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Andreas Radbruch: Ordnungshüter im Wirrwarr des Immunsystems

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Andreas Radbruch ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) in Berlin. Quelle: DRFZ

25.01.2007  - 

Andreas Radbruch träumt den Traum vieler Immunologen: Der wissenschaftliche Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) in Berlin will Betroffenen immunbedingter Krankheiten irgendwann zu einer Therapie verhelfen, die nicht nur Symptome behandelt, sondern tatsächlich die Wurzel allen Übels packt und Heilung verspricht. Bislang ist dies angesichts des komplexen Zusammenspiels unterschiedlichster Zellen und Signalstoffe in der körpereigenen Immunabwehr noch nicht gelungen. Radbruch will das ändern und bringt Stück für Stück Ordnung in das molekulare Wirrwarr. Dabei hat der 54-Jährige nicht nur die Wissenschaft vorangebracht: Auch bei zwei Unternehmensgründungen in der Biotech-Branche stand der Immunologe Pate.

Als sich Andreas Radbruch nach der Schule für ein Studium entscheiden sollte, saß er irgendwie zwischen den Stühlen. Biologische Probleme hatten ihn zwar schon immer fasziniert, doch er zögerte – eine reine Konzentration auf die Pflanzen- und Tierwelt erschien ihm nicht spannend genug, eine Ausbildung als Mediziner entsprach jedoch auch nicht seinem Naturell. Und dann war da auch noch die Archäologie, die ihn zu begeistern wusste. Die Entscheidung für das Biologie-Studium fiel letztlich pragmatisch: Die Zukunftsaussichten erschienen Radbruch hier einfach besser.

Rätsel des Immunsystems mithilfe molekularer Genetik lüften

Einmal an der Universität, merkte Radbruch dann ziemlich schnell, wo seine Prioritäten lagen. Er wollte wissen, was hinter all den Äußerlichkeiten eines Organismus steckt – und entdeckte für sich die Welt der Genetik. Der junge Student hatte Glück: Während seines Studiums gelangte Radbruch ans renommierte Institut für Genetik der Universität Köln und fand in Professor Klaus Rajewsky einen Mentor, der ihn in die Geheimnisse der Immunologie einführte. „Die Komplexität des Immunsystems war damals noch gänzlich unverstanden, und erst die Durchbrüche in der molekularen Genetik gaben uns die richtigen Werkzeuge in die Hand, diese Rätsel zu lüften“, erinnert sich Radbruch. Der Biologe ließ sich von Rajewsky sofort für die Thematik begeistern und ist inzwischen ebenfalls ein Experte auf dem Gebiet. So hat Radbruch in den vergangenen Jahrzehnten erheblich dazu beigetragen, die molekularen Prozesse des menschlichen Immunsystems besser zu verstehen und das Wechselspiel von Abwehrzellen aufzuklären, durch das Eindringlinge wie Bakterien oder Viren vom Körper identifiziert und bekämpft werden. Sein Hauptinteresse galt dabei vor allem zwei Familien von Abwehrzellen, die zur Gruppe der weißen Blutkörperchen gehören – den sogenannten T-Zellen und B-Zellen.

Warum gerät Gleichgewicht der Immunabwehr aus den Fugen?

Welche Rolle beide innerhalb der Immunabwehr spielen, das hat Radbruch als Grundlagenforscher auf molekularer Ebene genauestens erforscht: Wie B-Zellen durch spezielle Signalmoleküle von T-Zellen in die Lage versetzt werden, bestimmte Eiweißstoffe (Antikörper) zu produzieren, die sich an Eindringlinge wie Bakterien oder Viren heften können. Und wie durch diese Markierung wiederum ein Arsenal von weiteren Hilfskräften der Immunabwehr angelockt wird, die den Erreger attackieren und töten. Wenn Radbruch davon spricht, ist er noch immer fasziniert: „Der Körper kann sich auf alle möglichen Krankheitserreger einstellen und ist in der Lage, mehrere Millionen unterschiedlicher Antikörper zu produzieren.“ Herauszufinden, durch welche genetischen Grundlagen diese Vielfalt entsteht und warum dieses Gleichgewicht manchmal aus den Fugen gerät, das hat ihn von Anfang an interessiert. „Früher kümmerten sich Immunologen entweder um B-Zellen oder um T-Zellen. Heute weiß man, dass beide in einem komplexen Zusammenspiel funktionieren und die Produktion von Antikörpern durch B-Zellen ohne regulierende Effekte von T-Zellen gar nicht denkbar wäre“, erklärt Radbruch. Gleichzeitig galt sein Interesse den sogenannten Gedächtniszellen: Sie entstehen aus B- und T-Zellen und sind die Basis für das, was Experten immunologisches Gedächtnis nennen – die Fähigkeit des Immunsystems, sich an vergangene Eindringlinge zu erinnern und sie mit der passenden Waffe zu bekämpfen.

