immer mehr Zusammenhänge zwischen Genen und Krankheiten. Allerdings sind diese weitaus komplexer als gedacht. Vor diesem Hintergrund sind Gentests ein heikles Thema und seit langem auf der poltischen Agenda. Mit einen Gendiagnostik-Gesetz soll der Umgang mit Genomdaten nun genau geregelt werden. Dafür hat das Bundeskabinett am 27. August den Entwurf aus dem Gesundheitsministerium gebilligt. „Das Gendiagnostik-Gesetz schützt den Menschen vor dem Missbrauch seiner genetischen Daten“, erklärte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Läuft alles nach Plan, soll das Gesetz noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden.
Für die Wissenschaft ist die Genomforschung eines der dynamischsten Forschungsfelder. Insbesondere in den letzten Jahren wird dank immer besserer Technologien eine regelrechte Wissensexplosion verzeichnet. Dies hat zuletzt auch der Weltkongress der Genetik verdeutlicht, der Mitte Juli in Berlin stattfand (mehr...). Um diese Entwicklung im Sinne eines Missbrauch-Schutzes als Gesetzgeber zu begleiten, wird schon seit Jahren an einem Gendiagnostik-Gesetz gearbeitet. Nun hat das Kabinett den vom Bundesgesundheitsministerium vorlegten Entwurf gebilligt, um ein Gesetz noch in dieser Wahlperiode auf den Weg zu bringen.
Mitte Juli traf sich die Weltelite der Genomforschung in Berlin. biotechnologie.de hat ausführlich berichtet: Teil I: Eliteforschung zu Gast in Berlin |
Blick ins Genom als persönliche Entscheidung
„Niemand darf wegen seiner oder der genetischen Eigenschaften einer genetisch verwandten Person, wegen der Vornahme oder Nichtvornahme einer genetischen Untersuchung oder Analyse bei sich oder einer genetisch verwandten Person oder wegen des Ergebnisses einer solchen Untersuchung oder Analyse benachteiligt werden.“ Dies ist einer der zentralen Sätze im derzeitigen Gesetzentwurf. So soll verhindert werden, dass etwa Versicherungen oder Arbeitgeber Kenntnis über genetische Informationen erlangen. Jeder darf demnach zudem selbst entscheiden, ob er einen Gentest machen will oder nicht. Bei sehr hohen Versicherungssummen von mehr als 300.000 Euro dürfen Versicherungen indes einen Gentest verlangen – eine Regelung, die sich an der bereits bestehenden Selbstverpflichtungserklärung der Versicherungsunternehmen orientiert, nur bei Vertragsabschlüssen bis zu einer Summe von 250.000 Euro keine Informationen aus Gentests zu nutzen. Aus der Sicht von Lilo Blunck, Geschäftsführerin beim Bund der Versicherten, ist die nun getroffene Regelung zu nah an der Versicherungswirtschaft: „Wenn der Gesetzgeber nicht doch noch dazu übergeht, den Versicherungsunternehmen jeden Zugriff auf Gentests vollständig zu verbieten, ist das ein Skandal“, sagte sie gegenüber Focus Online.
Im Netz gefunden... |
bei der Süddeutsche Zeitung: hier klicken bei Focus Online: hier klicken bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: hier klicken |
Hohe Hürden für Arbeitgeber
Bei Arbeitgebern will das Gendiagnostik-Gesetz ebenfalls hohe Hürden für die Weitergabe von Genomdaten ansetzen. Chefs ist grundsätzlich verboten, Gentests zu verlangen, zu erfragen, entgegenzunehmen oder zu verwenden. Allerdings sind Gentests für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen „unter engen Voraussetzungen“ zugelassen. Noch ist unklar, was genau darunter zu verstehen ist. Doch Experten gehen von strengen Regeln aus.
Ein weiterer Schwerpunkt im Gesetz wird dem Arzt als wichtigste Anlaufstation für Gentests eingeräumt. Nur sie dürfen künftig medizinische Gentests anbieten, darüber hinaus sind sie zu einem Aufklärungsgespräch verpflichtet. Auf diese Weise will der Gesetzgeber Patienten vor unseriösen Angeboten schützen. In einem solchen Gespräch soll beispielsweise auch über die Grenzen von Gentests informiert werden.
