Biotechnologie in Norwegen

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Lange Zeit hat die Biotechnologie im rohstoffreichen Norwegen kaum eine Rolle gespielt. Erst seit Ende der 90er Jahre fördert die norwegische Regierung aktiv Unternehmen in der Biotechnologie, um sie als Wirtschaftszweig aufzubauen. Diese Förderprogramme zeigen nun Wirkung: Vor allem in der medizinischen Biotechnologie sind eine ganze Reihe von Unternehmen entstanden, die meisten sind in der Krebsforschung tätig. Norwegen hat inzwischen auch mehr Medikamente in der Entwicklungs-Pipeline als das einstige skandinavische Vorzeigeland Schweden. Aber auch das Thema Bioraffinerien steht bei norwegischen Firmen hoch im Kurs.

Unternehmenslandschaft

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22.000 Kilometer Küstenlinie: Nach der biomedizinischen Forschung entdeckt Norwegen jetzt das Meer als biotechnologische Ressource. Quelle: Wikimedia

Die Biotechnologie-Branche befindet sich in Norwegen noch in einer vergleichsweise frühen Phase. Erst seit Ende der 90er Jahre fördert die norwegische Regierung aktiv Unternehmen in der Biotechnologie, um sie als Wirtschaftszweig aufzubauen. Im Rahmen der europäischen Statistik-Erhebung Biopolis hat die staatliche Forschungs- und Förderinstitution  Research Council of Norway (Forskningradet/Forschungsrat) im Jahr 2007 insgesamt rund 90 Unternehmen gezählt, die in der Biotechnologie tätig sind. Bis heute sind nur eine Handvoll hinzugekommen, im Branchenverband Norwegian Bioindustry Association (NBA) gibt es rund 100 Biotechnologie-Unternehmen als Mitglied. Die meisten von ihnen sind noch sehr jung. Fast alle wurden nach 2000 gegründet und haben weniger als 50 Mitarbeiter. Bezogen auf die geringe Einwohnerzahl von 5 Millionen Menschen, kann sich Norwegen dennoch sehen lassen, man liegt im europäischen und nordamerikanischen Durchschnitt.

Als Fördereinrichtung für Forschung und Entwicklung in Unternehmen ist die SINTEF-Gruppe in Norwegen von großer Bedeutung. SINTEF ist die Abkürzung für The Foundation for Scientific and Industrial Research at the Norwegian Institute of Technology (NTH) und gilt als größte unabhängige Forschungsorganisation in Skandinavien. Jedes Jahr unterstützt sie die Entwicklung von 2000 norwegischen und anderen Unternehmen durch ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Gefördert werden sowohl Aktivitäten im Gesundheitsbereich als auch zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe.

Oslo als Zentrum der Branche

Geografisch konzentriert sich die Biotech-Branche vor allem im Süden des Landes um die Hauptstadt Oslo. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bezirk Nordland, der sich an der nordwestlichen Küste entlang zieht. Hier sind vor allem die Unternehmen angesiedelt, die Inhaltsstoffe aus dem Meer weiterverarbeiten. Die meisten Biotechnologie-Firmen in Norwegen sind damit beschäftigt, neue Medikamente oder Diagnostika zu entwickeln. Nach Angaben der NBA haben im Zeitraum zwischen 2007 und 2010 insgesamt 22 Firmen Medikamente für die Zulassung getestet. 14 dieser Unternehmen haben zusammen 72 Projekte in einer klinischen Testphase (Stand Dezember 2010). Dabei befinden sich 24 Medikamente in der dritten und letzten Testphase. In allen Testphasen, inklusive vorklinischen Studien, gab es 88 Wirkstoffkandidaten. Sechzig Prozent davon wurden in eigener Forschung oder in Kooperation mit öffentlichen Forschungseinrichtungen entwickelt, die Zahl der Public-Privat-Partnership ist innerhalb des Untersuchungszeitraums in Norwegen signifikant angestiegen. Aus Sicht der NBA können sich diese Zahlen nun sehen lassen: Mit seiner Pipeline hat Norwegen inzwischen auch das Nachbarland Schweden überholt – einst Skandinaviens Vorzeige-Biotech-Nation.

