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Impfen gegen Diabetes: Selbstzerstörerische Immunzellen bei Mäusen in den Griff bekommen

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Süßigkeiten wie Kuchen sind für Diabetiker meistens tabu: Aufgrund eines Insulinmangels können sie Zucker nicht abbauen. Quelle: pixelio.de

04.06.2007  - 

Die Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus Typ I gehört zu den unheilbaren Erkrankungen, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise die körpereigenen Insulin-produzierenden Zellen angreift und zerstört. Wie das Abwehrsystem über seinen Irrtum „aufgeklärt“ und von seinem selbstzerstörerischen Weg abgebracht werden könnte, gehört zu den größten Herausforderungen der biomedizinischen Forschung. Französischen und deutschen Wissenschaftler scheint hierbei nun ein wichtiger Schritt gelungen zu sein. Wie sie im Fachmagazin Proceedings of National Academy of Science (PNAS, 29. Mai 2007, Vol. 104, S. 9393-9398) berichten, haben sie Diabetes-kranke Mäuse geimpft und damit erreicht, dass das Immunsystem die körpereigenen Strukturen nicht mehr angreift, sondern wieder toleriert. Dies könnte den Weg zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen öffnen, doch der Fall der deutschen Biotech-Firma Tegenero aus dem vergangenen Jahr mahnt zur Vorsicht: Nicht jede Aktivierung des Immunsystems im Versuchstier klappt später auch beim Menschen.

Das Immunsystem schützt den Körper vor schädlichen Umweltfaktoren und bekämpft effektiv Krankheitserreger. Autoimmunerkrankungen entstehen, wenn das Immunsystem nicht mehr zwischen „fremd“ und „eigen“ unterscheidet und stattdessen eigene Körperstrukturen attackiert. Dabei entstehen Entzündungsreaktionen, die Zellen und Gewebe des Körpers vernichten. Zu den bekannten Autoimmunerkrankungen zählen beispielsweise die Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose, die Darmerkrankung Morbus Crohn und die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus Typ I.

Diabetes...
... wird auch Zuckerkrankheit genannt und ist eine Stoffwechselkrankheit, bei der der Körper aufgrund von Insulinmangel nicht mehr in der Lage ist, Zucker abzubauen. Beim sogenannten Typ I Diabetes sind die T-Zellen des Immunsystems für diesen Insulinmangel verantwortlich: Von frühester Kindheit an zerstören sie die Insulin-produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Wenn 80-90% dieser Zellen nicht mehr vorhanden sind, manifestiert sich ein Typ I Diabetes.

Worin genau die Auslöser bestehen, die den Körper veranlassen, eigene Zellen zu attackieren, ist trotz intensiver Forschung noch nicht im Detail bekannt. Neben vermuteten genetischen Ursachen und Virusinfektionen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Insulin-ähnliche Strukturen auf Antigenen offenbar den Angriff des Immunsystems auf die Bauchspeicheldrüse auslösen. Als Antigene werden körperfremde Eiweißfragmente bezeichnet, also Strukturen, die normalerweise von Bakterien oder Viren stammen. Diese Fragmente werden an Zelloberflächen präsentiert und können eine Immunreaktion auslösen, wenn sie von einer Immunzelle erkannt werden. Körpereigene Eiweißfragmente werden auch präsentiert, aber normalerweise vom Immunsystem ignoriert. Die Immunzellen von Typ-I-Diabetikern reagieren aber nachweislich auf einen bestimmten Teil des Insulineiweißes. Wissenschaftler suchen daher nach Möglichkeiten, wie diese Überreaktion des Immunsystems kontrolliert werden könnte.

Impfung aktiviert immunologische „Bremse“ des Immunsystems

Diese Erkenntnisse haben sich Kirsten Falk und Olaf Rötzschke vom Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch zunutze gemacht: Die Forscher hatten Diabetes-kranke Mäuse mit mehreren aneinandergehängten Kopien des Eiweißfragments geimpft, gegen das die Immunzellen Amok laufen. Dabei war es ihnen gelungen, das Immunsystem der Mäuse zu hemmen und vor dem Ausbruch der Autoimmunerkrankung zu schützen.  Allerdings konnten die Wissenschaftler damals nicht erklären, worauf dieser Schutzmechanismus eigentlich zurückzuführen ist. Jetzt haben die beiden MDC-Forscher gemeinsam mit Roland Liblau vom französischen Forschungsinstituts INSERM an der Purpan Universitätsklinik in Toulouse nachweisen können, dass die sogenannten regulatorischen T-Zellen offenbar der Schlüssel sind: Wie die Forscher im Fachmagazin PNAS (29. Mai 2007, Vol. 104, Ausgabe 22, S. 9393-9398) berichten, beruht der schützende Effekt der Impfung auf der Aktivierung dieser Zellen des Immunsystems.

