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"Unerschöpfliche Quelle" für Nervenzellen

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Bonner Forscher haben Gehirnstammzellen gewonnen, aus denen sich funktionstüchtige Nervenzellen ableiten ließen. Quelle: Brüstle/Universität Bonn

18.02.2009  - 

Seit Jahren arbeiten Wissenschaftler daran, zuverlässige Quellen für menschliche Nervenzellen zu erschließen. Nur so können auch mögliche neue Therapien für neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer entwickelt werden. Bonner Forscher haben nun eine neue Quelle aufgetan, nämlich menschliche Gehirnstammzellen. Wie das Team um Oliver Brüstle der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in der Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, 13. Februar 2009) berichtet, waren daraus gewonnene Nervenzellen im Gehirn tatsächlich funktionstüchtig - zumindest bei Experimenten mit Mäusen.

In der medizinischen Forschung besteht ein großer Bedarf an Nervenzellen. Um etwa die Mechanismen von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson aufzuklären, müssen die Wissenschaftler mit Zellsystemen arbeiten, die denen im menschlichen Gehirn möglichst nahekommen. Der direkte Weg - also die Entnahme von Nervenzellen direkt aus dem menschlichen Gehirn - verbietet sich  aus ethischen Gründen. Außerdem können sich Nervenzellen nicht teilen. Für jeden Versuch müsste man daher erneut eine Biopsie vornehmen. Das ist nicht praktikabel.

Weg 1: Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen

Seit Jahren arbeiten Wissenschaftler deshalb daran, andere und zuverlässige Quellen für menschliche Nervenzellen zu erschließen. Eine dieser Quellen lautet: menschliche embryonale Stammzellen. Da diese über die Fähigkeit verfügen, sich in alle möglichen Körperzellen zu entwickeln, können sie prinzipiell auch in Nervenzellen umgewandelt werden. Viele Forscher gehen diesen Weg, doch die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen ist in der Gesellschaft umstritten, wie nicht zuletzt die deutsche Debatte immer wieder zeigt (mehr...). Wer hierzulande mit menschlichen embryonalen Stammzellen arbeiten will, unterliegt strengen Auflagen.

Die Entwicklung der iPS-Zellen...

...begann im Jahr 2006 in Japan. Doch zunächst war die Wissenschaftsgemeinde skeptisch. Erst Schritt für Schritt konnten Veröffentlichungen in angesehenen Fachmagazinen die relativ einfache Reprogrammier-Methode der Japaner belegen.

Juni 2007: Von der Hautzelle zur Stammzelle: Umprogrammierung mit gentechnischen Tricks
November 2007: Molekulare Verjüngungskur: Von menschlichen Körperzellen zu vielseitigen Stammzellen
Juni 2008: Sanfte Umprogrammierung der Hautzelle zur Stammzelle
Februar 2009: Mit einem Gen zur Stammzelle

Weg 2: Nervenzellen aus adulten Stammzellen

Menschliche adulte Stammzellen könnten die Lösung sein. Denn nicht nur im Embryo, auch im erwachsenen Körper finden sich das ganze Leben über Zellen, die sich selbst immer wieder erneuern und geschädigte Zellen des jeweiligen Organs ersetzen können. Solche adulten Stammzellen sind relativ gewebe- bzw. organspezifisch und können sich nicht wie die embryonalen Stammzellen in alle Zelltypen ausdifferenzieren. Auch in bestimmten Regionen des Gehirns, etwa im Hippocampus, gibt es adulte Stammzellen. Aus diesen Gehirnstammzellen können zeitlebens neue Nervenzellen entstehen - eine ideale Ressource für die Forschung also. Allerdings sind Gehirnstammzellen so selten und so schwer zu finden, dass eine direkte Extraktion hier noch weniger in Frage kommt als bei Nervenzellen ohnehin.