Medikamente in der Pipeline Norwegen 2010Lightbox-Link
Quelle: Norwegian Bioindustry Association 2010
Kleiner Wehrmutstropfen: Die Mehrheit der Wirkstoffe (70 Prozent) sind chemisch hergestellte Moleküle, der biologische Anteil an der Pipeline ist vergleichsweise gering. Zudem finden die meisten klinischen Studien im Ausland statt. Eine Befragung der betroffenen Unternehmen nennt dafür drei Gründe: Einen Mangel an qualifizierten Fachkräften in Norwegen und zu wenig finanzielle Anreize für Krankenhäuser und Patienten, sich an den Studien zu beteiligen.

Der Schwerpunkt der norwegischen Biotechnologie in der Medizin zeigt sich auch an den acht börsennotierten Unternehmen, die alle mit Gesundheit zu tun haben: Photocure (Oslo), PCI Biotech (Oslo), Algeta (Oslo), Clavis Pharma (Oslo), Biotec Pharmacon (Tromsö), DiaGenic (Oslo), Navamedic (Lysaker), NorDiag (Oslo). Darüber hinaus gibt es die ebenfalls an der Börse gelistete norwegisch-dänische Firma Affitech (Oslo/Kopenhagen). 

Krebsforschung im Mittelpunkt der Aktivitäten

Inzwischen gibt es auch ein erstes in Norwegen entwickeltes Produkt auf dem Markt: 2009 erhielt  das Präparat Cysview der Firma Photocure grünes Licht von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Hinter Cysview steckt der Kontrastmittel-Wirkstoff Hexvix,  mit dem sich Blasenkrebs nachweisen lässt. Die Rechte an diesem Wirkstoff hatte Photocure  2009 an den französischen Pharmakonzern Galderma verkauft. Photocure ist eines von vielen norwegischen Biotech-Unternehmen, die im Umfeld des Osloer Radium-Klinikums angesiedelt und in der Krebsforschung aktiv sind. Bereits im Jahr 2000 wurde aus Photocure die Firma PCI Biotech ausgegründet, die ein photochemisches Verfahren zur Behandlung diverser Krebsarten (Gehirntumore, Nackentumore, Blasenkrebs) entwickelt hat. Einen weit fortgeschrittenen Krebs-Wirkstoffkandidaten in der klinischen Entwicklung hat auch die Firma Algeta. Hierbei handelt es sich um das Krebsmedikament Alpharadin. Das auf Radium 223 basierende Mittel setzt in geringen Dosen radioaktive Alpha-Strahlung gegen Tumorzellen frei und soll die Lebenserwartung von Patienten mit Knochenmetastasen erhöhen. Der Wirkstoff wurde von Algeta entwickelt, für das Zulassungsverfahren kooperiert Algeta seit 2009 mit dem Leverkusener Pharmakonzern Bayer Schering.

Ebenfalls auf Krebs setzt die Firma Clavis Pharma: Sie hat unter anderem spezielle Drug Delivery -Technologien für Chemotherapeutika entwickelt. So befindet sich der Wirkstoff Elacytarabine im klinischen Zulassungsverfahren, mit dem Clavis Pharma Akute Myeloische Leukämie (AML) im Endstadium behandeln will. Darüber hinaus wird ein Wirkstoff zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs in der zweiten klinischen Phase getestet, der an die US-Firma Clovis Oncology auslizensiert wurde.

Die in Tromsö angesiedelte Biotec Pharmacon verfolgt wiederum zwei Richtungen: Sie entwickelt zum einen immunmodulierende Wirkstoffe, die zur Behandlung von Immunkrankheiten zum Einsatz kommen sollen.  Zum anderen hat das Unternehmen kälteresistente Enzyme aus Meerestieren im Portfolio.

