Stammzelltherapie schützt Mäuse nach Herzinfarkt vor Rhythmusstörungen
07.12.2007 -
Während sich die Politik über das Für und Wider einer Änderung des deutschen Stammzellgesetzes streitet, liefert die Wissenschaft neuen Diskussionsstoff. So berichten Bonner Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature (2007, Vol. 450, S. 819-824) von Experimenten mit Mäusen, die sie mit einer speziellen Stammzelltherapie vor Herzrhythmusstörungen nach einem Herzinfarkt bewahren konnten. Ob dieser Ansatz auch beim Menschen funktioniert, ist noch unklar, aber er öffnet möglicherweise die Tür für ganz neue Behandlungsmöglichkeiten bei Herzinfarkt-Patienten. Ohne Arbeiten an embryonalen Stammzellen wäre dieser Weg nicht möglich gewesen: Erst dort sind die Wissenschaftler auf ein entscheidendes Eiweißmolekül gestoßen, das am Schutz vor Kammerflimmern maßgeblich beteiligt ist.
Bei einem Herzinfarkt wird der Herzmuskel aufgrund mangelnder Durchblutung irreparabel geschädigt. Gefürchtete Folge sind die sogenannten Kammertachykardien und das daraus resultierende Kammerflimmern. Dabei zieht sich der Hohlmuskel unkoordiniert und mit extrem hoher Schlagfolge zusammen. Die Frequenz kann mehr als 300 Schläge pro Minute erreichen. Dieser Zustand ist lebensgefährlich, weil das Blut nicht mehr effektiv durch den Kreislauf gepumpt wird.
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Bonner Forscher setzen auf neuen Ansatz bei Stammzelltherapie
Forscher um Bernd Fleischmann von der Universität Bonn haben nun nach einer Stammzelltherapie gesucht, mit der sich diese Herzrhythmusstörungen behandeln lassen – anders als bisherige Ansätze. Diese haben bislang eher das Ziel verfolgt, die muskuläre Funktion der Herzen durch Zellersatz wiederherzustellen, denn bei einem Herzinfarkt gehen an die hundert Millionen Muskelzellen zugrunde. „Diese Herzmuskelschwäche lässt sich mit Ersatzgewebe aber bis heute nicht beheben. Zu wenige implantierte Zellen übernehmen wirklich dauerhaft eine Muskelfunktion“, erklärt Fleischmann. Unabhängig von der Pumpleistung des Herzens kann aber auch die Neigung zu Rhythmusstörungen gesenkt werden - aus Sicht der Bonner Forscher ein wichtiger Effekt und lohnender Behandlungsansatz.
In Experimenten mit Mäusen haben sie bei den Versuchstieren deshalb zunächst einen Herzinfarkt ausgelöst und ihnen anschließend embryonale Stammzellen aus dem Herzen gespritzt. Danach versuchten die Wissenschaftler, das gefürchtete Kammerflimmern durch elektrische Reize auszulösen. Wie die Forscher nun im Fachmagazin Nature berichten, geriet das Herz nur bei gut jedem dritten mit Zelltherapie behandelten Tier ins Stolpern – genauso selten wie bei kerngesunden Mäusen. Bei den unbehandelten Mäusen lag diese Quote dagegen praktisch bei 100 Prozent. Die Therapie klappte allerdings nur, wenn Stammzellen aus dem Herzen von Mäuse-Embryonen benutzt wurden. Stammzellen aus dem Knochenmark von erwachsenen Tieren halfen dagegen nicht, obwohl sich dieses Verfahren in anderen Studien an Herzinfarkt-Patienten bereits als durchaus erfolgreich herausgestellt hatte. Stammzellen aus dem Muskel – die auch bereits durch andere Forscherteams benutzt wurden – verschlimmerten die Rhythmusstörungen in den Untersuchungen der Bonner sogar. „Embryonale Herzzellen bieten offenbar den besten Schutz“, so Fleischmanns Fazit.
Als Grund für diesen besonderen Schutz identifizierten die Wissenschaftler schließlich ein Zelleiweiß namens Connexin 43, das als Kommunikationskanal fungiert und den Zellen im Herzmuskel dabei hilft, das „Schlagsignal“ an ihre Nachbarn weiterzugeben. "Wir konnten zeigen, dass die von uns implantierten embryonalen Herzmuskelzellen dieses Connexin 43 bilden und darüber das elektrische Signal in die Infarktnarbe einkoppeln", erläutern der Herzchirurg Wilhelm Röll und der Physiologe Philipp Sasse, die in Fleischmanns interdisziplinärem Team ebenfalls mitgewirkt haben.