Rolle des immunologischen Gedächtnisses auf der Spur

Der gebürtige Niedersachse will dabei vor allem begreifen, warum sich das Immunsystem fehlleiten läßt, bei manchen Menschen mit Autoantikörpern gegen den eigenen Körper reagiert und so chronische Entzündungen auslöst – beispielsweise im Fall chronischer Krankheiten wie rheumatoider Arthritis. Immunologen wie Radbruch beginnen seit einiger Zeit zu begreifen, wie komplex solche Autoimmunreaktionen tatsächlich auf molekularer Ebene ablaufen. So galt lange Zeit das Dogma, dass Autoantikörper-produzierende B-Zellen äußerst kurzlebig sind. Inzwischen konnte Radbruch gemeinsam mit Kollegen jedoch nachweisen, das solche Plasmazellen – anders als bisher vermutet – unter bestimmten Bedingungen im Knochenmark und entzündetem Gewebe für Monate bis Jahre überleben können. Wie die Forschungen ergeben haben, produzieren diese Zellen – längst nachdem der ursprüngliche Stimulus eliminiert ist – immer noch darauf abzielende, spezifische Antikörper, sind damit offenbar ein wesentlicher Faktor für chronische Immunerkrankungen und ebenfalls eine Facette des immunologischen Gedächtnisses. Von gängigen Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken, werden diese Zellen nicht erreicht und Radbruch hofft nun, dass die neuen Erkenntnisse auch zu gänzlich neuen therapeutischen Strategien führen. Sowieso sollten sich seiner Meinung nach Behandlungen gezielter auf die Immunzellen selbst konzentrieren, nicht nur die Vielzahl unterschiedlicher Botenstoffe des Immunsystems attackieren. Bislang jedoch gab es erste Erfolge lediglich mit einer radikalen Methode: Dabei wurde bei Patienten, die an besonders aggressiven Formen rheumatischen Krankheiten wie Systemischer Lupus Erythematosus oder Multiple Sklerose leiden, und auf konventionelle Therapien nicht mehr ansprechen, mit Chemotherapie und Antikörpern gegen Blutzellen das autoaggressive Immunsystem zunächst komplett zerstört. Anschließend wurde das Immunsystem aus körpereigenen Stammzellen wieder aufgebaut. Die Krankheit war danach bei der Mehrzahl der Behandelten verschwunden. Weil diese Therapie die Patienten aber auch vorübergehend schutzlos gegen Krankheitserreger macht, ist sie nur für besonders schwer Erkrankte geeignet.

