Wochenrückblick KW 35

31.08.2009

Für menschliche Stammzellen genügt ein Gen

Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin (MPI) in Münster ist es erstmals gelungen, adulte Zellen des Menschen mit einem einzigen Gen zu Stammzellen rückzuprogrammieren. 

Menschliche iPS Zellen, die mittels eines Faktors (Oct4) aus neuronalen Stammzellen entstanden, wurden zu Zellen der glatten Muskulatur differenziert.Lightbox-Link
Menschliche iPS Zellen, die mittels eines Faktors (Oct4) aus neuronalen Stammzellen entstanden, wurden zu Zellen der glatten Muskulatur differenziert.Quelle: MPI für molekulare Biomedizin / Kinarm Ko

Den Münsteraner Forschern um Hans Schöler reichte dabei der Faktor Oct4, um menschliche Vorläuferzellen des Nervensystems in sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) zu verwandeln, wie sie im Fachmagazin Nature (Online-Vorabveröffentlichung) berichten. Die iPS-Zellen sind ähnlich wandlungsfähig wie embryonale Stammzellen. Im Februar 2009 war den MPI-Wissenschaftlern die Verwandlung mit nur einem Faktor schon bei Mäusen gelungen (mehr...).

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 Die Forscher hoffen, mit diesem Schritt der Entwicklung sicherer und ethisch unbedenklicher Stammzell-Therapien ein Stück näher gekommen zu sein. Denn erstens sind für die Gewinnung von iPS-Zellen keine embryonalen Zellen notwendig. Und zweitens sieht es so aus, dass mit jedem zusätzlichen Gen, das in eine Zelle eingeschleust wird, das Risiko einer späteren Entartung steigt. Die iPS-Technologie hat seit ihrer Entdeckung im Jahr 2006 durch japanische Wissenschaftler rasante Fortschritte gemacht. Vor drei Jahren waren noch vier Genfaktoren notwendig, um eine adulte Zelle zu einer iPS-Zelle umzuprogrammieren (mehr...).
Die MPI-Forscher schleusten den Oct4-Faktor nun mit Hilfe eines Retrovirus in menschliche neurale Vorläuferzellen ein, die seit Jahren als Zelllinie in der Kultur gezüchtet werden. Aus den so behandelten Kulturen isolierten die Forscher jene Zellen, die sich in iPS-Zellen verwandelt hatten. Nun hoffen die Wissenschaftler, aus anderen Zellarten ebenfalls iPS-Zellen zu gewinnen, um dann die Entstehung von Krankheiten an genau den Zellmodellen studieren zu können, die von den jeweiligen Krankheiten betroffen sind.

Genetischer Ursprung der Milchverträglichkeit liegt in Südosteuropa

Die Fähigkeit, Milch auch im Erwachsenenalter zu verdauen, ist vor etwa 7500 Jahren in einer Region zwischen dem zentralen Balkan und Mitteleuropa unter Milchwirtschaftsbauern entstanden - und nicht, wie bisher angenommen, in Nordeuropa.
Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des University College London (UCL) und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in einer neuen Studie, die im Fachmagazin PLoS Computational Biology (Online-Veröffentlichung, 28. August 2009) veröffentlicht wurde. Erwachsene Menschen konnten nicht schon seit eh und je Milch verdauen und ein großer Teil der Weltbevölkerung kann es auch heute noch nicht. Die Fähigkeit, den Milchzucker Laktose zu spalten, verliert sich normalerweise nach der Säuglingszeit. Dann geht die Bildung des Enzyms Laktase zurück, das den Milchzucker in verwertbare Zuckerarten aufteilt. Reine Milch kann dann kaum noch verdaut werden, sondern muss durch spezielle Prozesse wie Käse- oder Joghurtherstellung verträglicher gemacht werden. "Andere Völker haben die Milch-Intoleranz sozusagen kulturell gelöst", erläutert Joachim Burger vom Institut für Anthropologie der Universität Mainz. "Unter unseren jungsteinzeitlichen Vorfahren in Mitteleuropa hat sich dagegen eine Genmutation herausgebildet, die sogenannte Laktasepersistenz.“

