Weltkongress der Genetik (I): Eliteforschung zu Gast in Berlin
14.07.2008 -
Seit 1899 treffen sich Genomforscher alle fünf Jahre, um über neueste Entwicklungen zu diskutieren. Es ist 81 Jahre her, dass dieser Weltkongress der Genetik das letzte Mal in Deutschland stattfand. Nun ist es wieder soweit: Vom 12. bis 17. Juli ist Berlin Gastgeber von rund 2000 Wissenschaftlern, unter ihnen auch sechs Nobelpreisträger. „Die Tagung belegt, dass Deutschland das nach der Nazi-Zeit verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen konnte“, sagte Tagungspräsident Rudi Balling zum Auftakt am 12. Juli. Ob Stammzellforschung, Pflanzengenetik oder mikrobielle Genomforschung – mit insgesamt 280 Referenten, zehn Plenarvorträgen, 54 Symposien und 1400 Postern deckt der 20. Weltkongress die ganze Bandbreite der modernen Genetik ab.
Der Weltkongress für Genetik kommt zu einer Zeit, in der die Forschung auf diesem Gebiet fast täglich neue Schlagzeilen produziert. So sind Aufwand und Kosten für die Sequenzierung einzelner Genome inzwischen derart gesunken, dass eine Reihe von Forschern bereits ihre eigenen Genome entschlüsseln lassen (mehr...). Und auch in der Stammzellforschung schreiten die Erkennisse so voran, dass therapeutische Anwendungen längst nicht mehr nur als kühne Vision angesehen werden (mehr...).
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Auf dem Kongress stehen medizinische Anwendungen jedoch im Hintergrund, es ist ein Treffen der besten Grundlagenforscher der Welt. Insgesamt sechs Nobelpreisträger – Christiane Nüsslein-Volhard, Eric Wieschhaus, Oliver Smithies, Mario Capecchi, Richard Axel, Phillip Sharp – geben sich dieses Mal die Ehre. Hinzukommen viele weitere renommierte Wissenschaftler. Vor allem jungen Forschern soll durch Konferenzen wie diese der Kontakt zu den Großen ihres Fachs ermöglicht werden. Seit 1899 wird der Weltkongress inzwischen veranstaltet, über den Ort entscheidet dabei der Internationale Genetikverband. Erstmals seit 1927 ist es nun wieder Berlin geworden und damit Gastgeber für den 20. Weltkongress dieser Art. "Obwohl es „nur“ um Genetik geht, ist die inhaltliche Bandbreite enorm", betonte Alfred Nordheim, Generalsektretär des Kongresses und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Genetik (GfG), die den Kongress organisiert. Pflanzenforschung werde ebenso thematisiert wie Stammzellforschung, Krankheitsgenetik oder die noch jungen Gebiete der RNA-Forschung, der Epigenetik sowie der synthetischen Biologie.
Wissenschaftler plädieren zur Vorsicht im Umgang mit Genomdaten
Insgesamt wollen die Genetiker ihr Fach jedoch nicht überbewertet wissen. „Wir sammeln zwar immer mehr, immer schneller und immer detailliertere Informationen über das Genom, aber Information bedeutet nicht gleich Wissen“, mahnte etwa Rudi Balling, Leiter des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig und Kongresspräsident in Berlin, zur Vorsicht. Krankheitsrisiken aus Genomdaten abzuleiten sei heutzutage noch in einem sehr frühen Stadium, so Balling. Auch Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard hält die Genetik oft für überbewertet. „Ohne Frage sind Gene wichtig, aber die Umwelt hat auf viele Entwicklungen einen größeren Einfluss“, sagte sie. Aus ihrer Sicht sollten in die Gendiagnostik deshalb nicht zu hohe Erwartungen gesetzt werden. Welchen Lebenswandel ein Patient pflegt, welche Krankheiten in der Familie vorkommen – dies sei auch heute noch ein besseres Indiz für die Entwicklung von Krankheiten als der alleinige Blick in die Gene. Gleichzeitig sprach sich die Nobelpreisträgerin für eine Zulassung der bislang in Deutschland verbotenen Präimplantationsdiagnostik aus, wobei jeder einzelne Fall begutachtet werden sollte. „Solchen Techniken könnten helfen, dass mehr gesunde Babies zur Welt kommen“, sagte sie.
