Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Studie mit Krebsimpfstoff aus Tabakpflanzen gestartet

Die Tabakpflanzen werden mit Hilfe einer Unterdruckkammer in die Pflanzenzellen gesaugt. Dort werden dann millionenfach individuelle Antikörper produziert. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Tabakpflanzen werden mit Hilfe einer Unterdruckkammer in die Pflanzenzellen gesaugt. Dort werden dann millionenfach individuelle Antikörper produziert. Quelle: Bayer AG

03.02.2010  - 

Die Vision einer personalisierten Medizin hat in den vergangenen Jahren Patienten, Ärzte und Unternehmen gleichermaßen fasziniert: Jeder Patient bekommt ein speziell auf ihn abgestimmtes Medikament. Der Leverkusener Pharmakonzern Bayer setzt auf Tabak, um der personalisierten Medizin ein Stück näher zu kommen. Die Pflanzen dienen als Fabriken, in denen ein individueller Impfstoff gegen Lymphdrüsenkrebs produziert wird. In einer Studie wird das maßgeschneiderte Medikament nun auf seine Wirksamkeit getestet.


Das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) ist eine Erkrankung der Blutkörperchen und nach Brust-, Prostata-, Lungen- und Dickdarmkrebs die fünfthäufigste Todesursache bei Krebs. Die Erkrankung geht von den Lymphozyten aus – einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen. Durch eine krankhafte genetische Veränderung beginnen die Lymphozyten sich unkontrolliert zu teilen. Gleichzeitig werden die Entsorgungsmechanismen deaktiviert - die Apoptose, der programmierte Zelltod, funktioniert bei diesen Zellen nicht mehr. Hier hören die Gemeinsamkeiten allerdings auch schon auf. Im Laufe der Jahre sind Mediziner auf eine große Vielfalt verschiedener NHL-Erkrankungen gestoßen. Je nachdem, ob die Erkrankung von B- oder T-Lymphozyten ausgeht, werden sie in eine mit 80% der Fälle dominante B- und eine mit 20% der Fälle eher seltene T-Klasse eingeteilt. Zur B-Klasse gehören die sogenannten follikulären NHL-Fälle. Die Follikel sind die Orte in den Lymphknoten, in denen B-Zellen heranreifen. Wenn in diesen Bereichen Krebszellen entstehen, spricht man vom Follikulären Non-Hodgkin-Lymphom. Genau diese Unterart des NHL will Bayer mit dem neuen Impfstoff aus der Tabakpflanze nun behandeln.

So funktioniert die persönliche Antikörper-Produktion: Der genetische Bauplan der Antikörperstrukturen wird vervielfältigt und in Virenhüllen eingepflanzt. Diese werden mittels Agrobakterien in die Pflanzenzelle gebracht. Dort befiehlt der Virus der Zelle die Produktion der Antikörper. Mit einem Trägerweiweiß versehen trainieren die Antikörper das Immunsystem des Patienten. Lightbox-Link
So funktioniert die persönliche Antikörper-Produktion: Der genetische Bauplan der Antikörperstrukturen wird vervielfältigt und in Virenhüllen eingepflanzt. Diese werden mittels Agrobakterien in die Pflanzenzelle gebracht. Dort befiehlt der Virus der Zelle die Produktion der Antikörper. Mit einem Trägerweiweiß versehen trainieren die Antikörper das Immunsystem des Patienten. Quelle: Bayer AG

Jeder Krebs ist einzigartig

Das Follikuläre Lymphom kommt typischerweise im mittleren bis höheren Lebensalter vor. Statistisch betrachtet erkranken jährlich etwa 8 von 100.000 Menschen in Deutschland, das bedeutet etwa 6.000 bis 8.000 neue Fälle pro Jahr. Mit zunehmendem Alter steigt dieser Anteil deutlich an, wobei das mittlere Erkrankungsalter bei 55 bis 60 Jahren liegt. Das Follikuläre Lymphom macht etwa ein Viertel aller Non-Hodgkin-Lymphom-Erkrankungen aus und gehört damit zu den häufigsten Formen der malignen Lymphome. Es kommt bei Frauen und Männern annähernd gleich häufig vor.

Dass Bayer nun für jeden Patienten eine maßgeschneiderte Therapie entwerfen will, liegt daran, dass NHL - wie viele andere Krebserkrankungen auch - nicht nur in einer verwirrenden Zahl von Untergruppen vorkommt, sondern dass buchstäblich jede einzelne Krebserkrankung einzigartig ist. Das heißt konkret, dass sich bei jedem Menschen die Antikörperstrukturen, die sich auf den erkrankten Lymphozyten bilden, in winzigen aber bedeutenden Details unterscheiden. Damit eine Antikörper-Therapie also wirkt, muss sie genau auf den jeweiligen sogenannten Idiotyp abgestimmt sein. Dieses Kunststück in wirtschaftlichen Dimensionen hinzubekommen, ist bisher noch niemandem gelungen. Mindestens drei Biotech-Untrernehmen sind daran in den vergangenen Jahren gescheitert.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de

News: Premiere - Antikörper aus Deutschland steht vor Markteintritt

News: Micromet weckt Hoffnungen bei Pharmaindustrie

Menschen: Falk Nimmerjahn - Süße Seiten von Antikörpern im Visier

Millionenfache Antikörperproduktion im Tabakblatt

Nun will es Bayer mit Tabakpflanzen als Fabrik für den personalisierten Impfstoff versuchen. Im Southwestern Medical Center der Universität Texas im US-amerikanischen Dallas wurde von der Bayer Innovation GmbH gerade eine Studie mit 20 Probanden gestartet. (zur Pressemitteillung: hier klicken) Dabei werden die an NHL erkrankten Patienten im Laufe  eines halben Jahres insgesamt sechs Injektionen mit jeweils auf sie abgestimmten Antikörpern erhalten.

