Weltkongress der Genetik (II): Genomforscher üben sich in Zurückhaltung
17.07.2008 -
Für viele Genetiker markierte das Jahr 2001 einen Meilenstein: Nach jahrelanger Sequenzierarbeit wurde erstmals die Zusammensetzung des menschlichen Genoms vorgestellt. Für manch einen schien die größte Arbeit damit getan. Inzwischen ist die Euphorie deutlich abgeebbt. Denn immer mehr stellt sich heraus: Die Arbeit fängt gerade erst an, die Zusammenhänge zwischen Genen und Krankheiten sind weitaus komplizierter als gedacht. Beim 20. Weltkongress der Genetik, der vom 12. bis 17. Juli in Berlin stattfand, übten sich die Genomforscher lieber in Realismus und Zurückhaltung, als falsche Hoffnungen zu wecken.
Die gesamte genetische Information des Menschen befindet sich auf einem zwei Meter langen, dünnen Faden: der Erbsubstanz DNA. Zur Jahrtausendwende konnte das Humane Genomprojekt das Alphabet des Lebens entschlüsseln, also die Abfolge der Basenpaare in der DNA auf ihren einzelnen Chromosomen bestimmen. Die Bedeutung dieser Buchstaben herauszufinden, damit tun sich die Forscher jedoch schwerer als damals gedacht. „Wir unterschätzen die Komplexität des Lebens noch immer massiv“, sagt etwa Rudi Balling, Leiter des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig und derzeit Präsident des Weltkongresses für Genetik in Berlin. 2000 Wissenschaftler diskutierten hier vom 12. bis 17. Juli neueste Trends und Entwicklungen ihres Fachs (mehr...).
Gene gezielt gegen andere austauschen
Viele renommierte Genetiker aus aller Welt gaben sich in der deutschen Hauptstadt die Ehre, alle haben auf ihre Weise zum heutigen Verständnis der Genomforschung beigetragen. Der Brite Oliver Smithies und sein US-amerikanischer Kollege Mario Capecchi - beide waren vor Ort in Berlin - haben beispielsweise eine wichtige Grundlage für gentherapeutische Verfahren gelegt. Ende 1985 hatte der heute an der University of North Carolina beschäftigte Smithies im Fachmagazin Nature (1985, Vol. 317, S. 230-234) belegen können, dass sich kurze ringförmige DNA-Moleküle mit passenden Sequenzen punktgenau in das Erbgut menschlicher Zelllinien einbauen lassen – eine Technik, die unter Fachleuten homologe Rekombination genannt wird und zuvor nur bei Mikroorganismen funktioniert hatte. Im Jahr 1986 erbrachte Capecchi schließlich mit einer Publikation in Cell (1986, Vol. 44, S. 419-428) den Nachweis, ein defektes Gen für Antibiotikaresistenz in Säugerzellen per homologer Rekombination durch eine andere Version ersetzen zu können. Schon damals war Smithies die therapeutische Relevanz dieser Technik bewusst. Doch der Euphorie von damals ist Realismus gewichen. „So wie ich mir Gentherapie damals vorgestellt habe, funktioniert sie nicht. Die vielen fehlgeschlagenen Versuche zeigen, dass die Technik offenbar zu kompliziert ist“, sagt Smithies heute.
Rasterfahndung: Winzige genetische Abweichungen, unter Fachleuten als single nucleotide polymorphisms bekannt, sind auch in Berlin ein wichtiges Thema. Schätzungen zufolge gibt es 11 bis 13 Millionen dieser individuellen Merkmale in jedem menschlichen Genom und Forscher gehen davon aus, dass sie letztlich für die Ausprägung von Krankheiten mit verantwortlich sind. Dank neuer Technologien werden SNPs inzwischen im Hochdurchsatz gescreent. mehr |
An anderer Stelle konnten die beiden Forscher jedoch weiterhelfen. Gemeinsam mit Sir Martin Evans, dem Entdecker der menschlichen embryonalen Stammzellen, ebneten sie den Weg zur Entwicklung von Knock-Out-Mäusen und wurden dafür 2007 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Im Team hatten sich die drei Forscher ein Verfahren ausgedacht, das nicht nur gezielt Gene gegen andere ersetzen kann, sondern auch ganze lebende, fortpflanzungsfähige Mäuse mit gezielt eingebauter genetischer Veränderung entstehen lässt. Solche Tiere sind heute ein klassisches Instrument für Biowissenschaftler, die die Funktion einzelner Gene in einem lebenden Organismus herausfinden wollen. So leitet der deutsche Mausgenetiker Martin Hrabé de Angelis in München beispielsweise eine ganze Klinik solcher Mäuse, die jeweils bestimmte Genveränderungen aufweisen und somit als Modell für menschliche Krankheiten dienen (mehr...).
