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Von der Hautzelle zur Stammzelle: Umprogrammierung mit gentechnischen Tricks

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Bei Mäusen hat es bereits geklappt: Die Herstellung vielseitig einsetzbarer Stammzellen, ohne Embryonen zerstören zu müssen. Quelle: Whitehead Institute for Biomedical Research, Cambridge

12.06.2007  - 

Es klingt wie eine Vision: Vielseitige, embryonale Stammzellen gewinnen – ganz ohne auf Eizellen zurückgreifen zu müssen oder Embryonen zu zerstören. Bereits im vergangenen Jahr hatten japanische Forscher um Shinya Yamanaka der Universität Kyoto eine solche Methode vorgestellt. Sie nutzten dabei lediglich vier Gene, mit deren Hilfe sich normale Körperzellen von Mäusen in Zellen umprogrammieren ließen, die viele Eigenschaften von embryonalen Stammzellen aufwiesen. Damals jedoch war das Verfahren noch nicht sehr effizient und die Zellen noch nicht gänzlich mit „echten“ embryonalen Stammzellen vergleichbar. Wie die japanischen Forscher nun zeitgleich mit zwei weiteren Teams in den Fachmagazinen Nature und Cell Stem Cell berichten, sind diese Probleme nun offenbar behoben. Alle drei Gruppen konnten eine verfeinerte Technik des Verfahrens nun erfolgreich an Mäusen durchführen – neben den Japanern auch ein Team um den deutschen Stammzellforscher Rudolf Jänisch, der derzeit am Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge arbeitet.

Als die Japaner um Yamanaka vor zehn Monaten erstmals ihre Methode der Fachöffentlichkeit vorstellten, herrschte zunächst Skepsis: Der Rückgriff auf lediglich vier Gene erschien vielen Experten fast zu einfach. Jahrelang hatten Wissenschaftler embryonale Stammzellen darauf getestet, welche Gene und welche Genprodukte letztlich entscheidend für die Pluriputenz sind – jene Vielseitigkeit, die embryonale Stammzellen die Fähigkeit verleiht, sich in jeglichen Zelltyp eines Organismus zu verwandeln. Aufgrund dieser Wandlungsfähigkeit gelten sie insbesondere in der Medizin als künftige Hoffnung, um Patienten aus eigenem Gewebe maßgeschneiderten Ersatz zu verschaffen und dabei nicht auf fremde Zellen zurückgreifen zu müssen. Um solche Stammzellen zu gewinnen, müssen bisher jedoch menschliche Eizellen benutzt und Embryonen zerstört werden – die Suche nach alternativen Methoden ist deshalb seit Jahren im Gange.

Stammzellforscher Rudolf Jänisch vom Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge erklärt in einem Video seine aktuellen Arbeiten.Quelle: Whitehead Institute for Biomedical Research, Cambridge

Aus vielen Kandidanten vier entscheidende Gene herausgefiltert

Im vergangenen Jahr identifzierten die Japaner schließlich auf der Basis von Experimenten mit embryonalen Stammzellen aus 24 möglichen Kandidatengenen die vier entscheidenden: Oct4, Sox2, c-Myc und Klf4. Von diesen war bereits bekannt, dass sie Schlüsselstellen in der Regulation von anderen Genen einnehmen: Auf ihnen sind die Baupläne von wichtigen Eiweißen gespeichert, sogenannten Transkriptionsfaktoren, die bei einer Reihe von entscheidenden Entwicklungsprozessen der Zelle entscheidend sind. Die Japaner taten nun folgendes: Sie schleusten diese vier Gene mithilfe von speziellen Viren, sogenannten Retroviren, ins Erbgut von normalen, ausgereiften Hautzellen von Mäusen ein – mit dem Ziel diese Zellen wieder in einen wandelbaren, stammzellähnlichen Zustand zurückzuprogrammieren. Wie die Veröffentlichung im Fachmagazin Cell (2006, Vol. 126, S. 663-676) zeigte, war dieses Experiment offenbar geglückt.

