Molekulare Verjüngungskur: Von menschlichen Körperzellen zu vielseitigen Stammzellen

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US-Wissenschaftler konnten Hautzellen, die von einer erwachsenen Frau stammten, in einen stammzellähnlichen Zustand versetzen. Quelle: Junying Yu/ University of Wisconsin

23.11.2007  - 

Als Shinya Yamanaka im Jahr 2006 der Fachwelt zum ersten Mal von seiner Umprogrammierungstechnik berichtete, herrschte große Skepsis: Aus erwachsenen Hautzellen vielseitige Stammzellen zu gewinnen, die den ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen zum Verwechseln ähneln, das klang mehr nach einem schönen Traum als nach Wirklichkeit. Im Juni dieses Jahres stellte der Japaner von der Universität Kyoto gemeinsam mit zwei weiteren Forschergruppen eine verfeinerte Version seines Verfahrens vor, die Fachwelt applaudierte. Allerdings klappte die Technik bisher nur bei Mäusen. Nur wenige Monate später ist die Aufregung erneut groß: Zwei Gruppen, darunter auch Yamanakas Team, haben nun erstmals menschliche ausgereifte Hautzellen einer solchen Verwandlung unterzogen – mit Erfolg. Die Ergebnisse kommen zu einer Zeit, in der die Deutschen um eine Änderung ihres Stammzellgesetzes ringen. Aus der Wissenschaft kommt dabei ein klares Signal: Auch wenn ethisch unbedenklicher Ersatz für die Gewinnung von vielseitigen Stammzellen da ist, werden embryonale Stammzellen noch lange gebraucht.

Ausgebildete erwachsene Körperzellen allein mit der Hilfe von vier Genen die Fähigkeiten zu geben, sich in nahezu jedes beliebige Gewebe des Körpers zu entwickeln – dies war lange eine Vision, von der Wissenschaftler lediglich träumen konnten. Fieberhaft wurde jedoch in den letzten zwei Jahren daran gearbeitet, diese Vision in die Realität zu überführen. Nun scheint ein Durchbruch gelungen.

Vielseitige Zellen, die sich in jeden Zelltyp eines Organismus entwickeln können, sind begehrt – sie gelten als Hoffnungsträger bei der Behandlung von schweren Krankheiten, um Patienten aus eigenem Gewebe mit maßgeschneiderten Zellen zu therapieren. Embryonale Stammzellen besitzen eine solche Vielseitigkeit, aber für ihre Herstellung müssen menschliche Eizellen benutzt und Embryonen zerstört werden.

Das Klonen basiert auf dem somatischen Zellkerntransfer: Dabei wird der Zellkern einer Eizelle entfernt und durch den Zellkern einer Körperzelle ersetzt.Lightbox-Link
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Reprogrammierung als Alternative zum Klonen

Das Reprogrammierungsverfahren wäre eine willkommene Alternative. 2006 identifzierte Yamanaka auf der Basis von Experimenten mit embryonalen Stammzellen aus 24 möglichen Kandidatengenen vier aus seiner Sicht entscheidende: Oct4, Sox2, c-Myc und Klf4. Auf ihnen sind die Baupläne von wichtigen Eiweißen gespeichert, sogenannten Transkriptionsfaktoren, die bei einer Reihe von Entwicklungsprozessen der Zelle entscheidend sind. Diese vier Gene schleuste der Japaner mit der Hilfe von speziellen Viren, sogenannten Retroviren, ins Erbgut von normalen, zunächst in ausgereifte Hautzellen von Mäusen ein – mit dem Ziel, diese Zellen wieder in einen wandelbaren, stammzellähnlichen Zustand zurückzuprogrammieren.

Anfangs war die Fachwelt skeptisch

Erste Ergebnisse veröffentlichten die Japaner 2006 im Fachmagazin Cell (2006, Vol. 126, S. 663-676). Die Fachwelt war noch nicht komplett überzeugt. Nur ein knappes Jahr später stellte Yamanaka eine verfeinerte Version seines Verfahrens vor, das bei Mäusezellen offenbar gut funktionierte und aus den Hautzellen tatsächlich Zellen hervorbrachte, die embryonalen Stammzellen in ihrem Verhalten ähnelten: man kreierte für diese Zellen den neuen Namen „induzierte pluripotente Stammzellen (IPS)" (mehr...) Die Ergebnisse zeigten dabei, dass der Prozess der Umprogrammierung offenbar ein allmählicher Vorgang ist, der schrittweise abläuft – die vier Gene werden lediglich zum „Anschieben“ gebraucht und bereits nach kurzer Zeit wieder stillgelegt. Sie initiieren dabei einen Verjüngungsprozess, der auf die Veränderung der chemischen Verpackung des Erbguts abzielt – auf die sogenannten epigenetischen Markierungen. Diese werden bei der Umprogrammierung offenbar erneuert und so rückgängig gemacht, dass die so entstandenen Zellen im Ergebnis in molekularbiologischen und morphologischen Merkmalen mit embryonalen Stammzellen übereinstimmen. Weil auch zwei weitere Forschergruppen zu ähnlichen Ergebnissen kamen, wurde in der Fachwelt bereits von einem Durchbruch gesprochen. „Es ist unglaublich, einfach verblüffend“, kommentierte damals Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für Biomedizn in Münster.

