Weltkongress der Genetik (III): Wissensexplosion durch neue Technologien
18.07.2008 -
Wie kaum ein anderes Feld ist die Genomforschung vom Fortschritt ihrer Technologien abhängig. Gerade in den letzten zehn Jahren haben technische Durchbrüche für eine regelrechte Wissensexplosion gesorgt. Insbesondere die erst seit zwei Jahren auf dem Markt befindlichen neuen DNA-Sequenzer wirbeln die Welt der Genetik ordentlich durcheinander. So geht das Lesen im Erbgut inzwischen nicht nur um ein Vielfaches schneller als früher, es wird auch immer billiger und fördert immer mehr Details zutage, an die zuvor gar nicht zu denken war. Erst dadurch war es unter anderem möglich, ganz neue Molekülklassen wie die microRNAs überhaupt aufzuspüren. Davon profitieren auch ganz junge Forschungsrichtungen, etwa die synthetische Biologie.
Technologische Durchbrüche eröffnen den Genetikern einen immer tieferen Blick in die menschlichen Gene. Damit können die Forscher jetzt auch die Faktoren identifizieren, die bestimmen, ob die in den Erbanlagen festgeschriebenen Möglichkeiten auch tatsächlich ausgeprägt werden. „Die Wissensexplosion geht mit der Markteinführung völlig neuartiger DNA-Sequenzer vor zwei Jahren einher, die das Lesen im Erbgut um ein Vielfaches beschleunigt und verbilligt haben", berichtete Eric Lander, Chef des US-amerkinaischen Broad-Institutes, dem weltgrößen Zentrum zur Entzifferung von DNA-Sequenzen, auf dem Weltkongress der Genetik in Berlin. Was das bedeutet, machte er schnell klar: Kostete es mit klassischen Verfahren etwa 300 Mio. US-$, die DNA-Abfolge des menschlichen Erbgutes zu entziffern und brauchte mehr als ein Jahrzehnt, so meldete eine US-Firma in diesem Jahr, es in einem Monat zu einem Preis von weniger als 80.000 Dollar geschafft zu haben. „Vor der Entzifferung des Humangenoms kannten wir 70 Krankheitsgene“, sagte Lander in Berlin, „heute kennen wir 2600.“ Insbesondere seit dem vergangenen Jahr sei die Zahl der Krankheitsgene regelrecht explodiert, so der Experte. Dies führt Lander auf die sogenannten Next-Generation-DNA-Sequencer zurück. Sie ermöglichen einen immer schnelleren Vergleich der Gene („Genotyping“), deren Aktivität („Transcriptomics“) und deren Feinregulierung („DNA-Methylierung“) in Kranken und Gesunden.
biotechnologie.de hat bereits umfangreich über den Weltkongress der Genetik berichtet: Teil II: Genomforscher üben sich in Zurückhaltung |
Welche Einflüsse lassen tatsächlich Krankheiten entstehen?
Auch einer der Miterfinder solch leistungsstarker Techniken, die heute durch Firmen wie Roche, Applied Biosystems oder Illumina vermarktet werden, war in Berlin vor Ort: George Church. „Entscheidend wird es sein, dass es uns gelingt, die genetische Information besser mit den Eigenschaften in Zusammenhang zu bringen, die unter bestimmten Umweltbedingungen tatsächlich auftreten“, erklärte der Harvard-Professor in Berlin. Bereits im letzen Jahr hat er dazu das Personal Genome Project gestartet. Darin stellen rund 100.000 Freiwillige ihre DNA sowie Daten über ihren Gesundheitszustand, frühere Krankheiten und ihre Lebensweise zur Verfügung. In den Daten sucht der Gründer von gut zwei Dutzend Biotechfirmen nach Kombinationen von Genen und Umwelteinflüssen, die die Entstehung von Krankheiten begünstigen.
Die neuen Sequencer leisten jedoch wesentlich mehr als einfach nur DNA-Sequenzen abzulesen und zu vergleichen. "Mit Hilfe sogenannter Tag-basierter Verfahren lässt sich mit den Geräten viel exakter als bisher bestimmen, wie stark Gene und regulatorische DNA-Bereiche tatsächlich abgelesen werden", erklärte Sean Grimmond von der University of Queensland (Australien) in Berlin. Dies eröffne das Auffinden sogenannter Biomarker, mit deren Hilfe sich zum Beispiel Krankheiten oder Arzneimittelwirkungen charakterisieren lassen.
Wenn der Müll plötzlich an Bedeutung gewinnt
Immer interessanter wird aber auch der Bereich des menschlichen Genoms, der früher abschätzig als Müll - nämlich junkDNA - bezeichnet wurde. Wie Ewan Birney vom britischen Sanger Institute in Hinxton in Berlin berichtete, wird auch 90 Prozent dieses Bereichs abgelesen, obwohl darauf keine Baupläne für Eiweiße abgespeichert sind. Stattdessen lassen sich dort aber jede Menge regulatorische Elemente finden, die - so stellt sich zumindest heraus - anscheinend eine wichtige Rolle bei der Ausprägung bestimmter Eigenschaften spielen. So untersucht etwa ein Forscherteam im Rahmen des ENCODE-Projektes die Rolle von microRNAs - einer neuen Molekülklasse, die erst durch die Verfügbarkeit heutiger Technologien überhaupt entdeckt wurden.
Neben den neuen Sequenzern spielen auch Biochips, mit deren Hilfe sich winzige Variationen im Erbgut(sogenannte Punktmutationen oder SNPs) erkennen lassen, eine große Rolle beim Auffinden genetischer Krankheitsveranlagungen. „Im vergangenen Jahr kannten wir 12 DNA-Abschnitte, die mit der Darmkrankheit Morbus Crohn in Zusammenhang stehen“, erläuterte Stefan Schreiber von der Universität Kiel, der mit den Chips nach krankheitsrelevanten Genabschnitten fahndet (mehr...). „Heute kennen wir 31“, beschreibt der Forscher den Wissenssprung in Berlin. Broad-Chef Lander vermutet zudem, dass noch weitere 30 für die unheilbare Darmentzündung aufgespürt werden.
Neue Impulse für synthetische Biologie
Dass die neuen Einblicke in das menschliche Genom zu völlig neuen Produkten in unterschiedlichsten Bereichen führen wird, davon ist George Church überzeugt. Deshalb hat er kurzerhand drei Firmen mitgegründet, die sich in dem aufstrebenden Feld der synthetischen Biologie bewegen. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis es uns gelingt, den Stoffwechsel von Mikroalgen so umzuprogrammieren, dass wir wirtschaftlich hochwertigen Biodiesel aus Sonnenlicht gewinnen können“, so der Technologiepionier. Auch die vollständig synthetische und damit verunreinigungsfreie Produktion biologischer Arzneimittel sieht Church als vielversprechendes Anwendungsfeld der synthetischen Biologie. Was für die Genetiker möglich sein wird, zeigen Arbeiten von Grundlagenforschern um Christina Smolke vom US-amerikanischen California Institute of Technology. Sie entwickelt eine ganz neue Art intelligenter RNA-basierter Arzneimittel. Wie die Forscherin in Berlin berichtete, sollen diese Präparate nur bei Bedarf therapeutisch wirksam werden: Sie schalten das Ablesen bestimmter Gene nur an, wenn bestimmte krankheitsrelevante Biomarker oder Moleküle in der Zelle vorliegen. Bei Tieren hat dieses Konzept immerhin schon geklappt. Der Nachweis im Menschen steht aber noch aus.