Weg 3: Nervenzellen aus iPS-Zellen

Einen ganz anderen Weg haben inzwischen japanische Forscher aufgezeigt: Im Jahr 2006 konnten sie zum ersten Mal zeigen, dass sich mit einer vergleichsweise einfachen Reprogrammiermethode aus erwachsenen Körperzellen Zellen gewinnen lassen, die ähnlich vielseitige Eigenschaften besitzen wie embryonale Stammzellen (mehr...). Die Arbeit mit solchen induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen), wie sie genannt werden, erlebt derzeit einen Boom und einige Schritte der Reprogramierung konnten inzwischen sogar noch weiter vereinfacht werden (mehr...). Und auch für die Erforschung neuer Therapien werden iPS-Zellen vermehrt genutzt. Mit ihnen, so die Hoffnung, können die molekularen Ursachen von Krankheiten direkt mit patienteneigenen Zellen erforscht werden. Für eine ganze Reihe von Krankheiten wurden dafür bereits spezifische iPS-Zelllinien erarbeitet. Ende 2008 kürte das Wissenschaftsmagazin Science derlei Ansätze zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2008 (Science, Vol. 322, S. 1766) Noch nicht ganz geklärt ist jedoch die Frage, ob die durch Reprogrammierung gewonnen iPS-Zellen tatsächlich alle Eigenschaften von embryonalen Stammzellen besitzen oder ob es bei dem künstlich eingeleiteten Prozess doch unbemerkt Veränderungen auftreten. Gleiche Unklarheiten gibt es für die aus iPS-Zellen abgeleiteten Körperzellen.  

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Neu: Gehirnstammzellen aus embryonalen Stammzellen

Der Bonner Arbeitsgruppe um Oliver Brüstle ist es mit ihrer Entdeckung nun gelungen, gleich mehrere der Probleme bei der Bereitstellung von menschlichen Nervenzellen auf einmal zu lösen. Wie sie im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences berichten (mehr...), haben sie aus menschlichen embryonalen Stammzellen Gehirnstammzellen hergestellt, die sich über Monate und nach Angaben der Forschern eventuell sogar über Jahre hinweg vermehren und konservieren lassen. Darüber hinaus konnten sie nachweisen, dass sich aus den stabilen Zelllinien je nach Stimulation verschiedene Sorten menschlicher Nervenzellen gewinnen lassen. Darunter waren beispielsweise auch solche, die bei der Parkinsonschen Erkrankung ausfallen.

Für die Forscher liegt damit schon einmal ein Vorteil auf der Hand: Da die Nervenzellen von menschlichen embryonalen Stammzellen abstammen, lassen sie sich auch in der therapeutischen Forschung einsetzen. Und weil embryonale Stammzellen nur einmal zur Herstellung der ersten Generation an Gehirnstammzellen benötigt werden, lässt sich der Verbrauch an embryonalen Zellen reduzieren. "Die Gehirnstammzellen funktionieren wie eine unerschöpfliche Quelle: Sie liefert über Monate und Jahre menschliche Nervenzellen, ohne dass wir dafür weiter auf embryonale Stammzellen zurückgreifen müssten", sagt Oliver Brüstle, Leiter des Forscherteams am Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn.

Kontakt zu Nervenzellen im Gehirn aufgenommen

Neu ist auch, dass sich die aus den Gehirnstammzellen gewonnenen Nervenzellen tatsächlich auch wie solche verhalten - jedenfalls im Tiermodell. Die Forscher konnten demonstrieren: Nach einer Transplantation in das Gehirn von Mäusen nahmen die Zellen Kontakt mit dem Empfängergehirn auf. Sie konnten dann sowohl Signale senden als auch empfangen. "Das ist der erste direkte Beweis, dass sich Nervenzellen aus menschlichen Stammzellen in die Schaltkreise eines Gehirns integrieren können", sagt Philipp Koch, Erstautor der PNAS-Studie. Die Bonner Wissenschaftler möchten diese unerschöpfliche Zellquelle nun dazu einsetzen, um ein möglichst wirklichkeitsgetreues Modell für das Studium neurodegenerativer Erkrankungen zu schaffen.

Brüstle gehört zu den bekanntesten Stammzellforschern in Deutschland. Im Jahr 2002 war er der erste, der vom Robert-Koch-Institut eine Bewilligung zum Import humaner embryonaler Stammzellen erhalten hat. Die aktuellen Ergebnisse sieht Brüstle deshalb auch als Bestätigung für die Bedeutung der in der Öffentlichkeit umstrittenen Forschung.  "Die aktuellen Ergebnisse verdeutlichen, wie fließend Forschungsarbeiten an embryonalen und adulten Stammzellen ineinander übergehen und gleichermaßen wichtig sind", wird Brüstle in der Pressemitteilung zitiert.

 

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