Im Diagnostik-Bereich ist die Firma  DiaGenic aktiv. Sie entwickelt Gentests, um diverse Krankheiten bereits in einem frühen Stadium anhand von Blutproben zu identifizieren. 2009 wurden Tests für Brustkrebs (BCtect) und Alzheimer (ADtect) in Europa zugelassen.

Darüber hinaus gibt es in Norwegen mehrere Niederlassungen börsennotierter internationaler Firmen. Die meisten von ihnen sind aus norwegischen Biotech-Unternehmen entstanden, welche mit ausländischen Firmen fusioniert sind oder übernommen wurden. Beispiele für solche ursprünglich norwegischen Großunternehmen sind die in Oslo ansässige britisch-norwegische Firma Axis-Shield, die aus der Fusion der norwegischen Axis Biochemicals mit dem britischen Unternehmen Shield Diagnostics hervorgegangen sind. Darüber hinaus hat der US-Konzern GE Healthcare einen Sitz in Oslo – ein Standort, der einst durch die Übernahme von Nycomed Amersham International entstand. Ebenso verhält es sich mit Alpharma in Oslo, einem seit 1903 existierenden Traditionsunternehmen und einstiges Flaggschiff der norwegischen Biotech-Branche, inzwischen eine 100-prozentige Tochter der US-Firma King Pharmaceuticals, die wiederum inzwischen zum Pharmariesen Pfizer gehört.  

Industrielle Biotechnologie und Wirkstoffe aus dem Meer

Neben der Medizin gibt es zudem Unternehmen, die sich mit der Verwertung nachwachsender Rohstoffe und industrieller Biotechnologie beschäftigen. Als Beobachter ist der Forschungsrat deshalb auf europäischer Ebene am ERA-NET Industrial Biotechnology beteiligt.

Besonders aktiv in dieser Hinsicht ist unter anderem der international tätige Chemiekonzern Borregaard mit Hauptquartier in Sarpsborg. Als Papier- und Zellulosehersteller gegründet, unterhält er inzwischen eine der weltweit größten Bioraffinerien und erforscht Biochemikalien, um erdölbasierte Rohstoffe zu ersetzen. Der Konzern will zudem in der ersten Jahreshälfte 2011 mit dem Bau einer Pilot-Produktionsstätte für Bioethanol beginnen, in der Kraftstoff aus Biomasse gewonnen werden soll. Das Projekt wird zu etwa 40 % von der norwegischen Regierung gefördert. Darüber hinaus ist die Firma in diversen EU-Projekten vertreten, die an der Gewinnung von Zucker aus Biomasse sowie dessen Weiterverarbeitung arbeiten.

In der industriellen Biotechnologie aktiv ist aber auch die Firma Biosentrum (Sitz in Stavanger) an der Westküste Norwegens, die sich auf das Up-Scaling von biotechnologischen Laborprozessen für den industriellen Einsatz spezialisiert hat.

Seit einigen Jahren gibt es zudem immer mehr Unternehmen, die sich mit der Ressource Meer beschäftigen – nicht ungewöhnlich für einen Staat, der über insgesamt 22.000 Kilometer Küste verfügt und dessen Wirtschaft unter anderem auf Fischfang basiert. So geht es hier um die Gewinnung medizinisch wirksamer Stoffe (z.B. Bei Navamedic oder Biotec Pharmacon), die Gewinnung von Enzymen oder Biomaterilien für industrielle Zwecke (Aqua Biotech Technology; FMC Biopolymer) sowie die Weiterentwicklung der Aquakultur mit Hilfe der Biotechnologie  – sei es für Nahrungs-/Futtermittelinhaltsstoffe (z.B. Pronova BioPharma, BioMar) oder Tiergesundheit (Alpharma, ScanVacc, AquaGen).

