HIV-Wirkstoff aus Pharmapflanzen: Gerangel um klinische Studie
18.06.2009 -
Bislang gibt es für den Menschen noch keine Arznei, die in gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt wird. Doch die Forschungen daran schreiten immer weiter voran. Gleich mehrere Projekte verfolgt das akademisch geführte europäische Konsortium Pharma Planta. Nun steht ein erster Kandidat zur Prävention der Immunschwächekrankheit Aids vor den ersten klinischen Tests am Menschen. Seit einem Jahr ringen die Wissenschaftler jedoch mit der europäischen Arzneimittelagentur EMEA um die Vorbereitung der Studien. Größter Streitpunkt: die Beratungskosten.
Pharma Planta ist eigentlich ein Paradebeispiel für wissenschaftliche Synergieeffekte: Das Konsortium vereinigt 32 Partner, davon 28 Forschungseinrichtungen. Dazu zählt auch das Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) in Aachen, dessen Direktor Rainer Fischer die wissenschaftliche Leitung des Konsortiums innehat. Administrativ wird Pharma Planta von Julian Ma geleitet, Molekularimmunologe an der St. Georges Medical School von der Universität London. Beteiligt sind auch die Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge sowie zahlreiche Universitäten aus Europa und Südafrika. Schwerpunkt der Pharma-Planta-Forschung sind Medikamente gegen Tollwut, HIV und Tuberkulose, die in gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden sollen. Von 2004 bis 2009 wurde das Konsortium von der Europäischen Kommission mit 12 Millionen Euro gefördert.
Jetzt könnte ein erster Kandidat in klinischen Studien getestet werden: Der Antikörper 2G12 soll den Aids-Erreger HIV hemmen und beispielsweise in Vaginalgelen zum Einsatz kommen, das Frauen vor dem Geschlechtsverkehr auftragen können. Hergestellt werden soll der Antikörper in für diese Zwecke gentechnisch veränderten Tabakpflanzen, die von den Fraunhofer-Forschern in Aachen entwickelt wurden. Erste Studien sollen in Großbritannien durchgeführt werden.
Die Durchführung von klinischen Studien ist für alle Arzneimittel Pflicht. Erst wenn diese positiv verlaufen, können die Medikamentenhersteller eine Zulassung für denMarkt beantragen. In Europa ist dafür die EMEA zuständig, die auf Basis der Ergebnisse aus den klinischen Studien eine Entscheidung über die Marktzulassung von Medikamenten trifft. Daher ist es inzwischen Usus, dass sich Medikamentenhersteller bereitsvor den klinischen Tests bei den Behörden freiwillig und unverbindlich beraten lassen, welchen Kriterien die Testphase genügen muss, um im Erfolgsfall später auch von der EMEA anerkannt zu werden.
Da es bisher noch keine Erfahrungen mit humanmedizinischen Medikamenten aus gentechnisch veränderten Pflanzen gibt, wollte das Konsortium Pharma Planta die nötigen Anforderungen für eine erste Testreihe mit der europäischen Arzneimittelagentur EMEA abklären. Und biss auf Granit: Die EMEA setzt offenbar so hohe Kosten für die wissenschaftlichen Beratungsgespräche an, dass sich das Konsortium die Gebühren nicht leisten kann.
Hintergrund |
Das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) gehört in Deutschland zu den Pionieren der Forschung an Plant made pharmaceuticals. Die Wissenschaftler um Rainer Fischer wollen Pflanzen als Produzenten für günstige Impfstoffe und Medikamente nutzen, die vor allem in Entwicklungsländern gebraucht werden. Seit 2004 leiten sie das Konsortium Pharma Planta. Die Europäische Kommission förderte das Netzwerk bis 2009 fünf Jahre lang mit insgesamt zwölf Millionen Euro. Im Fokus stehen Medikamente gegen HIV, die aus Tabakpflanzen gewonnen werden sollen. Mehr Infos zum Konsortium: www.pharma-planta.org |
Dabei sei es bei Mediekamen, die aus gentechnisch modifizierten Pflanzen generiert werden, umso wichtiger, Regularien für die Testphase zu erstellen, erklärte Julian Ma von der St Geoge´s Medical School in London gegenüber dem Fachmagazin Nature (2009, Vol. 458, S. 951). Zweimal habe sich das Konsortium inoffiziell mit der EMEA getroffen, um die Tests zu besprechen. Doch beim dritten Mal war Schluss: Die EMEA wies die Forscher darauf hin, dass diese Treffen künftig als „wissenschaftliche Beratung“ (scientific advice) anzusehen seien. Dafür werde die behördenübliche Beratungsgebühr von 35 000 Euro fällig. „Ein unrealistisch hoher Betrag“, so Jürgen Brossard von der Qualitätskontrolle beim Aachener Fraunhofer-Institut gegenüber biotechnologie.de.
