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Dietmar Fischer: Ein folgenreicher Zufall

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Dietmar Fischer ist Juniorprofessor am Universitätsklinikum Ulm. Quelle: Universität Ulm

12.07.2007  - 

Am Anfang führte der Zufall Regie. Da entdeckte der Doktorand Dietmar Fischer schier Unglaubliches, nämlich dass verletzte Nervenzellen nachwachsen, wenn zuvor die Linse des Auges verletzt wird. Das ist sieben Jahre her. Seither hat Fischer, inzwischen Juniorprofessor am Universitätsklinikum Ulm, beharrlich zu erklären versucht, welcher Mechanismus diesem Prozess zugrunde liegt. Daraus will der promovierte Pharmazeut Therapien entwickeln. Am Tiermodell gelangen ihm viel versprechende Ergebnisse. Sogar ein neues Gen hat der 35-jährige Forscher entdeckt.

Die Begeisterung für Fischers Forschungsgebiet weckte sein Doktorvater und die Vorstellung, dort zu arbeiten, wo es bislang noch keine Therapien gibt wie bei Rückenmarksverletzungen oder anderen Verletzungen des Zentralen Nervensystems (ZNS). „Meine große Motivation war und ist es, irgendwann dazu beizutragen, Therapien zu entwickeln, mit denen Patienten geholfen werden kann“. Ursprünglich wollte Fischer wissen, warum neurotrophe Faktoren den Verfallsprozess verletzter Nervenzellen in der Netzhaut (retinaler Ganglienzellen) abschwächen, wenn sie in den Glaskörper des Auges appliziert werden. Heute weiß Fischer, dass ihn dieser Ansatz nicht weit gebracht hätte.

Ein Zufallsfund und heimliche Experimente

Ein glücklicher Umstand kam dem damaligen Doktoranden im Labor zu Hilfe: „Ich habe damals bei der Injektion versehentlich die Linse verletzt. Es war vielleicht Glück, dass ich relativ wenig Erfahrung hatte und unbekümmert an diese Thematik herangegangen bin. Ich hatte in unterschiedlichen Assays (mit denen Regeneration gemessen wurde) erkannt, dass ich damit eine starke Regeneration induziert habe. Anfangs wusste ich nicht, woran das lag. Doch ich habe weitere Experimente durchgeführt, um dies herauszufinden. Als ich mit den Daten zu meinem Doktorvater ging, war dieser begeistert.“

Fischers Forschungsobjekte im Visier: Nervenzellen der Netzhaut. Rot: Diese Zellen sind mit einem Antikörper gefärbt. Grün: diesselben Zellen, die ein künstlich induziertes Protein bilden. Gelb: Überlagerung beider Bilder.Lightbox-Link
Fischers Forschungsobjekte im Visier: Nervenzellen der Netzhaut. Rot: Diese Zellen sind mit einem Antikörper gefärbt. Grün: diesselben Zellen, die ein künstlich induziertes Protein bilden. Gelb: Überlagerung beider Bilder.Quelle: Dietmar Fischer

Fischer hatte sein Forschungsgebiet gefunden und seither lässt ihn die Frage nicht mehr los, was diese Regeneration ausgelöst hat. Seine Publikation im Jahr 2000 schlug Wellen. Nie zuvor war es einer anderen Behandlung gelungen, die Nervenzellen stärker zu schützen und wieder in einen aktiven Regenerationszustand zu versetzen, so dass diese wieder faserartige Fortsätze (Axone) ausbilden konnten.

Von Boston nach Ulm aus patriotischen Gründen

Wie’s der Zufall wollte, veröffentlichte zeitgleich mit Fischer eine Gruppe der Harvard Medical School dieselben Ergebnisse. Dort forschte der junge Wissenschaftler von 2001 bis 2004 weiter, bevor er dann an der Ulmer Uni seit 2004 in der Abteilung Neurologie eine Juniorprofessur antrat.

Dass er zurückgekehrt ist, bereut er trotz der hervorragenden Forschungsbedingungen an der Harvard Medical School dennoch nicht. Als mit deutschen Steuergeldern üppig ausgestatteter Wissenschaftler hält er es für seine patriotische Pflicht, der Heimat mit seiner Forschung die Unterstützung zu vergelten.

Welche Gene bei seiner Zufallsentdeckung in diesen regenerierten Zellen an- und abgeschaltet waren, wollte Fischer mit Hilfe einer aufwändigen Micro-Array-Studie klären. Darüber wurde der Forscher zum Gen-Entdecker. Aus den 16.000 durchmusterten Genen siebte Fischer 94 heraus. Darunter fanden sich auch solche, die noch niemand zuvor charakterisiert hatte.

