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Glykobiotechnologie im Aufwind: Gute Nachrichten für deutsche Unternehmen

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Ein Eiweiß mit angehängten Zuckerstrukturen. Quelle: Glykostrukturfabrik

Ein gutes Dutzend deutscher Biotech-Unternehmen hat sich der Zuckerforschung verschrieben und setzt darauf, dass sich glykobiologische Ansätze langfristig auch wirtschaftlich auszahlen. Immerhin hat sich der Schweizer Pharmakonzern Roche die Übernahme der ebenfalls in der Schweiz ansässigen Biotech-Firma Glycart Biotechnology 143 Millionen Euro kosten lassen und die US-Merck legte für eine Allianz mit dem US-Unternehmen GlycoFi 295 Millionen Euro auf den Tisch. Beide Transaktionen gingen im Jahr 2005 über die Bühne, seitdem war es vergleichsweise ruhig bestellt um die Glykobiotechnologie. Doch nun scheint der deutsche Markt in Bewegung zu kommen, wie zwei Nachrichten aus dem Oktober beweisen:  Die ehemaligen Hexal-Gründer Thomas und Andreas Strüngmann haben 40 Millionen Euro in die auf Glykodesign spezialisierte Firma Glycotope in Berlin investiert, um deren klinische Entwicklung voranzutreiben. Die Heilbronner greenovation GmbH wiederum hat für den Aufbau eines Photobioreaktors im Industriemaßstab zur Herstellung zuckeroptimierter Biotech-Medikamente in Moosen die Sartorius Stedim Biotech als Partner gewinnen können. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter der Glykobiotechnologie? Das Themendossier gibt einen Einblick in die Welt der Zuckerforschung und deren Potenzial für die Zukunft.

Biomaterialien: Impulse für Innovationen

In dem Maße, wie die biomedizinische Forschung voranschreitet und neue Methoden zur Behandlung von Krankheiten entdeckt, spielt der Einsatz von Biomaterialien eine immer größere Rolle. Dabei versteht man unter Biomaterialien nicht nur Implantate und Prothesen, sondern auch alle weiteren Werkstoffkomponenten, die mit biologischen Systemen interagieren und dort eine Funktion übernehmen. Dazu zählen beispielsweise Materialien, die zur Züchtung von körpereigenen oder künstlichen Ersatzgeweben genutzt werden, oder polymere Partikel, die pharmakologische Wirkstoffe im Körper freisetzen können.

Damit solche Materialen aber auch tatsächlich beim Menschen eingesetzt werden können, dürfen keine Unverträglichkeiten wie Entzündungen oder Abstoßungsreaktionen auftreten. Die Erkenntnisse der Glykobiologen wurden hierbei lange vernachlässigt, doch inzwischen gibt es etliche Wissenschaftler in der Materialforschung, die auf Erfahrungen mit Zuckerstrukturen zurückgreifen und diese gezielt bei der Oberflächengestaltung einsetzen – schließlich hängt die Biokompatibilität von Materialien stark von ihrer chemischen Zusammensetzung und Oberflächenstruktur ab.

Reduktion der komplexen Dynamik von lebenden Zellen durch Modellsysteme

Viele lebende Zellen statten sich mit einer gelartigen Hülle aus, die eine beeindruckende Dicke von mehreren Mikrometern erreichen kann, starke Anlagerungen von Wassermolekülen zeigt (Hydratisierung) und an der Zellmembran befestigt ist. Diese sogenannten perizellulären Hüllen sind faszinierende selbstorganisierende Systeme. Sie spielen eine Rolle in vielerlei grundlegenden Prozessen der Zelle, wie ihrer Teilung, Migration, Haftung, in der Signalgebung oder im Stofftransport. Eine entscheidende Komponente der Hüllen ist Hyaluronan, ein langkettiger Zucker von bis zu mehren Mikrometern Länge.

Mehr Informationen zum Thema auf biotechnologie.de
Einblick in die Zuckerhülle lebender Zellen

Die in vivo-Untersuchung perizellulärer Hüllen stellt auch heute noch eine Herausforderung dar. Für eine genaue Analyse der physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die der Struktur und Funktion dieser Hüllen zugrundeliegen, ist es wünschenswert, von lebenden Zellen mit ihrer komplexen Dynamik zu kontrollierten Modellsystemen mit regelbarer Komplexität wechseln zu können. Wissenschaftler versuchen deshalb, auf Hyaluronan basierende Modellsysteme auf festen Oberflächen zu erstellen, um die Zellhüllen für biophysikalische ntersuchungstechniken zugänglich zu machen.

Schematischer Aufbau einer Zelloberfläch als Querschnitt durch die Zellmembran.Lightbox-Link

Das Bild zeigt den schematischen Aufbau einer Zelloberfläche als Querschnitt durch eine Zellmembran: In ihr sind die Glykoproteine und Glykolipide verankert und können mit der Umwelt interagieren. Biomaterialforscher wollen diesen Aufbau nachbauen.