Die ersten Europäer, die auch als Erwachsene Kuhmilch vertrugen, kamen aus dem heutigen Österreich, Slowenien und Ungarn.Lightbox-Link
Die ersten Europäer, die auch als Erwachsene Kuhmilch vertrugen, kamen aus dem heutigen Österreich, Slowenien und Ungarn.Quelle: Yuval Itan

Anhand dieses Wissens und mithilfe einer Computersimulation haben die Forscher nun die historische Verbreitung Milchwirtschaft betreibender Ackerbauern bestimmt, die von Jäger- und Sammlerpopulationen umgeben sind. "Wir gehen jetzt davon aus, dass die Milch-Verträglichkeit im Gebiet des heutigen Ungarn, Österreichs oder der Slowakei aufgekommen ist, vielleicht in der Kultur der Linearbandkeramiker, und sich von dort aus mit unglaublicher Durchsetzungskraft unter der gesamten mittel- und nordeuropäischen Bevölkerung verbreitet hat", erklärt Burger.  Wie genau sich die neue Fähigkeit verbreitet hat und mit dem Aufkommen der Tierhaltung - die ersten Hausrinder kamen vor ungefähr 8000 Jahren aus Anatolien nach Europa - einherging, muss noch untersucht werden.

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Die Milch-Verträglichkeit unter Erwachsenen liegt bei durchschnittlich 60 Prozent in Mitteleuropa im Vergleich zu nur 20 Prozent in Südeuropa und einer nahezu kompletten Milch-Unverträglichkeit in den meisten anderen Regionen der Welt. Bisher herrschte die Annahme vor, dass die Genmutation erstmals in Nordeuropa auftrat. "Die heutige Verteilung der Genmutation hätte diesen Rückschluss begünstigt, liegt doch die Milch-Verträglichkeit unter Nordeuropäern in Skandinavien und Irland bei rund 90 Prozent", sagt Mark Thomas vom britischen UCL.

Regeneration des Sehnervs: Neuer Therapieansatz für Grünen Star

Eine Verletzung des Sehnervs ist bisher endgültig. Ulmer Forscher konnten in Mäusen jetzt eine körpereigene Reparatur einleiten.
Schädigungen des Sehnervs, die zum Beispiel durch Unfälle, Tumore oder verschiedene neurodegenerative Erkrankungen ausgelöst werden können, bedeuten meistens, dass der Patient blind wird und es auch bleibt. Denn die sogenannten retinalen Ganglienzellen erneuern sich bei einer Verletzung nicht mehr. Sind ihre Axone, die als Leitungen die visuelle Signale von der Netzhaut zum Gehirn weiterleiten, einmal durchtrennt, sterben sie nach einigen Tagen bis Wochen ab.

Regenerierende Axone von Retinalen Ganglienzellen (grün), die in den den verletzten Sehnerven einwachsen. Die Verletzungsstelle des Nervs ist mit einem roten Stern gekennzeichnet.Lightbox-Link
Regenerierende Axone von Retinalen Ganglienzellen (grün), die in den den verletzten Sehnerven einwachsen. Die Verletzungsstelle des Nervs ist mit einem roten Stern gekennzeichnet.Quelle: Universität Ulm

Forscher um Dietmar Fischer von der Experimentellen Neurologie der Universität Ulm  (mehr...) entdeckten vor einigen Jahren, dass eine Verletzung der Linse große Auswirkungen auf die Regenerationskraft der Ganglienzellen hat. 