Stellungnahmen zum Gesetzentwurf |
Bundesärztekammer: hier klicken BioDeutschland: hier klicken Verband der Diagnostica-Industrie e.V.: hier klicken |
Gentest lohnt für viele Krankheiten nicht
Für viele Krankheiten lohnt sich nämlich der Blick in die Gene bislang kaum. „Über den Beitrag genetischer Faktoren zu den großen Volkskrankheiten haben wir derzeit noch recht dürftige Erkenntnisse“, hatte Humangenetiker Jörg Schmidtke von der Medizinischen Hochschule Hannover bereits im September 2007 bei der Veröffentlichung des BBAW-Berichts „Gendiagnostik in Deutschland“ betont (mehr...) Und auch die wissenschaftliche Elite der Genomforscher auf dem Weltkongress der Genetik kürzlich in Berlin übte eher Zurückhaltung. „Krankheitsrisiken aus Genomdaten abzuleiten, ist heutzutage noch in einem sehr frühen Stadium", sagte Rudi Balling, Leiter des Helmholtz-Zentrums für Infektionssforschung. Ähnlich vorsichtig gab sich Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Aus ihrer Sicht sollten in die Gendiagnostik nicht zu hohe Erwartungen gesetzt werden. Welchen Lebenswandel ein Patient pflegt, welche Krankheiten in der Familie vorkommen – dies sei auch heute noch ein besseres Indiz für die Entwicklung von Krankheiten als der alleinige Blick in die Gene, meinte sie (mehr...).
Ein Gentest liefert nur Krankheits-Wahrscheinlichkeiten. Ob eine Krankheit also wirklich ausbricht, steht auf einem anderen Blatt. Für sehr wenige Krankheiten gibt es zudem überhaupt einzelne Gene, die als Auslöser exakt bestimmt werden können – dazu zählt beispielsweise Chorea Hungtinton. In jedem Fall muss der Patient mit einer Unsicherheit leben oder damit, dass zwar ein Krankheitsrisiko entdeckt wird, aber keine entsprechende Therapie zur Verfügung steht. Nicht zuletzt aus diesem Grund will die Regierung jeder Person zu einem Vorgespräch verpflichten sowie ein Recht auf Nichtwissen zugestehen.
Das nationale Genomforschungsnetz (NGFN) hat sich zum Ziel gesetzt, die Funktion der Gene aufzuklären. Dafür arbeiten hunderte Arbeitsgruppen in ganz Deutschland zusammen. |
Kritik: Reichweite des Gesetzes zu klein
Kritisch beurteilen Humangenetiker indes die strengen Vorgaben zum Umgang mit Gewebe- und Blutproben von Patienten. Diese müssen künftig vernichtet werden, wenn der Patient sie nicht für die Forschung freigibt. Bislang können Labore die Proben auch über den Tod hinaus aufbewahren. „Gerade die Frage, woran Verwandte gestorben sind, kann für Nachfahren wichtig sein, um zu wissen, ob sie erblich belastet sind“, sagte Peter Propping, Sprecher des Zentrums für erblichen Darmkrebs am Universitätsklinikum Bonn der Süddeutschen Zeitung.
Auch von Seiten der Bundesärztekammer kam Kritik, wenngleich das Gesetz grundsätzlich begrüßt wird. "Problematisch ist aus Sicht der Ärzteschaft, dass die Reichweite des Gesetzes auf die genetische Diagnostik beschränkt bleibt", erklärte Bundesärztekammer-Präsident Jörg Dietrich Hoppe. "Wir wünschen uns eine Ausweitung auch auf die virologische Diagnostik - etwa bei HIV- oder Hepatitis-Infektionen." Auch hier müsse ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen werden, denn auch hier stelle der prognostische Charakter für den Patienten eine enorme psychische Herausforderung dar. „Dieser genetische Exzeptionalismus stellt eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar“, hatte es zudem bereits in der Stellungnahme der Ärztekammer zum Gesetzesentwurf geheißen.
Der Unternehmensverband BioDeutschland hatte bereits im Juli seine Kritik am Gesetzesentwurf geäußert. „Genetische Analysen, die den Körper und die Gesundheit betreffen, sind nicht automatisch genetische Analysen zu medizinischen Zwecken. Jeder Mensch sollte die Freiheit behalten, in Deutschland genetische Tests zu persönlichen Zwecken, das heißt zum Beispiel um seine Lebensführung zu planen, bei qualifizierten Laboratorien eigenverantwortlich beauftragen zu können“, heißt es in der Stellungnahme.
Bundesgesundheitsministerium |
Gesetzesentwurf: PDF-Download Eckpunktepapier: PDF-Download Fragen und Antworten: PDF-Download Web: hier klicken |
Ungeregelt bleiben Genanalysen zu Forschungszwecken und PID
Nachwievor ungeregelt bleiben genetische Untersuchungen und ihrer Daten, die im Rahmen von Forschungsvorhaben getätigt werden. Pharmakogenetische Tests, die Aussagen über die Verträglichkeit, Wirksamkeit oder das Ansprechen auf zugelassene Arzneimittel ermöglichen, fallen weiterhin in den Regelungsbereich der Arzneimittelzulassungsbehörden. Auch blutdiagnostische Tests, etwa zur HLA-Typisierung, sollen wie bisher gehandhabt werden, auch für Biobanken gibt es keine neuen Regelungen. Unberührt vom Gesetz bleibt auch die Präimplantationsdiagnostik.