Unternehmen, die sich mit der Anwendung der Biotechnologie in der Landwirtschaft beschäftigen, gibt es in Norwegen so gut wie nicht – lediglich die Frage nach neuen Energiequellen bzw. die Umwandlung von Biomasse für energetische Zwecke steht im Mittelpunkt einer wachsenden Anzahl von Firmen (u.a. Norsk Biogass, Aker Grenland Industry).

Forschungslandschaft

Seit Anfang der 90er Jahre hat es im norwegischen Forschungssystem einschneidende Veränderungen gegeben. Im Universitäts- und Hochschulbereich wurde ein umfassendes Netzwerk für Forschung und höhere Bildung geschaffen. Dank des EWR-Abkommens hat Norwegen eine enge Anbindung an die Forschungszusammenarbeit der Europäischen Union.

Die wichtigste Einrichtung für die Forschung in Norwegen ist der Research Council (Forskningsradet/Forschungsrat). 1993 gegründet, ist er dem Bildungsministerium direkt unterstellt und übernimmt mehrere Funktionen – er dient der Politikberatung und agiert als Förderorganisation (für Grundlagenforschung und anwendungsnahe Forschung in allen Fachbereichen) sowie Koordinator von Netzwerken. Aus diesem Grund ist der Forschungsrat auch als norwegische Einrichtung in diversen europäischen ERA-Nets vertreten.

Hintergrund
Im Oktober 2009 machte das an der Universität Oslo angegliederte Centre for Ecological and Evolutionary Synthesis (CEES) Schlagzeilen: Einem Konsortium von Meeresbiologen war es gelungen, das Genom des Kabeljaus zu entschlüsseln. Damit ließe sich langfristig auch die Aquakultur der Dorsche optimieren, so die Forscher.

Dem Forschungsrat ist es auch zu verdanken, dass die Biotechnologie seit 1997 mit dem Strategieplan „Strategi for Bioteknologi“ wieder spezifisch und mit eigenen Förderprogrammen vom norwegischen Staat unterstützt wird. Zuvor erhielt die biotechnologische Forschung nur Zuwendungen über allgemeine Forschungsförderprogramme.

Neben dem Forschungsrat gibt es noch die staatliche Agentur Innovation Norway, die u.a. Innovationen bei kleinen und mittleren Unternehmen vorantreiben soll. Die Industrial Delevopment Corporation Norway SIVA wiederum fördert industrielle Cluster und Netzwerke, Wissenschaftsparks und Exzellenzzentren.

In Norwegen betreiben sechs Universitäten biotechnologische Forschung: Die traditionsreichen Universitäten in Oslo, Bergen, Tromsö und Trondheim sowie die Universität für Lebenswissenschaften in As und die Universität Stavanger – die beiden zuletzt genannten haben erst seit 2005 den Universitätsstatus inne. Darüber hinaus gibt es eine auf polarische Biowissenschaften fokussierte Universität in Spitzbergen.

Angebunden an die Universitäten sind in den letzten Jahren zudem insgesamt 21 Exzellenz-Zentren (SFF) entstanden, die den norwegischen Wissenschaftsbetrieb international besser vernetzen sollen sowie verschiedene inhaltliche Schwerpunkte in Forschung und Entwicklung setzen.

Acht dieser Zentren sind im Bereich der  Biotechnologie aktiv. Die meisten davon befinden sich in der Hauptstadt Oslo (allein drei an der Universitätsklinik Rikhsohospital), eines an der Universität für Lebenswissenschaften in As (Aquaproteinforschung). Weitere Zentren befinden sich in Trondheim (Neuroforschung) und in Bergen (Geobiologie, Klimaforschung). Eine Übersicht über alle Zentren gibt es hier

Neben diesen Zentren gibt es zudem eine Exzellenzcluster-Initiative, die auf Kooperationen zwischen

Norwegische Exzellenzcluster 2010Lightbox-Link
Norwegische Exzellenzcluster 2010Quelle: Forskningsradet
Wissenschaft und Wirtschaft abzielt. Bisher gab es zwei Ausschreibungen: 2002 das Norwegische Clusterprogramm Arena und 2006 das Norwegische Programm für Expertenzentren (Norwegian Centers of Expertise NCE). Im Jahr 2009 wurden nach Angaben des Forschungsrates durch Arena 22 Clusterinitiativen gefördert, bei NCE waren es 12.