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Plötzlich bilden sie nämlich wieder frische Axone aus, die in den verletzten Sehnerv wachsen. Die Wissenschaftler fanden schließlich auch zwei Faktoren, die diese Regeneration auslösen. Doch ohne eine Verletzung der Linse gelang es bisher nicht, den heilsamen Prozess in Gang zu setzen. 
Mit der Zugabe eines Botenstoffs haben die Wissenschaftler nun genau das geschafft, wie sie im Fachblatt Investigative Ophthalmology and Visual Science (Online-Vorabveröffentlichung, 6. August 2009) berichten. Durch die Injektion des sogenannten PamCys-Faktors, der an einen bestimmten Rezeptor in den Nervenzellen bindet, fingen die Zellen an, neue Verbindungen auszubilden. Noch sind die Versuche auf Mäuse beschränkt. Sollte sich das Experiment bei menschlichen Zellen wiederholen lassen, könnte damit ein neuer Therapieansatz etwa für den Grünen Star gefunden worden sein, hoffen die Wissenschaftler.

Neue Ausrüstung für die Genwerkstatt

Dresdner Forscher haben ein neues Präzisionswerkzeug für die Arbeit im Erbgut entwickelt.
Die Wissenschaftler um Francis Stewart vom Biotec-Zentrum der Technischen Universität Dresden testeten das Enzym Dre recombinase erfolgreich als neues Werkzeug, um Gene in das Erbgut von Zellen einzuschleusen, herauszuschneiden oder stillzulegen. Die Methode funktioniert an ganz bestimmten Orten des Erbgutes, sogenannten rox-Stellen. Damit könnten Mausmodelle entstehen, in denen diese spezifischen Gensequenzen mit einer bisher unerreichten Genauigkeit ausgeschaltet worden sind.

BIOTEC an der TU Dresden

Am interdisziplinären Biotech-Zentrum der Universität Dresden arbeiten Forscher aus 35 Ländern in 13 Arbeitsgruppen.
zur Gruppe von Francis Stewart: hier klicken

Das Standardwerkzeug für die Erstellung sogenannter Knock-out-Modelle, in denen bestimmte Gene zu Testzwecken deaktiviert sind, ist das Enzym Cre-loxP. Das enue Enzym Dre arbeitet nun ganz ähnlich wie Cre, doch verändert die Gene nur an der Stelle, die spezifisch für Dre markiert sind. Stellen, die für Cre markiert sind, werden dagegen ignoriert. Diese Zielstrebigkeit eröffnet ganz neue Perspektiven. Denn das neue Dre-rox-Werkzeug kann in Verbindung mit Cre-loxP problemlos eingesetzt werden, schreiben Stewart und seine Kollegen im Fachblatt Disease Models Mechanisms (September/Oktober-Ausgabe 2009, noch nicht online verfügbar). Die beiden Enzyme scheinen sich nicht zu beeinflussen. Durch die Kombination der beiden genetischen Helfer lassen sich nun Mausmodelle entwerfen, deren Gene an verschiedenen Stellen unabhängig voneinander kontrolliert werden können, hoffen die Wissenschaftler. Das könnte dann zum besseren Verständnis des Zusammenspiels verschiedener Gene bei der Entstehung von Krankheiten führen.

Klaus Cichutek neuer Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts

Klaus Cichutek wird neuer Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) im hessischen Langen.
Seit 2001 ist der 53-Jährige bereits Vizepräsident des Instituts, am 1. Dezember wird er nun Johannes Löwer ablösen, der nach acht Jahren in den Ruhestand geht. Der Biochemiker wurde nun vom Bundespräsidenten Horst Köhler auf Vorschlag des Bundeskabinetts ernannt.

Klaus Cichutek rückt im Dezember an die Spitze des Paul-Ehrlich-Instituts auf.Lightbox-Link
Klaus Cichutek rückt im Dezember an die Spitze des Paul-Ehrlich-Instituts auf.Quelle: PEI

Cichutek ist schon seit 1988 am PEI beschäftigt. Als Wissenschaftler arbeitete er unter anderem in der Aids-Forschung, veröffentlichte Arbeiten zur Arzneimittelzulassung und forschte über Gentherapie. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt begrüßte die Kontinuität am PEI. Eine reibungslose Staffelübergabe sei besonders bei der laufenden Bekämpfung der derzeitigen Influenza-Pandemie bedeutend. "Mit Herrn Professor Cichutek übernimmt ein überaus erfahrener und international anerkannter Wissenschaftler die Leitung des Paul-Ehrlich-Institutes“, sagte Schmidt.