Das ZDF (hier auf dem Videoportal YouTube) hat sich in einem kurzen Beitrag im heute journal dem Thema Diabetes gewidmet, das immer mehr Menschen betrifft. Diese Zellen, auch Suppressorzellen genannt, sind spezialisierte Immunzellen, die wie eine immunologische „Bremse“ das Immunsystem zu einer Art Toleranzreaktion bewegen können. Regulatorische T-Zellen bewirken damit die aktive Unterdrückung von Immunreaktionen, wie sie bei Autoimmunreaktionen, allergischen Reaktionen und Transplantatabstoßungen auftreten und verhindern die Abstoßung eines Fetus durch die Mutter. Das Immunsystem ist damit wieder in der Lage, körpereigene Strukturen als „eigen“ zu erkennen und zu tolerieren. Wie die Wissenschaftler schreiben, wurde durch die Impfung nun offenbar derselbe Effekt bei den Diabetis-kranken Mäusen erreicht: Durch die spezifische Gabe von Antigenen konnten die Suppressorzellen  aktiviert und die zerstörerische Autoimmunreaktion unterdrückt werden. „Damit haben die Suppressorzellen für die Immunologie erneut an Bedeutung gewonnen“, betont Rötzschke. Der Immunologe ist davon überzeugt, dass die Unterdrückung unerwünschter Immunreaktionen durch entsprechende Impfungen mit körpereigenen Antigenen grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, künftig nicht nur Diabetes Typ I, sondern auch andere Autoimmunerkrankungen zu behandeln.

Tatsächlich konnten Forscher um Brigitte Wildemann von der Universitätsklinik Heidelberg im Jahr 2005 anhand einer klinischen Studie zeigen (European Journal of Immunology, Vol. 35. Ausgabe 11, S. 3343-3352), das Patienten mit Multipler Sklerose eine gestörte Aktivität der regulatorischen T-Zellen aufwiesen. Dadurch war das Immunsystem offenbar nicht mehr in der Lage, die T-Zellen zu kontrollieren, die entscheidend zur Selbstzerstörung des Nervensystems beitrugen. Die gezielte Aktivierung von regulatorischen T-Zellen mit Antigenen könnte daher eine Möglichkeit bieten, die hyperaktiven selbstzerstörerischen Immunzellen wieder in den Griff zu bekommen.

Andreas Radbruch ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums (DRFZ) in Berlin. Lightbox-Link
Andreas Radbruch ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) in Berlin. Quelle: DRFZ

Andreas Radbruch hat einen Traum: Immunkrankheiten will er nicht nur therapieren, sondern an der Wurzel allen Übels packen und tatsächlich heilen.

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Schmaler Grad zwischen Unterdrückung und Aktivierung

Wie kompliziert und ausgeklügelt das menschliche Immunsystem aufgebaut ist und sich nicht ohne weiteres manipulieren lässt, mussten allerdings deutsche Wissenschaftler im letzten Jahr bitter erfahren. So wollten Forscher des deutschen Biotech-Unternehmens TeGenero aus Würzburg regulatorische T-Zellen aktivieren, um die Autoimmunreaktion bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder Arthritis zu unterdrücken. Sie entwickelten einen therapeutischen Antikörper und testeten ihn im Jahr 2006 erstmals am Menschen. Diese sogenannte klinische Phase-I-Studie nahm jedoch einen katastrophalen Verlauf. Sechs gesunde englische Probanden erlitten unmittelbar nach Verabreichung des Antikörper-Präparates TGN1412 massive Schwellungen und Multiorganversagen. Sie mussten auf der Intensivstation des Londoner Northwick Park Hospitals behandelt werden und überlebten nur knapp. Statt der erwarteten Aktivierung regulatorischer T-Zellen, wie sie zuvor in Versuchstieren festgestellt worden war, bewirkte der Antikörper beim Menschen einen immunologischen Supergau und entfesselte alle natürlichen Kontrollinstanzen des Immunsystems.

Eine Erklärung, warum diese verheerenden Folgen nicht auch in den zuvor getesteten Versuchsaffen stattfanden, sehen Wissenschaftler sowohl in den Unterschieden zwischen den Spezies als auch in den sterilen Haltungsbedingungen der Versuchstiere. Im Gegensatz zum Menschen erleben diese Tiere unter den künstlichen Bedingungen nur wenige Infektionen und besitzen demzufolge auch nur ein schwach ausgebildetes Immunsystem. Die natürliche ausgebildete Schlagkraft des menschlichen Immunsystems, die unter normalen Bedingungen überlebenswichtig ist, wurde durch die relativ unspezifische Aktivierung mit dem Wirkstoff TGN1412 den Probanden dabei zum Verhängnis.