Erste Ergebnisse noch mit Skepsis aufgenommen

Allerdings konnten diese ersten Ergebnisse die Fachwelt nicht gänzlich überzeugen: So glichen die Eigenschaften der durch diese Verjüngungskur entstandenen Zellen nur zum Teil den vielseitigen Fähigkeiten von natürlichen, embryonalen Stammzellen. Zudem erwies sich das Verfahren als nicht sehr effizient. „Das Potential ist groß, doch der endgültige Beweis ist noch nicht erbracht“, kommentierte damals Stammzellexpertin Anna Wobus vom IPK in Gatersleben.

Umprogrammierte Hautzellen der Maus: Unter dem Mikroskop sehen sie embryonalen Stammzellen sehr ähnlich.Lightbox-Link
Umprogrammierte Hautzellen der Maus: Unter dem Mikroskop sehen sie embryonalen Stammzellen sehr ähnlich (siehe Foto unten).Quelle: Whitehead Institute for Biomedical Research

In ihrem neuesten Artikel im Fachmagazin Nature (2007, 6. Juni online) berichten die Japaner nun von einer verfeinerten Technik, die zudem bei zwei unabhängig davon arbeitenden Gruppen um Rudolf Jänisch vom Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge (ebenfalls in Nature online am 6. Jnui 2007 veröffentlicht) und Konrad Hochedlinger vom Harvard Stem Cell Institute (7. Juni im Fachmagazin Cell Stem Cell) zu vergleichbaren Ergebnissen geführt hat. Die Wissenschaftler bezeichnen die auf diese Art gewonnen Zellen als „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS). Aus der Sicht der Japaner ist die zweite iPS-Generation nun ein Meilenstein in der Forschung. „Für uns ist das eine große Erleichterung, weil viele unsere ersten Ergebnisse angezweifelt hatten, besonders nach dem Hwang Skandal“, betont Yamanaka gegenüber Nature in Anspielung auf die gefältschen Klonexperimente des koreanischen Forschers Woo Suk Hwang. „Dass schon jetzt gleich drei Labore diese komplexe chemische Reaktion nachahmen und direkt von Körperzellen zu Stammzellen gelangen können, hat große Tragweite“, kommentiert Rudolf Jänisch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

So sehen embryonale Stammzellen von Mäusen aus, die durch bisherige Techniken gewonnen wurden.Lightbox-Link
So sehen embryonale Stammzellen von Mäusen aus, die durch bisherige Techniken gewonnen wurden.Quelle: Whitehead Institue für Biomedical Research, Cambridge

Der deutsche Stammzellforscher arbeitet derzeit am Whitehead Institute for Biomedical Research und hat mithilfe der Technik aus Japan ebenfalls Hautzellen in Stammzellen umprogrammiert. „Es ist unglaublich, einfach verblüffend“, sagt auch Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für Biomedizn in Münster. „Für mich ist das wie bei Dolly (dem ersten geklonten Säugetier). Es ist diese Art von Errungenschaft“, wird er in Nature zitiert.

Neuen Experimente mit verfeinerter Technik

Anders als bei den früheren Experimenten wurde die ursprüngliche Technik verfeinert und nun aus dem Gemisch von umprogrammierten Hautzellen diejenigen herausgefiltert, deren Pluripotenz nach dem Einschleusen der vier Gene besonders stabil war. Die Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen zeigen dabei, dass der Prozess der Umprogrammierung offenbar ein allmählicher Vorgang ist, der schrittweise abläuft – die vier Gene werden lediglich zum „Anschieben“ gebraucht und bereits nach kurzer Zeit wieder stillgelegt. Sie initiieren dabei einen Verjüngungsprozess, der auf die Veränderung der chemischen Verpackung des Erbguts abzielt – auf die sogenannten epigenetischen Markierungen. Diese werden bei der Umprogrammierung offenbar erneuert und exakt so rückgängig gemacht, dass die so entstandenen Zellen im Ergebnis molekularbiologisch und morphologisch embryonalen Stammzellen gleichen. „Selbst beim strengsten unserer Tests kam heraus, dass unsere reprogrammierten Stammzellen sich von Stammzellen aus Embryonen nicht unterscheiden. Wir bekommen mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit reprogrammierte Zellen“, erklärte Rudolf Jänisch in einem Interview in der FAZ.