Eines der bekanntesten in der Biotechnologie aktiven NCEs ist das 2006 gegründete Oslo Cancer Cluster (OCC) am hauptstädtischen Radium-Klinikum, an dem sich auch viele norwegische Biotech-Firmen beteiligen. Seinen Fokus trägt der Cluster bereits im Namen: Es geht um die Entdeckung und Entwicklung neuer Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten bei Krebs sowie um die internationale Vernetzung mit renommierten Forschungseinrichtungen anderer Länder sowie international agierenden Unternehmen.

Ein anderes biotechnologisch aktives Netzwerk ist der Aquakultur-Cluster entlang der Küste von Nordland, der sich auf die Aspekte der Fischzucht und Fischfarmen konzentriert. Die Universität von Tromsö beheimatet außerdem Marbank, eine marine Biobank in der DNA- und RNA-Proben zahlreicher Meerestiere gesammelt und für Forschungs- und kommerzielle Zwecke zur Verfügung gestellt werden. 

Zukunft des Biotechnologieförderprogramms FUGE noch offen

Was die Forschungsförderung betrifft, so hat das EU-Statistik-Projekt Biopols für den Zeitraum 2002 bis 2005 sechs speziell auf die Biotechnologie ausgerichtete Initiativen zusammengetragen, in die

FUGE-Forschungsförderung nach Projekten (oben) und nach Fachgebieten (unten) in Norwegen 2008.Lightbox-Link
FUGE-Forschungsförderung nach Projekten (oben) und nach Fachgebieten (unten) in Norwegen 2008.Quelle: Forskningsradet
zusammen rund 150 Millionen Euro geflossen sind. Inhaltlich hat davon vor allem die biomedizinische Forschung profitiert. Das umfangreichste Forschungsförderprogramm für die Biotechnologie nennt sich „Functional Genomics Programme“ (Funksjonell Genomforskning FUGE), in das mehr als die Hälfte der in Norwegen für Biotechnologie bereitgestellten Mittel fließen.

FUGE wurde 2002 gestartet und soll Ende 2011 auslaufen. Das Programm hat ein Gesamtbudget von rund 200 Mio EUR und bewilligt ein jährliches Budget von ca. 19 Mio EUR (zwischen 2003 und 2007 eigenen Angaben zufolge nur 17 Mio EUR) für Vorhaben der Grundlagenforschung, der roten und blauen Biotechnologie sowie ethische und soziale Fragestellungen. Es steht Unternehmen und öffentlichen Forschungseinrichtungen gleichermaßen offen.

Ab 2012 soll FUGE durch ein Programm für die Lebenswissenschaften fortgesetzt werden, das breiter ausgerichtet ist und sich den Anforderungen der gesellschaftlichen Veränderungen widmet. Dazu gehören dem Forschungsrat zufolge Veränderungen in Klima und Umweltbedingungen, neue Gesundheitsaspekte, Ernährung, aber auch die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft. Die geförderten Projekte sollen diese Problemstellungen überdies künftig global angehen und den weltweiten Forschungsstand widerspiegeln. Das Programm orientiert sich an den Erklärungen der OECD und der EU (2009) und soll Norwegen international wettbewerbsfähig machen. Mit einem breiter angelegten Programm soll der Fokus mehr auf ganzheitliche Ansätze im Sinne der Entwicklung einer Bioökonomie gelegt werden, wobei der Forschungsrat hofft, die bisherige Erkenntnisse aus der Biotechnologie für die Lösung künftiger Problemstellungen einsetzen zu können.  Diese neue Strategie für die norwegische Biotechnologie befindet sich im norwegischen Bildungsministerium noch in der Konzeptphase.