Natürliche Oberflächen nachahmen

Ein weiterer Ansatz in der Biomaterialforschung besteht darin, mit Biohybridsystemen die natürlichen, mit Zuckern versehenen Oberflächen nachzuahmen. Auf diese Weise können Fremdmaterialien vor dem menschlichen Abwehrsystem wirksam getarnt werden. Darüber hinaus können Erkenntnisse aus der Zuckerforschung dazu beitragen, Materialien mit biologischen Funktionen auszustatten, durch die zelluläre Antworten wie Adhäsion, Wachstum und Differenzierung zellspezifisch und ortsgerichtet durch das eingesetzte Biohybridsystem eingeleitet wird. Hierbei werden zum Beispiel Verfahren verfolgt, die sowohl chemische als auch biologische Komponenten miteinander verknüpfen.

Einen solchen Weg beschreitet Lothar Elling von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen als leitender Professor in der Biomaterialforschung. Im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte, die durch die Europäische Union sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell unterstützt werden, soll die Herstellung von neuartigen biohybriden Grenzflächen vorangetrieben werden, bei denen auf der Oberfläche von Materialien eine sogenannte extrazelluläre Matrix (ECM) nachgebildet wird. Den Wissenschaftlern ist es dabei bereits gelungen, einen Baukasten aus Enzymen und bestimmten Lektinen, den Galektinen, zu erstellen. Dieser ermöglicht es, die Glykane der Zelloberfläche zu synthetisieren und Galektine auf ihre Bindungseigenschaft hin zu charakterisieren. Um die Oberfläche einer Zelle nachzuahmen, werden die Glykane dabei über geeignete chemische Gruppen auf den mit einem Hydrogel beschichteten Biomaterialien immobilisiert. Die auf dieser Zuckeroberfläche bindenden Galektine vermitteln die weitere Anbindung von Glykoproteinen der ECM – eine solche „layer-by-layer“ Technologie ermöglicht also zumindest den teilweisen Nachbau der ECM auf diesen Oberflächen.

Erste Zellexperimente mit Fibroblasten konnten zudem zeigen, dass die süßen Oberflächen angenommen werden. Zukünftige Arbeiten sollen dieses neue Prinzip der Biofunktionalisierung von Biomaterialoberflächen mit weiteren Zellexperimenten (verschiedene Zelltypen), mit der Einbindung weiterer humaner Galektine und mit der Synthese von verzweigten Kohlenhydratstrukturen weiter untermauern.

Großes Zuckermolekül dient als Vorbild für Gerüstmaterial

Ein anderer Ansatz in der Biomaterialforschung besteht darin, Zuckerstrukturen als Gerüstsubstanz bei der Züchtung von künstlichen Ersatzgeweben und Transplantaten zu nutzen. Solche Gerüste, die auch scaffolds genannt werden, bilden das Gewebe oder Organ nach, dienen als Träger für Zellen und sind eine mechanische Stütze für die Zusammenführung verschiedener Gewebe. Solche Organgerüste dürfen allerdings keinen permanenten Charakter haben, da sie die Funktion des Transplantats behindern würden. Im Idealfall werden deshalb Gerüste benutzt, die sich in einem geregelten Prozess parallel zur Bildung des künstlichen Organes zurück- bzw. abbauen – ohne dabei toxische Eigenschaften zu entwickeln.

Inzwischen haben Wissenschaftler ein im menschlichen Körper gebildetes großes Zuckermolekül, die Polysialinsäure, als mögliches Scaffold-Material identifiziert: Sie ist unter physiologischen Bedingungen sehr stabil und der Abbau kann über hoch spezifische Enzyme eingeleitet werden. Darüber hinaus ist es denkbar, die zahlreichen funktionellen Gruppen des Zuckers zu nutzen, um seine Eigenschaften gezielt auf organisch- und anorganisch-chemischem Wege zu verändern beziehungsweise für den jeweiligen Einsatz zu optimieren.

 

Hintergrund

Kostenlose Broschüre: Die Broschüre "Die Zukunft ist süß - Möglichkeiten der Glykobiotechnologie" informiert über neueste Trends der Zuckerforschung  und kann kostenlos bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.
Zum Bestellservice

Infos im Netz: Mehr Informationen zur Zuckerforschung in Deutschland www.glykostrukturfabrik.de

Auswahl an BMBF-Fördermaßnahmen, die für glykobiotechnologische Projekte offen stehen:

Arbeitsgruppenwettberb Glykobiotechnologie: Mit diesen Programm werden Nachwuchswissenschaftler unterstützt.
Mehr Informationen

KMU-Innovativ (Biotechnologie-BioChance): Mit diesem Programm werden kleine und mittlere Biotech-Unternehmen bei risikoreichen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen unterstützt.
www.kmu-innovativ.de/bio

GO-Bio: Diese Initiative förderte gründungsbereite Wissenschaftler aus den Lebenswissenschaften, um risikoreiche Projekte mit kommerziellem Potenzial den Weg zur Unternehmensgründung zu erleichtern.
www.go-bio.de

Unternehmen Region: Mit diesem, in mehrere Einzelinitiativen unterteilte Programm wird die regionale Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in den Neuen Bundesländern unterstützt.
www.unternehmen-region.de

Downloads

Die Zukunft ist süß - Möglichkeiten der Glykobiotechnologie

Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2007 Download PDF (2 MB) PDF online ansehen