Das Klonen basiert auf dem somatischen Zellkerntransfer: Dabei wird der Zellkern einer Eizelle entfernt und durch den Zellkern einer Körperzelle ersetzt.Lightbox-Link
Das Klonen basiert auf dem somatischen Zellkerntransfer: Dabei wird der Zellkern einer Eizelle entfernt und durch den Zellkern einer Körperzelle ersetzt.

Vor zehn Jahren wurde mit dem Schaf Dolly das erste Säugetier geklont. In naher Zukunft werden erste Klonprodukte in den USA erwartet. Wohin geht die Reise heute? Im Dossier zu diesem Thema finden Sie mehr Informationen.

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Keine direkte therapeutische Anwendung

Gänzlich ungefährlich ist der gentechnische Eingriff in das Erbgut der Körperzellen jedoch nicht. Zwei der eingeschleusten Gene sind als krebsauslösend bekannt und tatsächlich haben die Japaner in ihren Experimenten Hinweise auf solche Entwicklungen erhalten. So haben ein Fünftel der Mäuse, die aus den umprogrammierten Hautzellen hergestellt worden waren, Krebsgeschwülste entwickelt. Für eine direkte therapeutische Anwendung am Menschen kommen solche Zellen also nicht in Frage – zumal die Methode überhaupt erst an menschlichen Zellen überprüft werden muss. „Niemand würde auf die Idee kommen, Zuchtgewebe aus solchen Zellen einem Menschen einzuspritzen“, betont denn auch Jänisch im FAZ-Interview. Stattdessen verfolgen die Wissenschaftler langfristig eine andere Strategie. Sie wollen nicht nur den Beweis erbringen, dass ihr an Mäusen erprobtes Verfahren auch tatsächlich beim Menschen funktioniert, sondern auch herausfinden, welche Gen- und Stoffwechselpfade aktiviert werden müssen, um den gleichen Prozess ohne massive genetische Eingriffe ins Erbgut stattfinden zu lassen. Dafür werden nun große chemische Molekülbibliotheken durchsucht. „Ziel ist es, Medikamente zu finden, um die Zelle auf den Weg zurück zur embryonalen Stammzelle zu schicken“, so Jänisch.

Forscher: Klonen immer noch wichtig

Auf die Forschung mit Eizellen und den Einsatz des Klonens wird die Forschung seiner Ansicht nach allerdings nicht verzichten können. „Ich habe große Sorge, dass unsere Ergebnisse politisch missbraucht werden, um die bereits laufende Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu diskreditieren. Das wäre fatal. Wir brauchen diese Zellen als goldenen Standard, nur von ihnen können wir lernen, was natürlicherweise passiert.“ Für die gleiche Besonnenheit im politischen Umgang der neuesten Ergebnisse spricht sich auch Hans Schöler in einem Essay in der FAZ aus: „Meine Hoffnung ist nun, dass man erkennt, dass durch Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen tatsächlich effiziente alternative Methoden entwickelt werden können, die zukünftig Embryonen für die Gewinnung pluripotenter Zellen überflüssig machen.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will nun noch vor der Sommerpause zusätzlich fünf Millionen Euro ausloben, damit deutsche Wissenschaftler Anschluss an die neuesten Erkenntnisse finden. „Am Geld wird es nicht scheitern“, sagte Forschungsministerin Annette Schavan der FAZ.

 

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