Die Bioökonomie soll auch hinsichtlich der Weiterentwicklung von Bioraffinerien stärker im Fokus stehen. So hat der Research Council die landwirtschaftlichen Institute diesbezüglich evaluiert. Das dabei entstandene Weißpapier enthält eine Empfehlung zu einer engeren Anbindung an die Universität für Lebenswissenschaften As, vor allem aber eine Verpflichtung auf mehr Wertschöpfung und den Ausbau der Bioökonomie. Mit diesen Zielvorgaben ist die Untersuchung ein richtungsweisendes Bekenntnis für eine Internationalisierung der norwegischen Forschungsbranche.

NCS: Stütze der norwegischen Krebsforschung

Essentiell für die biomedizinische Forschung ist außerdem die Norwegische Krebsforschungsgesellschaft (Kreftforeningen / Norwegian Cancer Society NCS), eine Freiwilligen-Wohlfahrtsorganisation, die neben Lobbyarbeit, Patientenberatung und Präventionsprogrammen auch Forschungsvorhaben fördert. Sie finanziert sich aus Spenden und Rücklagen der staatlichen Lottogesellschaft, und widmet laut Selbstverpflichtung etwa die Hälfte ihres Budgets der Forschung. 2009 wurden so 20 Millionen Euro an Forschungsvorhaben bewilligt ( NCS annual report 2009). Die Organisation finanziert eigenen Angaben zufolge den größten Teil der Krebsforschungsvorhaben im Land, von der Grundlagenforschung und Erforschung des Krankheitsverlaufs bis zu Tests neuer Therapien und Studien zu Häufigkeit und Auftreten von Krebs. 2009 lag der Fokus auf dem Verlauf von Krebstherapien bei älteren Patienten.

Darüber hinaus sind zahlreiche Forschungseinrichtungen in Norwegen im Kompetenznetzwerk ScanBalt vertreten, das sich aus Akteuren der Lebenswissenschaften- und Biotechnologiebranche in Nordeuropa zusammensetzt.

Politische und Rechtliche Rahmenbedingungen

Bis 2008 durften in Norwegen embryonale Stammzelllinien weder etabliert noch beschafft werden. Jegliche Forschung an Embryonen, befruchteten Eizellen und davon abgeleiteten Stammzelllinien war verboten. Das 1993 verfasste und 2003 aktualisierte Gesetz zur Anwendung von Biotechnologie in der Humanmedizin untersagte außerdem das Klonen von Embryonen oder anderweitige Methoden zur Beschaffung genetisch identischer Individuen, und schloss damit auch das therapeutische Klonen aus.

Dieses Gesetz wurde im Februar 2004 durch eine Fernsehübertragung in Frage gestellt: Hier wurde der Fall eines an Thalassämie erkrankten Kindes dargestellt, dessen einzige Chance in einer Stammzelltransplantation durch die Knochenmarkspende eines genetisch kompatiblen „Rettungsgeschwisterkindes“ lag. Der „Fall Mehmet“ änderte die Sicht auf die bis dato in Norwegen verbotene Präimplantationsdiagnostik (PID) und sorgte zunächst für eine Ausnahmegenehmigung von PID in besonderen Fällen. Die öffentliche Anteilnahme ebnete letztendlich den Weg für eine Gesetzesänderung im Jahr 2008. Seitdem dürfen auch – das Einverständnis der biologischen Eltern vorausgesetzt – bei einer künstlichen Befruchtung übrig gebliebene Embryonen und daraus gewonnene Stammzelllinien zu Forschungszwecken verwendet werden. Es ist allerdings nach wie vor verboten, Embryonen allein zu Forschungszwecken herzustellen. Auch das reproduktive Klonen ist in Norwegen nicht erlaubt.