Das nationale Genomforschungsnetz (NGFN) hat sich zum Ziel gesetzt, die Funktion der Gene aufzuklären. Dafür arbeiten hunderte Arbeitsgruppen in ganz Deutschland zusammen. News: Therapien im Visier - 125 Millionen Euro für medizinische Genomforschung Web: www.ngfn.de |
Auftaktveranstaltung: Erfinder der Knock-Out-Maus plaudern aus Nähkästchen
Berlin als Tagungsort der Genetik ist für viele ausländische Besucher etwas ganz besonderes. „Ich war das letzte Mal noch vor dem Mauerfall hier“, so der britische Wissenschaftler und Nobelpreisträger Oliver Smithies. „Jetzt wieder in der Gedächtniskirche zu stehen, sich daran zu erinnern, das ist sehr bewegend.“ Gemeinsam mit seinem Forscherkollegen Mario Capecchi, der ebenfalls in Berlin anwesend ist, hatte er Mitte der 80er Jahre eine Technik zum gezielten Austauschen von Genen erfunden (homologe Rekombination), (Nature, 1985, Vol. 317, S. 230-234; Cell, 1986, Vol. 44, S. 419-428), die schließlich die Basis zur Entwicklung von Knock-Out-Mäusen legte. Für forschende Biologen und Mediziner sind solche Organismen inzwischen ein unerlässliches Instrument, um die Rolle einzelner Gene in einem lebenden Organismus zu untersuchen.
In ihren Einführungsvorträgen am Samstagabend im Berliner Messezentrum ICC rekapitulierten die beiden Wissenschaftler noch einmal ihre eigene Vergangenheit. „Es war nicht immer so, dass alles sofort geklappt hat“, sagte Capecchi, gebürtiger Italiener. Verunsichern ließ er sich davon aber nie. „Ich war überzeugt, dass unser Weg richtig ist.“ Smithies war sich zudem schon sehr früh der therapeutischen Relevanz seiner Arbeiten bewusst: „Ich wusste, wenn wir Gene austauschen können, dann können wir vielleicht auch defekte Gene reparieren. Heute ist klar, dass Gentherapie, wie ich sie mir vorgestellt habe, viel zu kompliziert und fehleranfällig ist.“ Vom Weltkongress in Berlin erwartet Smithies vor allem eines: „Es gibt Forscher, die können auf einmal von einem enormen Erkenntnissprung berichten, der völlig unerwartet kommt. Ich hoffe sehr, in Berlin wenigsten von einem solchen 'Sprung' zu hören.“
Berlin als Tagungsort mit Geschichte
Für die deutschen Forscher hat Berlin auch einen großen historischen Wert. „Es gab Zeiten, da wollten Genetiker aus aller Welt Berlin nie wieder als Kongressort sehen“, sagte Kongresspräsident Rudi Balling. Seit den Achtzigerjahren habe es jedoch eine schleichende Rehabilitierung der deutschen Genomforschung gegeben, vor allem deutsche Entwicklungsbiologen wie Nüsslein-Volhard haben international für einen guten Ruf gesorgt. Die Wiedervereinigung trug ihr Übriges bei. Vor zehn Jahren hatte Deutschland beim Internationalen Genetikverband (International Genetics Federation), unter dessen Federführung der Weltkongress stattfindet, das erste Mal eine Bewerbung als Austragungsort gewagt. Damals war Konkurrent Australien jedoch haushoch überlegen. In Melbourne 2003 schließlich traten die Deutschen ein zweites Mal an. „Wir haben natürlich mit unserer Geschichte geworben: Schaut Euch Berlin nach der Wiedervereinigung an, schaut Euch an, was die deutsche Wissenschaft inzwischen zu bieten hat“, so Balling. Angesichts der deutschen Gesichte wurde auch ein Themenschwerpunkt Eugenik geplant – das hat schließlich überzeugt.
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Kongresspräsident Rudi Balling im Interview mit der Berliner Zeitung. |
Deutsche Genetiker nehmen Stellung zur Nazi-Zeit
Der 14. Juli ist für die Wissenschaftler unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik denn auch Anlass, um zur damaligen Rolle der Genetiker Stellung zu nehmen. Vor genau 75 Jahren hatten die Nazis das „Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses“ veröffentlicht, das schließlich die Grundlage für die menschenverachtenden Zwangssterilisationen und Euthanasieprogramme bildete. "An der inhaltlichen Vorbereitung und pseudowissenschaftlichen Begründung dieses Gesetzes, sowie an der Ausführung der Zwangsmaßnahmen waren deutsche Ärzte und Wissenschaftler maßgeblich beteiligt. Durch den Missbrauch ihrer wissenschaftlichen Autorität und durch ihre Mitwirkung an der Formulierung und Ausführung des Gesetzes, unter anderem als Gutachter an den „Erbgesundheitsgerichten“, haben auch Humangenetiker schwere Schuld auf sich geladen", heißt es in der am 14. Juli veröffentlichten Stellungnahme. Die Forscher bezeichnen das Gesetz darin als "ein historisches Dokument des Versagens von Wissenschaftlern" und bekennen sich "zur Absage an jede Form von Diskriminierung aufgrund ethnischer Merkmale oder aufgrund von genetisch bedingter Krankheit oder Behinderung."
zur vollständigen Stellungnahme: hier klicken (PDF-Download)