Normalerweise regenerieren Nervenzellen in verletzten (mit Sternchen markierte Stelle) Sehnerven nicht. (oben) Nach Behandlung mit einer Linsenverletzung können Axone wieder nachwachsen. (unten)Lightbox-Link
Normalerweise regenerieren Nervenzellen in verletzten (mit Sternchen markierte Stelle) Sehnerven nicht. (oben) Nach Behandlung mit einer Linsenverletzung können Axone wieder nachwachsen. (unten)Quelle: Dietmar Fischer

Die Tochter wird zum Namenspatron

Diese Gene zu identifizieren und zu charakterisieren ist eines der wesentlichen Ziele von Fischers Labor. Eines davon heißt LINA. Es trägt den Namen von seiner Tochter, weil es an ihrem ersten Geburtstag entdeckt und geklont wurde.

LINA steht für „Lens injury induced factor with neurite outgrowth promoting activity“ und scheint besonders wichtig für das Nachwachsen verletzter Nervenfasern zu sein. Das haben gentherapeutische Versuche an der Ratte ergeben, die in Fischers Labor selbst durchgeführt werden. LINA gibt es übrigens auch beim Menschen und ist demjenigen der Ratte sehr ähnlich.

Inzwischen hat Fischer sekundäre Prozesse entdeckt, die nach der Linsenverletzung ablaufen und sich möglicherweise als Therapieansatz eignen, um die Regenerations-Effekte der Linsenverletzung zu imitieren. An der Ratte habe dies bereits funktioniert.

Trotz „vielversprechender Ergebnisse“ am Tiermodell (Ratte) auf die Frage, ob sich diese auf den Menschen übertragen lassen, antwortet der Naturwissenschaftler zuerst mit einem vorsichtigen „Vielleicht“, macht daraus ein „Wahrscheinlich“, beendet aber schließlich alle Spekulationen mit den Worten: „Wir wissen es nicht. Das sollten alle Forscher sagen, bevor nicht Studien am Menschen durchgeführt werden.“

Dass Fischers Erkenntnisse weitreichende (therapeutische) Folgen haben könnten, weiß dieser wohl. Denn das Auge lässt sich nach Fischers Worten als Modell begreifen. Die Mechanismen, die dort ablaufen, können prinzipiell auch auf andere Verletzungen des ZNS, Parkinson, Hirnverletzungen oder Schlaganfall übertragen werden. Noch aber muss der genaue Wirkmechanismus besser verstanden sein. Fischer ist zuversichtlich: „Wir sind auf einem guten Weg“.

Eine Therapie allein führt nicht zum Ziel

Normalerweise können Nervenzellen wegen der hemmenden Faktoren im Myelin und der Narbe an der Verletzungsstelle nicht nachwachsen. Damit diese Inhibitoren erkannt werden, sind Rezeptoren nötig. Diese in ihrer Funktion zu stören, gelang Fischer auf einem gentherapeutischen Weg: Die Nervenzellen wuchsen auf diese Weise in Myelin hinein und überwanden die Narbe.

Nach Fischers Worten reicht es aber nicht aus, nur diese Signalwege auszuschalten. Zuvor müssen die Nervenzellen zum axonalen Wachstum stimuliert sein. Erst diese Kombination kann zu „therapeutisch relevanter Regeneration“ führen. Diese Erkenntnis setzt sich jetzt allmählich immer mehr durch und Fischer fühlt sich dadurch in seinem Weg bestätigt.

Mehrere Strategien auf dem Weg zu Therapien

Gemeinsam mit seinem siebenköpfigen Team verfolgt er mehrere Strategien auf dem Weg zu möglichen Therapien. Der Wirkmechanismus einer Linsenverletzung muss weiter analysiert, LINA biochemisch charakterisiert und mit anderen Forschergruppen in Rückenmarksmodellen getestet werden. Gut möglich, dass Fischer noch weitere Gene entdeckt, die bei der Regeneration von Nervenzellen eine wichtige Rolle spielen.

Auch wenn Fischer kein klassischer Grundlagenforscher ist und als Pharmazeut im Tiermodell immer die Nähe zur Anwendung sucht – noch reicht die Regeneration von Nervenzellen nicht bis ins Zielgebiet. Womöglich ließe sich der Fortschritt beschleunigen, wenn man weiter hinten im Auge, jenseits des Chiasmas ansetzt, dort wo sich die Sehnerven an der Hirnbasis kreuzen. Aus eigener Erfahrung weiß Fischer inzwischen nur zu gut: „Vieles ergibt sich aus dem Zufall heraus – gute Entdeckungen sind meistens Zufallsentdeckungen.“

Quelle: Erstveröffentlichung unter www.bio-pro.de

 

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