Klon-Pionier Ian Wilmut aus Großbritannien (links) und Stammzellpionier James Thomson aus den USA im Gespräch.Lightbox-Link
Klon-Pionier Ian Wilmut aus Großbritannien (links) und Stammzellpionier James Thomson aus den USA im Gespräch.Quelle: James Gill/ University of Wisconsin

Neueste Ergebnisse sorgen für Aufregung

Jetzt ist die Aufregung in der Fachwelt noch größer, denn nun ist die Technik auch bei menschlichen Zellen geglückt. Wie Yamanaka im Fachmagazin Cell (Online, 20. September 2007) berichtet, setzt der Japaner erneut auf die vier verwendeten Gene Oct4, Sox2, c-Myc und Klf4. Diese benutzte er für die Reprogrammierung von Hautzellen, die von einer 36 Jahre alten Frau stammten. Aber nicht nur die Japaner haben die Verjüngungskur geschafft. Eigentlich sollte die Arbeit des US-Forschers und Stammzellpioniers James Thomson von der Universität of Wisconsin erst im Dezember im Fachmagazin Science erscheinen, doch nun zog die Redaktion die Veröffentlichung als Expressnachricht im Internet vor (20. November 2007). Auch Thomson war die Verwandlung von erwachsenen Körperzellen gelungen, statt der Gene c-Myc und Klf4 hatte er allerdings die Faktoren Nanog und Lin28 benutzt und damit Vorhautzellen eines neu geborenen Jungen in IPS verwandelt. Darüber hinaus hatte sich Thomson als Genfähren nicht der Retroviren bedient, sondern Lentiviren genommen, die als weniger gefährlich gelten. Retroviren bergen das Risiko, Krebs auszulösen, weil sie sich an beliebiger Stelle ins Genom einbauen und so Tumorsuppressorgene zerstören oder Krebsgene aktivieren können.

embryonale StammzellenLightbox-Link
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Dass es nun zwei Wege zum gleichen Ziel gibt, lässt die Forschergemeinde große Hoffnung schöpfen – in den kommenden Jahren, so die gängige Expertenmeinung, würden neue Techniken und Verfahren eine klinische Nutzung solcher Zellen möglich machen. „Wir sind derzeit überrascht, wie dynamisch das Forschungsfeld inzwischen ist. Noch im Juni haben wir gedacht, der Schritt zum Menschen dauert noch Jahre“, kommentierte der Leipziger Professor Frank Emmrich, Direktor des Translationszentrums für Regenerative Medizin und Leiter des Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, bei einer Veranstaltung der Gesellschaft für Regenerative Medizin am 23. November in Berlin.

Deutsche Debatte erhält neuen Schub

Die Reprogrammierungs-Ergebnisse kommen zu einer Zeit, da in Deutschland über die Neujustierung des Stammzellgesetzes debattiert wird. Schon lange fordern die Wissenschaftler, dass der aktuelle Stichtag für die Nutzung embryonaler Stammzellen vom 1. Januar 2002 vorverlegt oder abgeschafft werden soll. Inzwischen scheint die Politik das Thema tatsächlich wieder auf die Agenda setzen zu wollen. Für Januar ist eine Debatte im Bundestag mit einem Antrag der SPD-Fraktion geplant. „Ich gehe davon aus, dass ein Kompromiss gefunden wird, der aus einer Abschaffung der Strafbewährung für die Forscher und einer Verschiebung des Stichtags besteht“, sagte CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer auf der GRM-Veranstaltung in Berlin. Angesichts der jüngsten Ergebnisse verwies er zudem darauf, dass politische Restriktionen offensichtlich sowieso keinen Einfluss auf tatsächliche Forschungsentwicklungen haben. „Die Verfahren zur Reprogrammierung wurden nicht hierzulande erfunden, sondern dort, wo liberale Regelungen herrschen.“

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Stammzellforscher Anthony Ho, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik V der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, betonte in Berlin, dass die Wissenschaft auch künftig auf embryonale Stammzellforschung nicht verzichten kann, auch wenn es nun alternative Verfahren zur Gewinnung vielseitiger Zellen gibt. „Ohne embryonale Stammzellen haben wir gar keinen Vergleich dafür, ob die Zellen, die wir in der Reprogrammierung erhalten, tatsächlich die Eigenschaften von embryonalen Stammzellen besitzen.“ Darüber hinaus sei die grundlegende Erforschung der Mechanismen embryonaler Stammzellen weiterhin extrem wichtig, um eine klinische Anwendung der Ergebnisse voranzutreiben.

Broschüre Regenerative Medizin

Regenerative Medizin -  Selbstheilungskraft des Körpers verstehen und nutzen

Die Regenerative Medizin will mithilfe von Zellen heilen, Krankheiten erforschen oder Wirkstoffe testen. Einen Überblick zur Forschung in Deutschland bietet die Broschüre "Regenerative Medizin".


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