Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Vielseitige Stammzellen im Mäusehoden entdeckt

Göttinger Forscher haben aus dem Hoden erwachsener männlicher Mäuse Stammzellen gewonnen, die offenbar ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen besitzen. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Göttinger Forscher haben aus dem Hoden erwachsener männlicher Mäuse Stammzellen gewonnen, die offenbar ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen besitzen. Quelle: pixelquelle.de

27.03.2006  - 

Normalerweise entstehen aus den Keimzellen im Hoden erwachsener Mausmännchen Spermien. Gerd Hasenfuß von der Universität Göttingen und seinem Team ist nun Überraschendes gelungen: Sie fanden dort Zellen, die ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen aufwiesen und sich in Zellen aller Gewebetypen verwandeln konnten. Wie die Forscher in der Onlineausgabe des Fachmagazins Nature berichten, wäre somit eine mögliche Alternative zur Nutzung der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen entdeckt.

Das Team um Gerd Hasenfuß am Herzzentrum der Universität hatte Zellen aus dem Hoden erwachsener Mausmännchen entnommen, daraus Stammzellen isoliert und es geschafft, einige davon in größeren Mengen zu kultivieren. Zur Überraschung der Forscher stellte sich dabei heraus, dass diese Stammzellen offenbar ähnlich vielseitige Eigenschaften besitzen wie embryonale Stammzellen und sich spontan in unterschiedlichste Gewebetypen entwickeln können. Dies war bisher nur mit Zellen von neugeborenen Mäusen gelungen, nicht aber bei erwachsenen Tieren.

Neue Quelle für wandelbare Zellen?

Die Forscher nennen ihre Entdeckung „multipotente adulte Keimbahn-Stammzellen“ (maGSCs) und hoffen, damit ein Stammzellreservoir entdeckt zu haben, das den Einsatz der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen überflüssig macht. Ob die Stammzellen bereits im Hoden ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in sich bergen oder erst durch eine spezielle Kultivierung zu ihren Eigenschaften gelangen, ist allerdings noch unklar. „Möglicherweise werden die Zellen durch die Kulturbedingungen umprogrammiert“, sagte Hasenfuß gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Auch eine weitere Reihe von Fragen ist noch offen. So wissen die Forscher nicht, ob die Hoden-Stammzellen ihre Qualität über eine längere Zeit behalten, oder sie auf eine Weise altern, die für Spermienzellen normalerweise üblich ist. Des weiteren ist offen, ob die aus den Hoden gewonnen Zellen tatsächlich so vielseitig wie embryonale Stammzellen sind, sich unbegrenzt vermehren und in über 200 verschiedene Gewebetypen verwandeln lassen. Alle möglichen Szenarien konnten die Göttinger nämlich noch nicht testen, aber ein Nachweis im lebenden Organismus ist ihnen bereits gelungen: In Versuchen mit frühen Mäuseembryonen zeigten sie, dass sich injizierte Hoden-Stammzellen im heranwachsenden Organismus integrierten und zum Aufbau vieler Organe wie Lunge, Gehirn oder Herz beitrugen.

Stammzellen als biologisches Flickzeug

Viele Forscher setzen große Hoffnungen darauf, dass sich Stammzellen als Reparaturtrupp oder biologisches Flickzeug bei einer Vielzahl von schweren Krankheiten wie Parkinson oder Herzinfarkt einsetzen lassen – und auf diese Weise völlig neue Therapiemöglichkeiten entstehen. Bis sich diese Hoffnungen erfüllen, ist es jedoch noch ein langer Weg. Zuviele grundsätzliche Fragen sind nicht geklärt: etwa ob sich für solche Therapien lediglich embryonale Stammzellen eignen oder auch solche aus Erwachsenen. Stammzellen aus Embryonen sind vielseitiger, doch ihre Verwendung ist ethisch umstritten. An adulten Stammzellen – etwa aus dem Knochenmark – wird auch in Deutschland geforscht, aber noch konnte nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, ob ihre Einsatzmöglichkeiten eingeschränkt sind oder nicht.

Die Göttinger Forscher haben ihr Augenmerk jedenfalls auf Stammzellen im erwachsenen Organismus gerichtet, und wenn sich ihre Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen lassen, wäre ein Weg gefunden, die ethisch umstrittene Nutzung von embryonalen Stammzellen zu umgehen. Noch befinden sich diese Versuche allerdings im frühen Stadium und Hasenfuß weiß, dass es von seinen vier Mausstammzelllinien noch ein weiter Weg bis hin zum Menschen ist. Er gibt sich jedoch zuversichtlich und hofft zudem, dass sich ähnlich wandelbare Zellen auch im Eierstock von Frauen finden lassen.

Manch Kollege steht der neuen Entdeckung allerdings skeptisch gegenüber. „Schon andere Forscher haben behauptet, pluripotente Stammzellen aus ausgewachsenen Tieren gewonnen zu haben, zum Beispiel aus der Bauchspeicheldrüse. So weit ich weiß, konnten solche Ergebnisse von anderen Teams aber bisher nicht reproduziert werden,“ sagte etwa der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler in der Berliner Zeitung.

 
Weiterführende Informationen

Georg-August-Universität Göttingen

Michael Sittinger liebt Herausforderungen. Am meisten kann sich der Molekularbiologe und Rheumaforscher von der Berliner Charité deshalb für Themen begeistern, bei denen er Neuland betreten muss. Sein neuestes Ziel: Er will verletzte Knie dazu bringen, sich selbst zu heilen.

Michael Sittinger: Der Zellenzüchter

Führende deutsche Wissenschaftler fordern, freier mit embryonalen Stammzellen forschen zu dürfen. Ansonsten werde Deutschland den Anschluss an die internationale Spitzenszene verlieren. „Die parallele Forschung an adulten und embryonalen Stammzellen ist für die Ausschöpfung des therapeutischen Potentials unverzichtbar “, sagte Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster auf dem Forum der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin in Berlin.

Debatte über Stammzellforschung in Berlin

Artikel im Fachmagazin Nature