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Biotechnologie in Norwegen

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Lange Zeit hat die Biotechnologie im rohstoffreichen Norwegen kaum eine Rolle gespielt. Erst seit Ende der 90er Jahre fördert die norwegische Regierung aktiv Unternehmen in der Biotechnologie, um sie als Wirtschaftszweig aufzubauen. Diese Förderprogramme zeigen nun Wirkung: Vor allem in der medizinischen Biotechnologie sind eine ganze Reihe von Unternehmen entstanden, die meisten sind in der Krebsforschung tätig. Norwegen hat inzwischen auch mehr Medikamente in der Entwicklungs-Pipeline als das einstige skandinavische Vorzeigeland Schweden. Aber auch das Thema Bioraffinerien steht bei norwegischen Firmen hoch im Kurs.

Politische und Rechtliche Rahmenbedingungen

Bis 2008 durften in Norwegen embryonale Stammzelllinien weder etabliert noch beschafft werden. Jegliche Forschung an Embryonen, befruchteten Eizellen und davon abgeleiteten Stammzelllinien war verboten. Das 1993 verfasste und 2003 aktualisierte Gesetz zur Anwendung von Biotechnologie in der Humanmedizin untersagte außerdem das Klonen von Embryonen oder anderweitige Methoden zur Beschaffung genetisch identischer Individuen, und schloss damit auch das therapeutische Klonen aus.

Dieses Gesetz wurde im Februar 2004 durch eine Fernsehübertragung in Frage gestellt: Hier wurde der Fall eines an Thalassämie erkrankten Kindes dargestellt, dessen einzige Chance in einer Stammzelltransplantation durch die Knochenmarkspende eines genetisch kompatiblen „Rettungsgeschwisterkindes“ lag. Der „Fall Mehmet“ änderte die Sicht auf die bis dato in Norwegen verbotene Präimplantationsdiagnostik (PID) und sorgte zunächst für eine Ausnahmegenehmigung von PID in besonderen Fällen. Die öffentliche Anteilnahme ebnete letztendlich den Weg für eine Gesetzesänderung im Jahr 2008. Seitdem dürfen auch – das Einverständnis der biologischen Eltern vorausgesetzt – bei einer künstlichen Befruchtung übrig gebliebene Embryonen und daraus gewonnene Stammzelllinien zu Forschungszwecken verwendet werden. Es ist allerdings nach wie vor verboten, Embryonen allein zu Forschungszwecken herzustellen. Auch das reproduktive Klonen ist in Norwegen nicht erlaubt.

Skeptisch gegenüber GVO

Weiterhin restriktiv ist die Gesetzgebung bei der Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Nach dem Gentechnologie-Gesetz von 1994 müssen GVO eine nachhaltige Entwicklung und einen sichtbaren Mehrwert für die Gesellschaft zeigen. Die Beurteilung der Nachhaltigkeit durch das Norwegian Biotechnology Advisory Board (NBAB) umfasst dabei Umweltrisiken und Auswirkungen auf die Biodiversität in Drittländern und die Integrität von Arten, Nachfrage, Problemlösungskapaziäten und nicht-GVO-Alternativen, die moralischen Standpunkte der Bevölkerung, insbesondere schwächere soziale Gruppen, Gesundheits- und Umweltrisiken. Letztere scheinen einer Studie über „Sozioökonomische Aspekte von GMOs“ zufolge (Armin Spök, 2010) auch die häufigste Ursache für Ablehnungen zu sein.

Im Oktober 2004 hat Norwegen seine Nulltoleranz-Politik gegenüber GVO-Produkten in der Landwirtschaft auf 0,9% geändert. Dieser Toleranzbereich bezieht sich jedoch nur auf „unabsichtliche“ Verunreinigungen und Importe; „absichtliche“ Verunreinigungen von Lebensmitteln sind nach wie vor verboten. In Norwegen findet kein Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen statt.

Zunehmend öffentliche Akzeptanz

Analog zur Gesetzgebung hat sich auch die öffentliche Einstellung gegenüber der Biotechnologie in Norwegen verändert. Dem aktuellen Eurobarometer-Bericht von 2010 zufolge finden inzwischen ein Drittel der Norweger, dass die Entwicklung genetisch veränderter Pflanzen vorangetrieben werden sollte, und 17 Prozent befürworten das Klonen von Nutztieren zur Ertragssteigerung. 2005 hatten sich die Norweger gerade in dieser Frage sehr kompromisslos gezeigt, weniger als zehn Prozent waren mit dem Klonen von Nutztieren einverstanden. Allgemein liegt Norwegen mit diesen Akzeptanzraten europaweit im oberen Drittel, die Bevölkerung in den anderen Staaten sieht den Einsatz von Gentechnik bei Lebensmitteln wesentlich skeptischer.

Auch die Haltung gegenüber dem medizinischen Einsatz biotechnologischer Methoden hat sich in Norwegen in den letzten Jahren gewandelt. 74 Prozent der Norweger befürworten die Forschung an embryonalen Stammzellen, ein auch im europäischen Vergleich hoher Wert. 80 Prozent der Norweger würden unter bestimmten Bedingungen persönliche medizinische Daten für eine Biobank freigeben. 2005 war die öffentliche Meinung wesentlich skeptischer. Dem Eurobarometer-Bericht von 2005 zufolge war die Gewinnung embryonaler Stammzellen für Organtransplantate für nur sechs Prozent der norwegischen Bevölkerung akzeptabel, gegenüber elf Prozent europaweit. Den Einsatz gentechnischer Methoden, um erblich belasteten Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen, lehnten 2005  fast 60% der norwegischen Bevölkerung rigoros ab. Es ist anzunehmen, dass die hohe Medienaufmerksamkeit für die Einzelschicksale Betroffener hier zu einem Stimmungsumschwung geführt hat. In der öffentlichen Akzeptanz gentechnischer Methoden hat Norwegen damit dem Eurobarometer-Bericht 2010 zufolge sogar das als sehr liberal geltende Großbritannien überholt.

 

Hintergrund

Unternehmen:  rund 100

Schwerpunkt: medizinische Biotechnologie (Krebsforschung), Bioraffinerie, Aquakultur

Branchenverband: Norwegian Bioindustry Association (NBA)www.biotekforum.no
Forschungsförderung: The Foundation for Scientific and Industrial Research at the Norwegian Institute of Technology (SINTEF) www.sintef.no; Research Council (Forskningsradet) www.forskningsradet.no

Rechtliche Grundlagen: Forschung mit Stammzellen erlaubt, keine Stichtagsregelung, PID gesetzlich geregelt, gv-Anbauverbot