Der Impfstoff wird dabei in Halle produziert, denn von hier stammt die Technik der individuellen Antikörperproduktion. Dort hat das Biotechnologie-Unternehmen Icon Genetics GmbH seinen Sitz, das 2006 von Bayer für 28 Millionen Euro gekauft wurde. Die Leverkusener haben große Pläne mit Icons magnICON-Technologie. Die im Jahr 2008 eröffnete Pilotanlage für die Herstellung von Impfstoffen in Tabakpflanzen ist nur ein erster Schritt (mehr...).  In gar nicht so ferner Zukunft sollen mit magnICON nicht nur Antikörper, sondern die verschiedensten Eiweiße von Tabakpflanzen produziert werden. Aber zunächst einmal muss magnICON die Generalprobe bei NHL bestehen. Und die läuft folgendermaßen ab:

Bei jedem Menschen unterscheiden sich die Antikörperstrukturen auf der Oberfläche der erkrankten Lymphozyten, die sogenannten Idiotypen, in ihrer Gestalt. Die Bayer-Forscher entnehmen den Lymphozyten nun den im Zellkern hinterlegten genetischen Bauplan für die Idiotypen und vervielfältigen sie im Reagenzglas. Die DNA wird dann in einen  Tabakmosaikvirus eingepflanzt. Der reist an Bord eines Agrobakteriums in die Pflanzen. Agrobakterien haben die Fähigkeit, die Zellwände von Pflanzenzellen zu überwinden. Dort angekommen, programmiert das Virus die Pflanzenzellen um und sorgt für die millionenfache Produktion des Idiotyp-Antikörpers.

Rückfall nach der Chemotherapie verhindern

Die entstandenen Antikörper werden nun aus den Pflanzenzellen geholt und aufgereinigt, um schließlich an ein Trägereiweiß gekoppelt zu werden. Diese Kopplung bewirkt zusammen mit dem gleichzeitig verabreichten Wachstumsfaktor GM-CSF, dass die Zellen des Immunsystems des Patienten den Idiotyp-Antikörper als fremd erkennen. Das haben sie zuvor nämlich nicht getan, weshalb die erkrankten Lymphozyten nicht vom Immunsystem entsorgt werden. Nach dem Training durch die Antikörper aus der Tabakpflanze räumt das solchermaßen aktivierte Immunsystem dann auch unter den erkrankten Lymphozyten auf. So weit die Theorie.

Einsetzen will Bayer die Therapie nach einer Strahlen- oder Chemotherapie, wenn der Gehalt an erkrankten Lymphozyten gering ist, diese "Überlebenden" aber langfristig einmal der Ausgangspunkt für einen Rückfall sein könnten. NHL ist eine gefährliche, aber vergleichsweise gering verbreitete Krankheit. Für Bayer ist dieses Einsatzgebiet daher nur der Anfang. "Mit Beginn dieser klinischen Prüfung haben wir auch gezeigt, dass unsere magnICON-Technologie geeignet ist, Proteine für potentielle pharmazeutische Anwendungen herzustellen", sagt Detlef Wollweber, Geschäftsführer der Bayer Innovation GmbH. Die größten Vorteile von magnICON sind aus seiner Sicht die hohe Geschwindigkeit und der niedrige Preis. Von der Isolierung der individuellen Idiotyp-DNA bis zum Verabreichen der Antikörper benötigen die Forscher nur ein Vierteljahr. Das ist gut dreimal schneller als mit vergleichbaren Methoden. Die Produktion selbst dauert in den schnellwachsende Tabakpflanzen laut Icon-Gründer Juri Gleeba gerade einmal fünf bis zehn Tage. Da die Pilotanlage nur rund zehn Millionen Euro gekostet hat, gilt sie in der Welt der Medikamentenentwicklung, mehrere hundert Millionen für klinische Studien ausgegeben werden, als günstig. Bayer will die Pflanzenfabriken deshalb nicht nur für Impfstoffe, sondern auch für die Herstellung anderer Biotech-Substanzen benutzen. Testweise hat Icon Genetics nämlich schon 60 weitere verschiedene Wirkstoffe im Milligramm-Maßstab in den Pflanzen herstellen lassen. Wie sich der Antikörper aus dem Tabak aber im Menschen verhält, werden allerdings erst die jetzt angelaufenen ersten klinischen Tests zeigen. 

 

Fokus Weiße Biotechnologie

Weiße Biotechnologie – Chancen für eine bio-basierte Wirtschaft

Ob im Waschmittel oder in der Hautcreme – in vielen industriellen Produkten steckt Biotechnologie. Der Griff in die Werkzeugkiste der Natur hilft vielen Branchen, ressourcenschonender zu arbeiten. Erfahren Sie in unserer kostenlosen Broschüre, wo „Weiße Biotechnologie“ schon heute drinsteckt.


Zur Rubrik Publikationen

Broschüre Regenerative Medizin

Regenerative Medizin -  Selbstheilungskraft des Körpers verstehen und nutzen

Die Regenerative Medizin will mithilfe von Zellen heilen, Krankheiten erforschen oder Wirkstoffe testen. Einen Überblick zur Forschung in Deutschland bietet die Broschüre "Regenerative Medizin".


Zur Rubrik Publikationen

Glykobiotechnologie

Forscherin im Labor

Was haben Biotechnologen mit Zucker zu tun? Die Broschüre "Die Zukunft ist süß - Möglichkeiten der Glykobiotechnologie" gibt darauf eine Antwort und informiert über neueste Trends der Zuckerforschung in Medizin, Biomaterialwissenschaft und Lebensmittelentwicklung. Sie kann kostenlos bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos