Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Ethikrat: Geteiltes Votum zur PID

Grenzfall: Ein künstlich befruchteter Embryo im Achtzellstadium. Mediziner würden ihn als nicht optimal, aber noch einsetzungsfähig bewerten. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Grenzfall: Ein künstlich befruchteter Embryo im Achtzellstadium. Mediziner würden ihn als nicht optimal, aber noch einsetzungsfähig bewerten.

09.03.2011  - 

Statt einer eindeutigen Empfehlung zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) hat der Ethikrat am 8. März eine geteilte Stellungnahme vorgelegt. Mit 13 zu elf Stimmen spricht sich eine hauchdünne Mehrheit des Gremiums aus Rechtswissenschaftlern, Medizinern, Theologen und Verbandssprechern für eine begrenzte Zulassung der PID aus. Die Empfehlung soll den Abgeordneten eine Handreichung zu drei überparteilich erarbeiteten Gesetzentwürfen geben, die ab Mitte März im Bundestag beraten werden. Eine Abstimmung ohne Fraktionszwang soll voraussichtlich im Juni oder Juli stattfinden.

So hatten sich die Abgeordneten das sicher nicht vorgestellt: Die lange erwartete Stellungnahme des Ethikrates enthält keine eindeutige Empfehlung, sondern ein Pro und Contra. Mit 13 Stimmen votiert eine hauchdünne Mehrheit des Gremiums für eine Zulassung unter Auflagen, 11 Ethikratmitglieder sprechen sich für ein PID-Verbot aus. Dazu kommen ein Sondervotum und eine Enthaltung. Für die 104-seitige Stellungnahme hat der Ethikrat vier ganztägige Beratungen im Plenum, zehn Sitzungen einer Arbeitsgruppe und eine öffentliche Anhörung verwandt. Am 8. März 2011 wurde das Votum dem Bundestag, der Regierung und der Öffentlichkeit präsentiert.

In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, wie durch die PID Krankheiten bei Embryos entdeckt werden können.Quelle: biotechnologie.tv

Umstrittenes Diagnoseverfahren

Die PID ist ein Verfahren zur Diagnose genetischer Eigenschaften im Blastozystenstadium eines Embryos, also etwa vier bis acht Tage nach einer künstlichen Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation, IVF). Die künstliche Befruchtung gibt es seit mehr als 30 Jahren, im Herbst 2010 hatte ihr Erfinder Robert Edwards den Nobelpreis für Medizin erhalten (mehr...).  Die PID kommt hier vor allem für Frauen in Frage, die bereits mehrere Fehlgeburten hatten oder Träger einer Erbkrankheit sind.  Dem wenige Tage alten Embryo werden Zellen entnommen, und deren Chromosomen auf genetische Defekte untersucht - etwa um Erbkrankheiten, wie zum Beispiel Mukoviszidose oder Trisomie 21, zu erkennen. Mithilfe der PID, so die Idee, könnten Eltern, die Träger einer solchen Erbkrankheit sind, nur den Embryo auswählen und in den Mutterleib einpflanzen lassen, der nicht von einem solchen genetischen Defekt betroffen ist. In manchen Ländern wurde die PID im Einzelfall und nach der Entscheidung von entsprechend eingesetzten Ethikkommissionen auch dazu benutzt, genetisch kompatible „Rettungsgeschwister“ zu zeugen - zum Beispiel als Knochenmarkspender für ein leukämiekrankes Geschwisterkind. Die Bestimmung von Merkmalen wie Haar- und Augenfarbe, Intelligenzquotient oder Körpergröße ist nach heutigem Stand der Wissenschaft nicht möglich, die Geschlechtsbestimmung ist hingegen prinzipiell machbar. Die Gen-Diagnose nach künstlicher Befruchtung ist ethisch umstritten, weil sie zwangsläufig zur Tötung unerwünschter Embryonen führt.

Ethikrat-Mitglieder Wolfgang Huber, Christiane Woopen, Edzard Schmidt-Jortzig, Wolf-Michael Catenhusen, Ulrike Riedel und Jochen Taupitz bei der Präsentation der Stellungnahme (v. l.) Lightbox-Link
Ethikrat-Mitglieder Wolfgang Huber, Christiane Woopen, Edzard Schmidt-Jortzig, Wolf-Michael Catenhusen, Ulrike Riedel und Jochen Taupitz bei der Präsentation der Stellungnahme (v. l.) Quelle: Deutscher Ethikrat

