DFG fordert Lockerung des Stammzellgesetzes
13.11.2006 -
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Debatte um die Forschung an embryonalen Stammzellen erneut entfacht: Mit einer 80seitigen Stellungnahme forderte sie am Freitag, den 10. November, eine Lockerung des aktuellen Stammzellgesetzes. Die bisherige Regelung würde deutsche Forscher isolieren und kriminalisieren, sagte DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker in Berlin. Bundesforschungsministerin Annette Schavan lehnte grundlegende Reformen noch am gleichen Tag ab. Sie stellte lediglich Erleichterungen bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen in Aussicht. Gleichzeitig sicherte sie der DFG zu, die Stellungnahme mit dem Parlament eingehend zu prüfen.
Stammzellen gelten als zelluläre Tausendsassa: Sie sind noch nicht für eine bestimmte Aufgabe vorprogrammiert und können sich daher in eine beliebige Zellart entwickeln. Viele Forscher setzen deshalb große Hoffnungen darauf, dass sich Stammzellen als Reparaturtrupp oder biologisches Flickzeug bei einer Vielzahl von schweren Krankheiten wie Parkinson oder Herzinfarkt einsetzen lassen – und auf diese Weise völlig neue Therapiemöglichkeiten entstehen. Bislang sind jedoch noch viele grundsätzliche Fragen nicht geklärt: etwa ob sich für solche Therapien lediglich embryonale Stammzellen eignen oder auch solche aus Erwachsenen (adulte Stammzellen).
Adulte Stammzellen schon in der Anwendung
Stammzellen aus Embryonen sind vielseitiger, doch ihre Verwendung ist ethisch umstritten, weil bei ihrer Herstellung Embryonen zerstört werden müssen. Adulte Stammzellen wiederum finden sich beim Menschen nur in bestimmtem Gewebe, um dort im Erwachsenenalter zerstörte Zellen zu ersetzen. Anders als embryonale Stammzellen werden sie jedoch bereits therapeutisch bei Knochenmarktransplantationen verwendet. Darüber hinaus laufen erste Studien (z.B. an der Universität Rostock bei Prof. Gustav Steinhoff), in denen adulte Stammzellen aus dem Knochenmark bei der Behandlung von Herzinfarktpatienten zu einer Verbesserung der klinischen Befunde geführt haben. Bis jetzt konnte jedoch noch nicht nachgewiesen werden, ob für diese Besserung tatsächlich die Stammzellen verantwortlich waren.
Strenge Auflagen für Arbeiten mit embryonalen Stammzellen
In Deutschland forschen Wissenschaftler sowohl an embryonalen als auch an adulten Stammzellen. Während Arbeiten zu letzteren intensivst gefördert werden, unterliegen Projekte mit embryonalen Stammzellen strengsten Auflagen. Seit der Verabschiedung des Stammzellgesetzes im Jahr 2002 hat das Robert-Koch-Institut insgesamt zwanzig Genehmigungen erteilt. Hierbei gilt jedoch eine Stichtagsregelung: Es dürfen nur solche embryonalen Stammzellen verwendet werden, die vor dem 1. Janaur 2002 hergestellt wurden. Dies soll einerseits Grundlagenforschung ermöglichen, aber andererseits weniger Anreize schaffen, dass Embryonen eigens für die Forschung zerstört werden müssen.
Deutsche Forscher fordern Abschaffung der Stichtagsregelung
Der Stichtag bereitet deutschen Wissenschaftlern jedoch immer mehr Kopfschmerzen, wie die DFG nun in ihrer Stellungnahme ausführt. „Die bis 2002 rund 22 hergestellten embryonalen Stammzelllinien sind mit tierischen Zellprodukten oder Viren verunreinigt und eine therapierorientierte Forschung ist damit unmöglich“, erklärte DFG-Präsident Ernst-Ludwig-Winnacker auf einer Pressekonferenz am 10. November in Berlin. Internationale Kollegen würden deshalb zunehmend auf neuere Stammzelllinien zurückgreifen – nach Recherchen der DFG sind weltweit 400 solcher Linien erfasst, von denen 150 im International Stem Cell Forum aufgelistet und 80 sehr gut charakterisiert sind.