Skeptisch gegenüber GVO

Weiterhin restriktiv ist die Gesetzgebung bei der Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Nach dem Gentechnologie-Gesetz von 1994 müssen GVO eine nachhaltige Entwicklung und einen sichtbaren Mehrwert für die Gesellschaft zeigen. Die Beurteilung der Nachhaltigkeit durch das Norwegian Biotechnology Advisory Board (NBAB) umfasst dabei Umweltrisiken und Auswirkungen auf die Biodiversität in Drittländern und die Integrität von Arten, Nachfrage, Problemlösungskapaziäten und nicht-GVO-Alternativen, die moralischen Standpunkte der Bevölkerung, insbesondere schwächere soziale Gruppen, Gesundheits- und Umweltrisiken. Letztere scheinen einer Studie über „Sozioökonomische Aspekte von GMOs“ zufolge (Armin Spök, 2010) auch die häufigste Ursache für Ablehnungen zu sein.

Im Oktober 2004 hat Norwegen seine Nulltoleranz-Politik gegenüber GVO-Produkten in der Landwirtschaft auf 0,9% geändert. Dieser Toleranzbereich bezieht sich jedoch nur auf „unabsichtliche“ Verunreinigungen und Importe; „absichtliche“ Verunreinigungen von Lebensmitteln sind nach wie vor verboten. In Norwegen findet kein Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen statt.

Zunehmend öffentliche Akzeptanz

Analog zur Gesetzgebung hat sich auch die öffentliche Einstellung gegenüber der Biotechnologie in Norwegen verändert. Dem aktuellen Eurobarometer-Bericht von 2010 zufolge finden inzwischen ein Drittel der Norweger, dass die Entwicklung genetisch veränderter Pflanzen vorangetrieben werden sollte, und 17 Prozent befürworten das Klonen von Nutztieren zur Ertragssteigerung. 2005 hatten sich die Norweger gerade in dieser Frage sehr kompromisslos gezeigt, weniger als zehn Prozent waren mit dem Klonen von Nutztieren einverstanden. Allgemein liegt Norwegen mit diesen Akzeptanzraten europaweit im oberen Drittel, die Bevölkerung in den anderen Staaten sieht den Einsatz von Gentechnik bei Lebensmitteln wesentlich skeptischer.

Auch die Haltung gegenüber dem medizinischen Einsatz biotechnologischer Methoden hat sich in Norwegen in den letzten Jahren gewandelt. 74 Prozent der Norweger befürworten die Forschung an embryonalen Stammzellen, ein auch im europäischen Vergleich hoher Wert. 80 Prozent der Norweger würden unter bestimmten Bedingungen persönliche medizinische Daten für eine Biobank freigeben. 2005 war die öffentliche Meinung wesentlich skeptischer. Dem Eurobarometer-Bericht von 2005 zufolge war die Gewinnung embryonaler Stammzellen für Organtransplantate für nur sechs Prozent der norwegischen Bevölkerung akzeptabel, gegenüber elf Prozent europaweit. Den Einsatz gentechnischer Methoden, um erblich belasteten Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen, lehnten 2005  fast 60% der norwegischen Bevölkerung rigoros ab. Es ist anzunehmen, dass die hohe Medienaufmerksamkeit für die Einzelschicksale Betroffener hier zu einem Stimmungsumschwung geführt hat. In der öffentlichen Akzeptanz gentechnischer Methoden hat Norwegen damit dem Eurobarometer-Bericht 2010 zufolge sogar das als sehr liberal geltende Großbritannien überholt.

Hintergrund

Unternehmen:  rund 100

Schwerpunkt: medizinische Biotechnologie (Krebsforschung), Bioraffinerie, Aquakultur

Branchenverband: Norwegian Bioindustry Association (NBA)www.biotekforum.no
Forschungsförderung: The Foundation for Scientific and Industrial Research at the Norwegian Institute of Technology (SINTEF) www.sintef.no; Research Council (Forskningsradet) www.forskningsradet.no

Rechtliche Grundlagen: Forschung mit Stammzellen erlaubt, keine Stichtagsregelung, PID gesetzlich geregelt, gv-Anbauverbot