Zweiter Runder Tisch: Erste Annäherung in der Gentechnik-Debatte
23.07.2009 -
Beim zweiten Runden Tisch zur Grünen Gentechnik, der am 22. Juli erneut mit rund 30 Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Umweltverbänden und Kirchen stattfand, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Rohfassung einer neuen Förderstrategie zur Agrarforschung vorgestellt. Diskutiert wurde auch der Neun-Punkte-Katalog zur ökologischen Sicherheitsforschung, den eine Gruppe von Umweltverbänden zwei Tage zuvor in Berlin präsentiert hatte. Als „konzentriert und intensiv“ bezeichnete Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) den Gesprächsverlauf. Teilnehmer berichteten über erste Annäherungen zwischen Kritikern und Befürwortern. Eine nächste Sitzung ist für Oktober geplant.
„Schlagabtausch allein reicht nicht“, hatte Schavan nach dem ersten Runden Tisch Mitte Mai betont (mehr..). Das Expertentreffen wurde damals von Bundesforschungsministerin gemeinsam mit Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) einberufen, um den weiteren Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen nach dem Anbauverbot des gv-Mais Mon810 (mehr...) zu diskutieren. Bereits im Vorfeld des zweiten Treffens hatten sich etliche Beteiligte in Stellung gebracht. Der Biotech-Branchenverband BioDeutschland forderte von der Politik ein Bekenntnis zur Grünen Gentechnik als Zukunftstechnologie. "Die derzeitigen Regelungen und Rechtsunsicherheiten auf dem Gebiet der Pflanzenbiotechnologie fördern indirekt die Stärkung einiger weniger multinationaler Konzerne", sagte Vorstandsvorsitzender Peter Heinrich. (mehr Infos: hier klicken). Bayern wiederum preschte mit einem eigenen "Gentechnikkongress" am 20. Juli vor, auf dem sich Differenzen in der Landesregierung offenbarten. Während Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erneut seine ablehnende Haltung zum kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen bekräftigte, aber zugleich betonte, Forschung und Wirtschaft nicht beeinträchtigen zu wollen, sprach sich Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) gegen ein vorschnelles Nein zu Freilandversuchen aus. (mehr Infos: hier klicken)
Hintergrund |
Reaktionen vor und nach dem Runden Tisch im Überblick. NABU: 9-Punkte-Katalog zur ökologischen Sicherheitsforschung BioDeutschland: Biotechnologie-Industrie fordert Vernunft und offene Debatte |
Umweltverbände präsentierten vorab Forderungskatalog
Am gleichen Tag stellten Umweltverbände in Berlin wiederum einen Neun-Punkte-Katalog zur ökologischen Risikoforschung vor (mehr Infos: hier klicken). Darin formulieren Naturschutzbund, Greenpeace, Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft, BUND und Deutscher Naturschutzring Themen, die in der bisherigen Sicherheitsforschung zu gentechnisch veränderten Pflanzen aus ihrer Sicht gar nicht bzw. zu wenig berücksichtigt werden. "Forschungsfragen zu ökologischen Risiken der Agrogentechnik müssen jenseits des eingespielten Gentechnik-Netzwerkes evaluiert und vergeben werden", betonte NABU-Gentechnikexpertin Steffi Ober bei der Pressekonferenz. Für besonders wichtig halten die Umweltverände dabei die Notwendigkeit einer Standardisierung und Systematisierung der Testsysteme zur Abschätzung von Risiken bei gentechnisch veränderten Organismen. „Bislang kann jede Firma für Zulassungsstudien ihre eigene Methode benutzen und die Behörden müssen dann mühsam prüfen, wie sie die Ergebnisse bewerten sollen“, kritisierte sie. Künftig müsse es – ähnlich wie bei Pestiziden – eine einheitliche Vorgehensweise für alle geben. Zugleich wurde gefordert, gentechnisch veränderte Pflanzen umfassender als Teil des Ökosystems zu erforschen, insgesamt eine auf Nachhaltigkeit fokussierte Landwirtschaft zu fördern und Förderprojekte „jenseits des etablierten Gentechnik-Netzwerkes zu vergeben“.
Ist Sonderstellung der Gentechnik gerechtfertigt?
Der Forderungskatalog der Gentechnik-Kritiker kam denn auch gleich zu Beginn des Runden Tisches, der dieses Mal ohne Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner stattfand, auf die Agenda. Vertreter von Forschungseinrichtungen und Saatgutunternehmen sahen in den Forderungen jedoch viele Punkte, die bereits durch das bestehende Zulassungsverfahren berücksichtigt werden und konnten kaum Lücken in der bisherigen Sicherheitsforschung erkennen. Für die meisten Teilnehmer ging es deshalb insbesondere um die Frage, welche Sonderstellung für gentechnisch veränderte Pflanzen im Vergleich zum konventionellen und ökologischen Landbau überhaupt vertretbar ist: Ist eine besondere Risikowahrnehmung und Forschung gerechtfertigt? Sollen alle drei Anbausysteme in der Landwirtschaft eine Rolle spielen dürfen und wenn ja, wie ist das zu bewerkstelligen? Welche Lücken bestehen tatsächlich in der aktuellen biologischen Sicherheitsforschung? Auf eine gemeinsame Antwort konnten sich Befürworter und Gegner der Gentechnik auch in dieser dreistündigen Diskussion nicht einigen. Vielfach gab es jedoch Annäherungen. „In vielen Zielen stimmen wir mit den Umweltverbänden überein“, bilanzierte beispielsweise Inge Broer, Biotechnologie-Professorin an der Universität Rostock nach dem Treffen. Über die Wege dahin bestünden jedoch unterschiedliche Vorstellungen, so die Forscherin. Positiv wurde auf Seiten der Pflanzenforscher aufgenommen, dass sich die Vertreter der Umweltverbände klar von gewalttägigen Feldzerstörungen distanziert haben. „Wir würden uns allerdings wünschen, wenn dies auch in der Öffentlichkeit so kommuniziert würde“, sagte Broer im Anschluss.