Bei internationalen Forschungskooperationen stehen die Deutschen nun nach Aussage der DFG vor einem Dilemma: Sie können aufgrund der deutschen Gesetzeslage nicht mit den gleichen Stammzelllinien arbeiten wie ihre Projektkollegen oder nur zuliefern – weil über allem, was sie tun, eine mögliche Strafandrohung liegt. „Diese Diskriminierung führt zu einer Isolierung deutscher Wissenschaftler“, sagte Winnacker und forderte deshalb im Namen der DFG die Bundesregierung auf, die Stichtagsregelung abzuschaffen und die Strafandrohung aufzuheben. Eine bevorzugte Unterstützung von Arbeiten mit adulten Stammzellen sei zudem wissenschaftlich nicht mehr tragbar, so Winnacker. „Die bisherigen Erwartungen haben sich nicht erfüllt, dass adulte Stammzellen ein ähnlich hohes therapeutisches Potenzial besitzen.“
Schavan stellt Erleichterungen für Kooperationen in Aussicht
Bundesforschungsministerin Annette Schavan lehnte eine Abschaffung der Stichtagsregelung jedoch umgehend ab: „Durch einen festen Stichtag stellen wir sicher, dass von Deutschland keine Anreize zur Zerstörung von Embryonen ausgehen. Die Vermeidung solcher Anreize gehört zur Substanz der deutschen Gesetzgebung.“ Dennoch begrüßte die Ministerin die Stellungnahme der Wissenschaftler und sicherte eine detaillierte Prüfung mit dem Parlament zu. Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz stellte sie vor allem eine Erleichterung von internationalen Kooperationen in Aussicht. Unionsfraktionsvize Katharina Reiche warb hingegen für das Anliegen der Wissenschaftler. „Das Stammzellimportgesetz hat sich in seiner jetzigen Form nicht bewährt, die Stichtagsregelung muss abgeschafft werden“, sagte sie gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Ähnlich äußerte sich Ulrike Flach von der FDP, wohingegen die Grünen und Vertreter der Kirchen Kritik an der DFG übten.
BMBF will Stammzellforschung unterstützen, die ohne Embryonen auskommt
Unterdessen kündigte Schavan eine neue Förderinitiative an, in der vor allem solche wissenschaftlichen Projekte unterstützt werden sollen, die die Gewinnung von vielseitig einsetzbaren menschlichen Stammzellen ermöglicht, ohne Embryonen zu verbrauchen.
In welche Richtung dieser Weg gehen könnte, hatten kürzlich japanische Forscher der Universität Kyoto gezeigt. Im Fachmagazin Cell (Vol. 126, S. 663-676) berichteten sie darüber, dass sie allein mithilfe biochemischer Mittel Mauskörperzellen in einen stammzellähnlichen Zustand versetzt hatten - ohne dafür klonen zu müssen oder Embryonen zu zerstören. Dafür haben sie vier Faktoren benutzt, die bei der Teilung von embryonalen Stammzellen eine wichtige Rolle spielen. „Wenn dieser Ansatz langfristig auch für menschliche Zellen gelänge, wäre dies natürlich der Weg, den wir uns als Wissenschaftler immer erhofft haben, weil er ohne Embryonen auskommt“, kommentierte Stammzellexpertin Anna Wobus vom Gaterslebener Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) die japanische Studie. Zwei der von den Wissenschaftlern benutzten Faktoren werden jedoch auch mit der Entstehung von Tumoren in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund warnt Wobus vor zu frühen Erwartungen: „Das Potenzial ist groß, aber der Beweis noch nicht vollständig erbracht.“