EMEA reagiert auf TeGenero-Desaster aus dem Jahr 2006 mit neuer Richtlinie

Um zukünftig derartige Katastrophen bei klinischen Studien zu verhindern, hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA inzwischen reagiert und am 23. Mai 2007 neue Richtlinien für klinische Studien veröffentlicht. Hierbei wird erstmals der Begriff von Hoch-Risiko-Wirkstoffen eingeführt: Dies ist immer dann der Fall, wenn der Wirkungsmechanismus des potentiellen Medikamentes im Menschen nicht genau bekannt ist, weil es kein adäquates Tiermodell für die präklinische Testung dafür gibt. Als besonders riskant gilt unter anderem ein sogenannter pleiotropher Effekt, wenn also eine Substanz - wie bei TGN1412 der Fall - auf einen Rezeptor wirkt, der von vielen Zellen hergestellt wird. Für solche Hoch-Risiko-Wikstoffe gelten künftig besondere Regeln bei klinischen Studien, etwa eine Verringerung der Dosis und einer schrittweisen Gabe des Medikamentes an verschiedene Testpersonen. Experten haben unterdessen mit Kritik auf die neuen Richtlinien reagiert, weil die neuen Vorgaben zu schüchtern seien. "Es hätte nicht all der Experten bedurft, um festzustellen, dass die gleichzeitige Gabe des Wirkstoffes an sechs Probanden kein adäquater Weg für eine klinische Studie ist", wird etwa David Glover, britischer Immunotherapeut, im Fachmagazin Nature Biotechnology (2007, Vol. 25, Ausgabe 5, S. 485) zitiert. Die meisten Experten rechnen nun kaum mit einer Veränderung der Praxis und kritisieren, dass die EMEA-Vorgaben zu großen Teilen den Vorschlägen der in den TeGenero-Fall direkt involvierten britischen Arzneimittelaufsichtsbehörde MHRA folgen. Darüber hinaus kann die EMEA-Richtlinie von jedem EU-Mitgliedsstaat selbst interpretiert werden. "In der Realität wird sie wohl einfach ignoriert werden", prognostiert Stefanie Pingnitzer vom europäischen Unternehmensverband EuropaBio. 

 

Video

Wie entsteht Diabetes? Ein Film auf YouTube erklärt die Krankheit.

Sie wollen wissen, wie Diabetes entsteht? Ein kurzer Animationsfilm (in Englisch) auf dem Videoportal Youtube erklärt, welche Mechanismen die Krankheit auslösen. Mehr


Forscherprofile

Forscherprofile

Sie möchten Persönlichkeiten aus der immunologischen Forschung in Deutschland kennenlernen? In unserer Rubrik Forscherprofile haben wir bereits eine Reihe weiterer Wissenschaftler porträtiert, die auf diesem Gebiet arbeiten.

Andreas Radbruch ist einer der renomiertesten Immunologen in Deutschland und will als Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) in Berlin nicht nur die Symptome von Immunkrankheiten lindern, sondern tatsächlich die Wurzel allen Übels packen. mehr

Michael Sittinger ist ein Experte der regenerativen Medizin und arbeitet als Rheumaforscher an der Charité in Berlin. Dort will er einen Weg finden, wie sich verletzte Knie selbst heilen können. mehr

Gunther Hartmann vom Universitätsklinikim Bonn hat erst jüngst herausgefunden, wie Viren es schaffen, infizierten Zellen ihren Willen aufzuzwingen. Im Jahr 2005 erhielt er für seine Arbeiten den BioFuture-Preis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)  mehr

Max Löhning kam Anfang 2006 von Zürich an die Charité in Berlin. Hier  will er mithilfe molekularbiologischer Methoden herausfinden, wie sich fehlgeleitete Gedächtniszellen der Immunabwehr für Therapiezwecke umprogrammieren lassen. mehr


Immunologie

Auch am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig beschäftigen sich eine Vielzahl von Wissenschaftlern mit dem Immunsystem. Einem von ihnen, Dr. Matthias Gunzer, ist es im Jahr 2004 erstmals gelungen, Immunzellen im Lymphknoten einer Maus in Aktion zu filmen.

Zum Film kommen Sie hier

Eine Übersicht der immunologischen HZI-Arbeitsgruppen finden Sie hier

Details zur Arbeit von Matthias Gunzer erhalten Sie hier


Downloads

Guidline on Requirements for First-in-Man Clinical Trials for potential High-Risk Medicinal Products (in Englisch)

EMEA, 23. Mai 2007 Download PDF (153,8 KB)