Vision: Mit spezifischer Therapie nur noch krankmachende Zellen eliminieren

Radbruch verfolgt deshalb die Vision, durch eine spezifische „Zelltherapie“ nur noch die krankmachenden Zellen zu eliminieren und nicht auch die schützenden des Immunsystems. Der Wissenschaftler verfolgt dabei ein hochgestecktes Ziel: Erkrankungen, denen Fehlreaktionen des Immunsystems zugrundeliegen, sollen irgendwann nicht nur an den Symptomen, sondern tatsächlich an der Wurzel allen Übels behandelt und geheilt werden können. Auch aufgrund dieser Motivation hat Radbruch Mitte der 90er Jahre seine Forschungsstätte in Köln nach zwanzig Jahren in Richtung Berlin verlassen, um wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) zu werden. „Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich ständig einen neuen Arbeitsplatz suchen müssen. Ich will etwas bewegen und kontinuierlich daran arbeiten, dass etwas Wichtiges entsteht“, sagt der 54-Jährige. Für ihn begann 1996 ein gänzlich neues Kapitel, heute ist er Koordinator von 120 Rheuma-Forschern der unterschiedlichsten Disziplinen, die gezielt unter einem Dach vereint arbeiten. „Die Rheumatologie gilt normalerweise als Stiefkind und die Grundlagenforschung ist in der Pharmaindustrie nur bedingt von kommerziellem Interesse, aber genau deshalb wollen wir uns um sie kümmern“, sagt er. Ein großer Schritt gelang im Jahr 2006: Das DRFZ wurde in die Wissenschafts-Gemeinschaft Leibniz aufgenommen. Das bedeutet Anerkennung als leistungsfähiges Forschungsinstitut und Sicherung der Zukunft. Dabei profitiert das DRFZ vor allem von der Nähe zu anderen forschenden und klinischen Einrichtungen wie der Charité, dem Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie oder der Technischen Universität Berlin und hat sich als wichtiger Eckpfeiler im nationalen „Kompetenznetz Rheuma“ etabliert. „Vor zehn Jahren gab es hier in Berlin nicht mal einen einzigen immunologischen Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, heute gibt es drei und zwei weitere sind in Vorbereitung. Da ist etwas entstanden“, betont er.

Immunologe steht Pate für Gründung von zwei Biotech-Unternehmen

Radbruch ist nicht nur mit Leib und Seele Forscher, sondern hat seine Arbeitsgruppe auch stets als Inkubator für wirtschaftliche Ideen gesehen – und auf diese Weise vor allem methodische Entwicklungen vorangetrieben. So entwickelte einer seiner Diplomanden Ende der 80er Jahre ein Verfahren zur Trennung von Zellen mittels an Magnetpartikel gebundener Antikörper – auch MACS genannt. Im Jahr 1989 führte dies zur Ausgründung der Miltenyi Biotech GmbH. „Vorher mussten wir für die gleichen Ergebnisse ewiglange Experimente durchführen. Das neue Verfahren entstand vor allem aus der Ungeduld heraus“, erinnert sich Radbruch. Inzwischen gehört es zum Standardrepertoire der meisten Labore und die Firma mit mehr als 800 Mitarbeitern zu den größten Biotech-Unternehmen in Deutschland. Im Jahr 1998 stand Radbruch ein weiteres Mal Pate für eine Start-up: Dieses Mal bei der Gründung der amaxa GmbH durch zwei seiner Doktoranden, die sich auf die Entwicklung von Gentransfer-Technologien spezialisiert hatten. Ob er jemals selbst auch eine Firma gründen würde? Kopfschütteln. Radbruch sieht sich selbst auf der Seite der Wissenschaft verankert und will von der Forschung aus Impulse setzen – auch in kommerzieller Richtung. So glaubt er, sich am besten verwirklichen zu können: „Um selbst ein Unternehmen erfolgreich an den Markt zu bringen, muss man sich voll dafür einsetzen, nur für diese eine Sache leben. Da bliebe nicht viel Zeit für anderes.“

 

Forscherprofile

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Michael Sittinger ist ein Experte der regenerativen Medizin und arbeitet als Rheumaforscher an der Charité in Berlin. Dort will er einen Weg finden, wie sich verletzte Knie selbst heilen können. mehr

Gunther Hartmann vom Universitätsklinikim Bonn hat erst jüngst herausgefunden, wie Viren es schaffen, infizierten Zellen ihren Willen aufzuzwingen. Im Jahr 2005 erhielt er für seine Arbeiten den BioFuture-Preis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)  mehr

Max Löhning kam Anfang 2006 von Zürich an die Charité in Berlin. Hier  will er mithilfe molekularbiologischer Methoden herausfinden, wie sich fehlgeleitete Gedächtniszellen der Immunabwehr für Therapiezwecke umprogrammieren lassen. mehr


Immunologie

Auch am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig beschäftigen sich eine Vielzahl von Wissenschaftlern mit dem Immunsystem. Einem von ihnen, Dr. Matthias Gunzer, ist es im Jahr 2004 erstmals gelungen, Immunzellen im Lymphknoten einer Maus in Aktion zu filmen.

Zum Film kommen Sie hier

Eine Übersicht der immunologischen HZI-Arbeitsgruppen finden Sie hier

Details zur Arbeit von Matthias Gunzer erhalten Sie hier


Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

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