Paul-Ehrlich Institut
Das Paul-Ehrlich-Institut ist das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. So informiert es auch über die Test für den Impfstoff gegen die Schweinegrippe.

zum PEI
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Das 1896 in Steglitz bei Berlin gegründete PEI ist eine Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland. Es gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Im Rahmen des Arzneimittelgesetzes ist es auf nationaler Ebene für die Genehmigung klinischer Prüfungen und die Zulassung vor allem biomedizinischer Arzneimittel zuständig: Impfstoffe für Mensch und Tier, Antikörper enthaltende Arzneimittel, Allergene für Therapie und Diagnostik, Blut und Blutprodukte und seit jüngster Zeit Gewebe sowie Arzneimittel für Gentherapie, somatische Zelltherapie und xenogene Zelltherapie, also für Verfahren forschungsnaher biomedizinischer Behandlung. Darüber hinaus arbeiten PEI-Experten in Gremien der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA - wie etwa bei dem Anfang 2009 geschaffenen CAT (mehr...).

Grüne Gentechnik wirbelt Wahlkampf auf

Die Pflanzengentechnik hat den Wahlkampf erreicht. Der SPD-Schattenagrarminister Udo Folgert stolpert wegen der Unterstützung der gv-Industriekartoffel Amflora, Annette Schavan bekommt gentechnikkritischen Gegenwind aus dem eigenen Wahlbezirk.
"SPD will die Genkartoffel" - das verkündete die "tageszeitung" in großen Lettern auf der Titelseite der Ausgabe vom 27. August. Grundlage dieses Verdikts war eine Aussage von Udo Folgart, dem Schatten-Agrarminister von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.

Udo Folgarts Unvoreingenommenheit zur gv-Indsutriekartoffel Amflora animierte die taz zu einer Titelseite. Lightbox-Link
Udo Folgarts Unvoreingenommenheit zur gv-Indsutriekartoffel Amflora animierte die taz zu einer Titelseite. Quelle: taz

Im Gespräch mit taz-Reportern soll er gesagt haben: "Man sollte darüber nachdenken, den Anbau einer Kartoffelsorte Amflora zuzulassen." Das steht im Widerspruch zur bisherigen Linie der SPD, die sich kritisch gegenüber der Pflanzengentechnik positioniert hat. Folgart selbst erklärte indessen, seine Aussagen in dem Interview seien überspitzt wiedergegeben worden. Außerdem habe er den Text nicht autorisiert. Jedenfalls scheint das Thema geeignet, dem ansonsten träge dahinplätschernden Wahlkampf etwas Fahrt zu verleihen.

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Die Grünen erklärten Folgart in Wahlkampf-Wallung schon zum "simplen Lobbyisten für Gentechnik". SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber hält die Aussage für den Ausrutscher eines Parteilosen. Wenn man auf Seiteneinsteiger setze, sagte Kelber gegenüber der Nachrichtenseite "Spiegel online", müsse man akzeptieren, dass diese "an bestimmten Stellen auch eine abweichende Meinung" hätten. Inhaltlich habe sich nichts geändert. "Wir wollen den Anbau von Amflora nicht", die Gentechnik in der Landwirtschaft bringe mehr Probleme als Nutzen.
Unterdessen bekommt Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), die sich für ein gleichberechtigtes Miteinander aller Pflanzentechnologien ausspricht (mehr...), Gegenwind aus ihrem eigenen Wahlbezirk zu spüren. In Ulm will der Verband Katholisches Landvolk (VKL) zusammen mit weiteren Organisationen am 13. September eine Kundgebung unter dem Motto „Vielfalt ernährt die Welt … natürlich ohne Gentechnik“ ausrichten. Die Veranstalter fordern ein bundesweites Anbau- und Fütterungsverbot für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen. Schavan ist das katholische Milieu nicht fremd. Sie studierte Theologie in Bonn und Düsseldorf und war Geschäftsführerin der Frauen-Union sowie der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk.