Regenerative Medizin: Heilen mit Zellen
Die Regenerative Medizin nutzt die Selbstheilungskräfte des Körpers, um Erkrankungen und Verletzungen zu therapieren. Dabei setzen Mediziner und Naturwissenschaftler auf den Einfluss lebender Zellen. Neue und individuelle Therapien könnten Patienten, so die Hoffnung, eine deutlich höhere Lebensqualität ermöglichen. Mit einem Dossier und einer Broschüre beleuchtet biotechnologie.de, wie das Forschungsgebiet in Deutschland aufgestellt ist, für welche Erkrankungen es bereits vielversprechende Fortschritte gibt und wieso der Weg für zellbasierte Therapien in den klinischen Alltag so schwierig ist. Als Spitzenzentren für die Regenerative Medizin sind in Deutschland sogenannte Translationszentren in Leipzig, Berlin, Dresden, Hannover und Rostock aufgebaut worden. Auch für die Pharma- und die Kosmetikindustrie werden Verfahren der Regenerativen Medizin immer bedeutender.
Anwendungsbeispiele: Haut und Herz
Für nahezu sämtlichen Organe und Gewebe des Körpers versuchen Mediziner, regenerative Therapien zu entwickeln oder Modelle für ihre Erforschung im Labor zu entwickeln. Hier sind nur zwei Beispiele aufgeführt. Weitere Anwendungsgebiete stellt die neue BMBF-Broschüre "Regenerative Medizin" vor (mehr siehe rechts).
Haut: Von der Wundauflage bis zur Gewebefabrik
Die Haut ist das größte und regenerationsfreudigste Organ des menschlichen Körpers. Von der Struktur her ist die Haut relativ klar aufgebaut: Sie besteht aus mehreren Zellschichten, die wie Mauersteine übereinander gestapelt sind. Dank dieses vergleichsweise einfachen Aufbaus ist die Züchtung von Hautgewebe im Labor in den vergangenen Jahren zum bisher erfolgreichsten Anwendungsgebiet des „Tissue Engineering“ geworden. Heute hat im Labor nachgebaute und nachgezüchtete Haut zwei bedeutende Anwendungsfelder: In der Medizin ist sie oft die letzte Rettung für Patienten mit schweren Verbrennungen oder chronischen Wunden. In der Kosmetikindustrie wiederum werden die Hautpartien aus der Kulturschale dafür verwendet, neue Substanzen zu testen. Bereits seit Jahren sind bestimmte Hautgewebe kommerziell erhältlich. Dazu gehören meist Modelle der Oberhaut (Epidermis). Sie müssen nicht über Blutgefäße versorgt werden und lassen sich verhältnismäßig leicht im Labor herstellen und züchten. Biotechnologen aus Berlin, Lübeck und München haben dazu in einem vom BMBF geförderten Projekt eine Methode entwickelt, mit der sogar Haut mit Haaren herstellen wollen (mehr…). 94. Folge von biotechnologie.tv: Künstliche Haut aus der Gewebefabrik.Quelle: biotechnologie.tvDerzeit ist die Herstellung solcher Hautmodelle aber noch langwierig, denn sie basiert auf Manufaktur und ist damit teuer. Forscher der Fraunhofer-Institute für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen und für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart haben eine vollautomatischen Produktionsanlage für 3D-Hautmodelle entwickelt. 2011 ging die Gewebefabrik in Betrieb. Pro Monat sollen in der Stuttgarter „Tissue Factory“ bis zu 5.000 daumennagelgroße Hautstückchen vom Stapel gehen (mehr…)
Herz: Schwache Pumpen wieder ankurbeln
Bei einem Herzinfarkt sterben die nicht mehr durchbluteten Gewebebereiche ab und der Herzmuskel hört an dieser Stelle auf zu schlagen. Bisher versuchen Ärzte das geschwächte Pumporgan dann mit Medikamenten in seiner Funktion zu stabilisieren. Um die Durchblutung des unbeschädigten Teils des Herzens zu sichern, werden in vielen Fällen Ersatzadern (Bypässe) rund um das Herz verlegt. Obwohl diese Maßnahmen zu einer deutlichen Verbesserung führen können: Sie beseitigen die Erkrankung nicht dauerhaft, und die Patienten leiden meist an den chronischen Folgen. Um die entstandenen Schäden am Herzmuskel wirklich zu heilen, hilft bislang nur eine Transplantation des Organs, mit allen damit verbundenen Risiken. Biomediziner versuchen daher, die Selbstheilungskräfte der geschwächten Pumpe wieder anzukurbeln. Doch die Regenerationsfähigkeit des Herzens ist bei Menschen stark eingeschränkt. Zwar haben Forscher vor kurzem Stammzellen oder Vorläuferzellen innerhalb des menschlichen Herzmuskels aufgespürt. Sie sind allerdings sehr selten und können von sich aus die zerstörten Muskelpartien nicht angemessen nachbilden. Regenerative Therapien am Herz stützen sich deshalb auf zwei Strategien: Gezüchtete Herzmuskelzellen aus dem Labor sollen als Aufbauhilfe dienen, injizierte Stammzellen sollen die geschwächten Zonen wiederbeleben. Für größere „Ersatzteile“ liefert die Disziplin des Tissue Engineering unter anderem mitwachsende Herzklappen (mehr…). Die Zucht eines kompletten menschlichen Herzens in der Kultur bleibt bislang Utopie.
Stammzelltherapien bei Herzschwäche
Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich Forscher damit, Herzinfarkttherapien mit Gewebestammzellen zu testen. So hat die am Klinikum der Universität Frankfurt durchgeführte REPAIR-AMI-Studie gezeigt, dass Herzpatienten von der Gabe körpereigener Stammzellen in die betroffene Herzregion profitieren können (mehr…). Auch Herzmediziner um Gustav Steinhoff von der Klinik für Herzchirurgie der Universität Rostock testen derzeit einen ähnlichen Weg. Am Rostocker Referenz- und Translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (RTC) haben sie ein Verfahren entwickelt, bei dem körpereigene Stammzellen eines Patienten zur Therapie von Herzkrankheiten zum Einsatz kommen. Ende 2009 haben die Mediziner eine groß angelegte Phase III-Studie gestartet, in der bis zu 142 Patienten behandelt werden sollen (mehr…). Diese Studie läuft doppelblind und placebokontrolliert ab, und ist damit die entscheidene Stufe für eine mögliche Zulassung der Therapie.
Neben dem RTC sind noch das Deutsche Herzzentrum in Berlin und die Medizinische Hochschule in Hannover beteiligt. Die Studie wird vom Land Mecklenburg-Vorpommern und vom BMBF unterstützt. Neue Hoffnungsträger für eine zukünftige Herzinfarkttherapie bilden pluripotente Stammzellen, die aus Körperzellen künstlich zurückprogrammiert werden. In einem BMBF-Verbundprojekt untersuchen Kölner Forscher das Potenzial dieser so genannten iPS-Zellen zur Behandlung des Herzinfarktes. Bei Mäusen ist es hier bereits gelungen, aus den künstlichen Stammzellen Herzmuskelzellen heranzuzüchten. Mit einer ähnlichen Strategie erforscht ein Team um Ulrich Martin von der Medizinischen Hochschule Hannover das Potenzial von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut von Neugeborenen (mehr…).