Kostenwirrwarr bei den Behörden
Traditionell werden die aufwändigen und teuren klinischen Medikamententests von Pharmaunternehmen durchgeführt. Weil diese später auch an dem Medikament verdienen, ist es auch bei mehreren nationalen Arzneimittelbehörden üblich, sie für vorausgehende Beratungen zur Kasse zu bitten. Allerdings spielt das Beratungshonorar der Europabehörde EMEA schon in der oberen Liga. So berechnet die britische Medicine and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) dem Fachmagazin Nature zufolge bis zu $ 6700, derartige Beratungsgespräche mit der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) sind sogar kostenfrei.
Mehr auf biotechnologie.de |
News: Tabakpflanze als Impfstofflieferant News: Mit Grünem Tee gegen HIV |
In Deutschland obligt die Prüfung von Medikamenten vor der Zulassung dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), welches sich den freiwilligen scientific advice ebenfalls bezahlen lässt. Eine Gebührenbefreiung für Universitäten und Forschungseinrichtungen gebe es auch hier bisher nicht, so eine Sprecherin. Inzwischen denke das Institut aber über eine Änderung der Gebührenordnung nach - insbesondere aufgrund neuer Regelungen im Bereich des Tissue Engineering, wo viele kleine und mittlere Unternehmen aktiv sind.
Forderung: Behörden sollen sich veränderter Forschungslandschaft anpassen
Auch die EMEA gewährt einen Rabatt von bis zu 90 Prozent für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs). Eine vergleichbare Regelung für öffentliche und non-Profit-Einrichtungen wie beispielsweise Universitäten gibt es jedoch nicht. Die Behörde behält sich jedoch vor, Einzelanfragen gesondert zu bearbeiten. Zum konkreten Fall Pharma Planta will sich die EMEA nicht äußern. Die Information, "ob eine Organisation um scientific advice gebeten habe" sei "vertraulich", so EMEA-Sprecherin Monika Benstetter auf Anfrage. Gleichzeitig erklärte sie: "Pharma Planta wurde vom Executive Director am 28. April 2008 ein Gebührenrabatt von 50 Prozent angeboten." Dem Fachmagazin Nature zufolge hatte die EMEA da schon ihr Beratungshonorar auf 75 000 Euro verdoppelt.
„Hier geht es nicht um Wissenschaft oder Kompetenz, sondern schlicht um Geld“, sagt Jürgen Brossard vom Fraunhofer IME. Anders als früher, arbeiteten die Bereiche Forschung und Entwicklung inzwischen schon sehr früh und eng mit industriellen Partnern wie Pharmaunternehmen zusammen. „Bei vielen Förderungen ist so ein Cluster sogar Bedingung“, so Brossard. Mit diesen neuen Bedingungen tun sich die Zulassungsbehörden nun aber offenbar schwer. „Als wir zu den ersten, inoffiziellen Gesprächen bei der EMEA waren, haben wir einen Besucherausweis mit dem Aufdruck Industry bekommen“, erzählt der Forscher. „Das sagt alles über das Verständnis der EMEA. Wir werden als non-profit-Organisation gar nicht wahrgenommen.“
Eine Bremse für den Fortschritt
Das Konsortium hat jetzt begonnen, zusammen mit der Europäischen Lebensmittelaufsichtsbehörde (European Food Safety Authority,EFSA) Richtlinien für das Risiko bei Medikamenten aus genetisch modifizierten Pflanzen zu entwickeln. Außerdem konzentriert sich Pharma Planta zunächst auf Gespräche mit der britischen Behörde MHRA, die als nationale Zulassungsbehörde die in Großbritannien geplanten klinischen Testreihen genehmigen muss. Erweist sich der Antikörper gegen HIV jedoch als erfolgreich, führt irgendwann kein Weg mehr an der europäischen Zulassungsbehörde EMEA vorbei.
„Die EMEA ist eine Organisation, die schwerpunktmäßig Verwaltung auf europäischem Maßstab betreibt. Da ist man auch ein bisschen schwerfällig“, meint Brossard. Marc van Montagu, Präsident der European Federation of Biotechnology, formuliert es drastischer: „Mit ihrer exorbitanten Rechnung blockiert die EMEA auf diesem Gebiet jeglichen Fortschritt.“