Einfluss auf Genaktivität vielschichtiger als gedacht
Wer sich bei Genomforschern auf dem Kongress umgehört hat, dem wird vor allem eines klar: Die technologische Entwicklung hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. "Das Tempo der Neuerungen bei Sequenziermethoden hat mich überrascht", sagt Nobelpreisträger Smithies, der selbst am liebsten immer noch mit Stift und Papier arbeitet. Weil die neuen Techniken immer neue Details zutage fördern, nimmt zudem die Komplexität eher zu als ab. Das führt dazu, dass der Zusammenhang zwischen Genen und Krankheiten oft nicht so eindeutig ist, wie noch am Anfang des Genomzeitalters vermutet. Der Weg vom Gen, den darauf abgespeicherten Bauplänen für Eiweiße und deren tatsächlicher Produktion in der Zelle unterliegt viel mehr regulativen Faktoren und Einflüssen als früher angenommen. So kristallisieren sich zum Beispiel winzige Moleküle aus Ribonukleinsäure (microRNA) derzeit als immer wichtigerer - aber noch relativ unverstandener - Spieler heraus (mehr...).
Einen Einfluss auf die Genaktivität haben auch sogenannte epigenetische Veränderungen. Als eine Art chemische Verpackung der DNA sorgen sie etwa dafür, dass spezielle markierte Gene nicht mehr aktiviert werden können und auf diese Weise - in einen unfreiwilligen Schlaf versetzt - ihre Funktion nicht mehr ausüben. Ein ganzer Forschungsbereich – die Epigenetik – beschäftigt sich nur mit der Rolle solcher Vorgänge (mehr...). Inzwischen wurde auch festgestellt, dass diese unter anderem durch Bereiche der DNA beeinflusst werden, die früher als Müll bezeichnet wurden - nur weil auf ihnen keine Baupläne für Eiweiße abgespeichert werden. „Es stellt sich heraus, dass diese ‚junkDNA’ wichtiger ist als gedacht“, erklärt Ruth Lehmann, Professorin am New York University Medical Center.
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Stammzelldiskussion einmal anders. Die Diskussion um Stammzellforscher Hans Schöler geht weiter. Spiegel online berichtet vom Streit zwischen Wissenschaftler und Journalisten. |
Epigenetischer Status von Stammzellen näher untersuchen
Epigenetik spielt aber auch bei Stammzellen eine Rolle. Um eine künftige Zellersatztherapie beim Menschen auf eine breitere Basis zu stellen, ist die Kenntnis der epigenetischen Signatur sowohl der als Alleskönner eingestuften embryonalen Stammzellen als auch der Stammzellen in den verschiedenen Differenzierungsstufen eine wichtige Voraussetzung. „Wir müssen diese Dinge noch viel stärker als bisher untersuchen“, sagt Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute for Biomedical Research, der mit der Reprogrammierung erwachsener Hautzellen zu Stammzellen auf sich aufmerksam machte (mehr...). “Wenn wir ausgreifte Zellen in einen Stammzell-Modus zurückprogrammieren, müssen wir auch den ‚richtigen’ Modus finden“, so der Forscher. Bisher sehe man jedoch lauter Unterschiede. Nicht zuletzt aus diesem Grund sei auch die Arbeit mit den ethisch umstrittenen menschlichen embryonalen Stammzellen weiterhin wichtig, so Jaenisch: „Nur im Vergleich mit diesen können wir die tatsächlich relevanten Stammzell-Eigenschaften abgleichen.“ Der Deutsche sieht die diesbezügliche Diskussion in seinem Heimatland mit Sorge: „Hier wird vieles misinterpretiert, andere Länder gehen da mit deutlich mehr Realismus und Objektivität heran.“