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Aufbauend auf diesem Wissen hat eine weitere Gruppe aus Bonn vom Institut für Genetik Skelettmuskel-Zellen derart gentechnisch verändert, dass sie ebenfalls Connexin 43 herstellen. Die Forscher testeten auch diese Zellen an Mäusen mit Herzinfarkt - mit Erfolg: Das Risiko einer Herzrhythmusstörung sank auf ein ähnliches Niveau wie bei gesunden Tieren. Nun glauben die Forscher, damit möglicherweise die Tür zu einem völlig neuen Therapieansatz gefunden zu haben – und noch dazu einen Weg, bei dem sich die Nutzung der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen umgehen lässt. "Man könnte prinzipiell Stammzellen aus dem Beinmuskel eines Infarktpatienten nehmen und darin das Gen für Connexin 43 einschleusen", erläutert der ebenfalls beteiligte amerikanische Professor Michael I. Kotlikoff von der Cornell-Universität in Ithaca. "Diese veränderten Zellen ließen sich dann in das geschädigte Herz implantieren." Abstoßungsreaktionen wären dabei nicht zu befürchten - schließlich würde es sich um eigene Zellen handeln, so der Wissenschaftler. Auch Fleischmann spricht von einem wichtigen Zwischenschritt, warnt aber vor zu großen Hoffnungen: "Unsere Ergebnisse gelten für das Mausherz", stellt er klar. "Ob das beim Menschen ebenfalls so klappt, bleibt abzuwarten."
CDU-Parteitag entscheidet sich knapp für Stichtagsverschiebung
Derweil wird eine Lockerung des deutschen Stammzellgesetzes immer wahrscheinlicher. So haben sich die Christdemokraten auf ihrem Parteitag am 4. Dezember in Hannover auf eine einmalige Verschiebung des derzeit gültigen Stichtages geeinigt. Bislang dürfen deutsche Forscher nur solche embryonalen Stammzellen benutzen, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. Seit langem wird nun eine Aufhebung bzw. Verschiebung gefordert, im Januar wird dazu eine Bundestagsdebatte geführt. Das Votum des CDU-Parteitages wurde deshalb mit Spannung erwartet. Und die Abstimmung verlief ziemlich ungewöhnlich: Parteichefin und Kanzerlin Angela Merkel schaltete sich am Ende der Debatte, die sehr kontrovers geführt wurde, persönlich mit einem Machtwort ein und sprach sich sehr deutlich für eine Stichtagsverschiebung aus. Auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan hatte in Hannover für eine Verschiebung geworben. Sie sei aus ihrer Sicht „ethisch verantwortbar“.
Wahrnehmung der deutschen Politik |
Das Editorial im Fachmagazin Nature (2007, 29. November) war eindeutig an die Deutschen gerichtet: Man solle neueste Erfolge in der Reprogrammierungstechnik auf keinen Fall für politische Zwecke missbrauchen, hieß es da. Und: Derzeit wäre der denkbar schlechteste Zeitpunkt, mit der Forschung an embryonalen Stammzellen aufzuhören. Mehr |
Konservative Teile der Partei befürchten jedoch, dass ein Hinausschieben für das Ausland einen Anreiz zur Produktion immer neuer embryonaler Stammzelllinien liefern würde. „Der Stichtag darf nicht zu einer ethischen Wanderdüne werden“, sagte beispielsweise Julia Klöckner, Vizechefin der CDU Rheinland-Pfalz. Am Ende fiel die Entscheidung pro Verschiebung denkbar knapp aus: 323 sprachen sich dafür, 301 dagegen aus und zehn enthielten sich.
Dieses Votum gilt nun vielen als Gradmesser für eine künftige Abstimmung im Bundestag. Drei Gruppenanträge zum Thema Stammzellforschung liegen derzeit vor. „Wir hoffen nun, dass wir auch auch aus der Union Unterstützung bekommen“, sagte beispielsweise SPD-Parlamentarierin Carola Reimann, die gemeinsam mit ihren Parteikollegen René Röspel und Jörg Tauss eine einmalige Verschiebung des Stichtags auf den 1. Mai 2007 fordert. Ganz abschaffen möchte den Stichtag eine Gruppe um FDP-Politikerin Ulrike Flach. Ein Antrag der Verschiebungsgeger aus den Reihen um Priska Hinz von den Grünen soll nächste Woche präsentiert werden. Da das CDU-Votum nur knapp war, wird aber auch hier mit Zulauf gerechnet. Bis zur Osterpause soll das Parlament entschieden haben.