Schavan fordert differenzierte Diskussion ein
Die Umweltverbände bezeichneten es wiederum als "fair", dass ihre Forderungen so ausführlich diskutiert wurden und begrüßten, dass auch weitere Teilnehmer - wie ein Vertreter vom Evangelischen Entwicklungsdienst sowie ein Wissenschaftler aus dem biologischen Landbau - auf ihren Vorschlag hin in die Runde aufgenommen wurden. Dennoch sehen sie noch immer etliche Fragen ungeklärt. Unklar blieb vor allem, wie eine Koexistenz in der Praxis für alle Seiten gewährleistet werden kann. „Für uns sind die aktuellen Haftungsregeln unzureichend“, betonte Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) im Anschluss an den Runden Tisch und verwies insbesondere auf die Kosten, die bei der Gewährleistung der Gentechnikfreiheit bei Lebensmittelprodukten derzeit anfallen. "Diese müssten zumindest anteilig von den Verursachern übernommen werden", forderte er.
Die Pflanzenzüchter wiederum forderten angesichts des hohen Forschungsaufwandes rechtliche Verlässlichkeit ein, die durch Anbauverbote in Frage stünde und drohten mit Abwanderung von Forschungskapazitäten, wenn keine Perspektive auf Anwendung bestünde. Bundesforschungsministerin Schavan betonte indes, dass sie keine starre Einteilung in Schwarz und Weiß zwischen Befürwortern und Gegnern der Grünen Gentechnik aktzeptieren wolle. "Die Diskussionen beim Runden Tisch haben mich bestätigt, dass vor dem Hintergrund der globalen Probleme die Grüne Gentechnik sehr differenziert gesehen werden muss“, sagte sie und kündigte eine Fortsetzung der Treffen an.
Rohfassung einer neuen Förderstrategie vorgestellt
Mehrheitlich positive Reaktionen gab es auf eine vom Ministerium formulierte Rohfassung einer neuen Förderstrategie für die Agrar- und Pflanzenforschung, die den Teilnehmern als Hintergrund-Papier zum Treffen vorgelegt wurde. Neben einer Bestandsaufnahme bisheriger Aktivitäten werden darin künftige Handlungsfelder vorgeschlagen, beispielsweise Analysen über pflanzliche Strukturen und Funktionen in ihrer Wechselwirkung mit einer sich ändernen Umwelt (Phänotypisierung) sowie Studien zum Einfluss des Klimawandels auf Pflanzen und die biologische Pflanzenvielfalt. "Auf dieser Basis werden wir weiter gehende Vorschläge, vor allem im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsfrage einbringen", stellte Schavan in Aussicht. Darüber hinaus stellte sie den vom BMBF zusammen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium eingerichteten Forschungs- und Technologierat Bioökonomie bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) als Gremium vor, der die Weiterentwicklung einer nachhaltigen Forschungsförderung in der Agrarforschung unterstützen soll. Während Wissenschaftler und Unternehmen dieses Vorgehen begrüßten, kritisierten die Umweltverbände die Zusammensetzung des Bioökonomierates. „Hier ist kein einziger Vertreter mit ökologischer Kompetenz vorhanden, sondern nur Befürworter der Grünen Gentechnik“, hatte NABU-Vertreterin Ober bereits bei der Pressekonferenz am Montag moniert und beim Runden Tisch nochmals bekräftigt.
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Nächstes Treffen im Oktober
Schavan kündigte unterdessen an, auf den Neun-Punkte-Katalog der Umweltverbände bis zur nächsten Sitzung im Oktober detailliert einzugehen: „ Wir wollen eine Bilanz von 30 Jahren Sicherheitsforschung ziehen. Dann können wir sehen, wo weitere Akzente gesetzt werden können.“ Die Ministerin ließ indes keinen Zweifel daran, dass sie die Grüne Gentechnik als Zukunftstechnologie bewertet, für eine Methodenoffenheit in der Forschung plädiert und eine Koexistenz für machbar hält. "Es ist keine Perspektive, die Forscher ihre Paper schreiben zu lassen und dann nach Hause zu schicken", sagte sie. Damit stellt sich Schavan unter anderem gegen Seehofer, der auf dem vom ihm initiierten Gentechnikkongress in München sein "Ja" zur Forschung, aber "nur im Labor und unter Glas" betont hatte. „Deutschland und Europa müssen sich entscheiden, ob man sich an der Weiterentwicklung der Grünen Gentechnik beteiligen und eigene Werte einbringen möchte“, resümierte hingegen Schavan. Aus ihrer Sicht sei eine Abhängigkeit der Landwirte zur Industrie nur mit öffentlicher, anwendungsorientierter Forschung zu vermeiden.
Das nächste Expertentreffen ist nun für Oktober geplant. Dann soll es unter anderem um das Thema „internationale Entwicklungszusammenarbeit“ gehen sowie um Fragen der Hungerbekämpfung. "Unsere Verantwortung für künftige Generationen tragen wir nicht nur für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir unterlassen", so Schavan.