Wissenschaftler für begrenzte Zulassung

Bislang befindet sich die rechtliche Handhabung der PID in einer Grauzone. Derzeit ist sie faktisch erlaubt; durch medizinische Fortschritte ist das Verfahren so gravierend verbessert worden, dass die Methode nicht gegen das strikte Embryonenschutzgesetz von 1990 verstößt. Der Berliner Frauenarzt Matthias Bloechle hatte einer Familie per PID zu einem Kind ohne Gendefekt verholfen, sich danach aber selbst angezeigt. Der Bundesgerichtshof hatte daraufhin im Juli 2010 das PID-Verbot gekippt (mehr...). Nun ist der Gesetzgeber gefragt, eine klare Regelung im Umgang mit der PID zu finden. Vor diesem Hintergrund hatte Ende Januar eine Gruppe von 13 renommierten Forschern, darunter die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard sowie Humangenetiker, Medizinrechtler und Reproduktionsmediziner im Auftrag der drei Wissenschaftsakademien Leopoldina, Acatech und BBAW eine Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik (PID) vorgelegt und sich darin für eine eingeschränkte Zulassung ausgesprochen (mehr...).

Ethikrat zur PID

Auf 104 Seiten erklären die 26 Mitglieder des Ethikrates ihre Haltung zur PID.

Die Stellungnahme:  pdf-Download

Zu einem ähnlichen Entschluss kommt nun auch eine knappe Mehrheit der Ethikratmitglieder. „Wir sind der festen Überzeugung, dass die PID nicht nur begrenzt werden sollte, sondern auch begrenzt werden kann,“ sagte die stellvertretende Ethikratvorsitzende Christiane Woopen, die zu den Befürwortern zählt, bei der Vorstellung der Stellungnahme am 8. März. Im Vergleich zur Stellungnahme der Akadamien ist der von der Bundesregierung als Sachverständigenrat eingesetzte Ethikrat wesentlich präziser in seinen Bedingungen: Dem Mehrheitsvotum zufolge soll PID erlaubt werden, wenn bei den Eltern nachweislich Anlagen zu erblichen Gendefekten bestehen, die zu schweren Behinderungen führen oder ein hohes Risiko zu Fehl-und Totgeburten bergen. Die  Argumentation ist nicht nur ethisch, sondern auch juristisch: Eine schwere Behinderung indiziert nach geltendem Recht eine Abtreibung nach Paragraph 218. Embryonen im Reagenzglas mehr zu schützen als ungeborenes Leben im Mutterleib sei widersprüchlich, so Woopen.

Keine Selektion bei Brustkrebs und Alzheimer

Rettungsgeschwister oder Chromosomenstörungen, die mit einem hohen Alter der Mutter zusammenhängen sowie spät manifestierende Krankheiten sind – anders als bei der Akademieempfehlung - dem Ethikrat zufolge kein Grund für eine PID. Damit spricht sich das Gremium beispielsweise gegen eine Selektion von Embryonen mit der erblichen Veranlagung zu Brustkrebs, Alzheimer und Chorea Huntington aus.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de

News: Embryonen-Check: Wissenschaftsakademien plädieren für PID

News: BGH erlaubt Präimplantationsdiagnostik

News: Gendiagnostik - Gesetz regelt Umgang mit genetischen Daten

Eine Geschlechtsbestimmung befürwortet der Ethikrat nur, wenn der Gendefekt über die Geschlechtschromosomen (gonosomal) vererbt wird und demzufolge zu einer geschlechtsbedingten schweren Krankheit führt. Auch das bei Spätgebärenden erhöhte Risiko für Gendefekte wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) rechtfertigt dem Ethikrat zufolge keine Embryonenauslese. Sie schlagen außerdem bundeseinheitlich festzulegende Verfahrensregeln für die Durchführung der PID vor. Die Indikation soll nach Feststellung des genetischen Risikos und Beratung durch einen Humangenetiker, nach ärztlicher Beratung durch einen Reproduktionsmediziner und nach psychosozialer Beratung durch eine nach Schwangerschaftskonfliktgesetz anerkannte Beratungsstelle gemeinsam durch die an der Beratung beteiligten Fachleute sowie einen Vertreter der In-Vitro-Fertilisations-Kommission der Landesärztekammer erstellt werden. Gleichwohl lehnt es das Gremium ausdrücklich ab, einen Katalog diagnostizierbarer Krankheiten vorzulegen.

Eben diese Liste von Krankheiten, welche eine Gen-Diagnose rechtfertigen, fordert eines der Ethikratmitglieder in einem Sondervotum; ein weiteres Ethikratmitglied hatte sich bei der Abstimmung enthalten. Elf Ethikrat-Mitglieder haben sich für ein komplettes Verbot des Diagnoseverfahrens ausgesprochen. Sie befürchten eine Ausweitung der Diagnosemethode auf weniger schwere Gendefekte und sehen der selektiven Tötung behinderten Lebens Tür und Tor geöffnet. Die Entwicklung der medizinischen Möglichkeiten sowie ein Blick über die Landesgrenzen ließen vermuten, dass der Embryonenschutz weiter aufgeweicht würde. Außerdem argumentieren die Ethikratmitglieder mit sozialen Faktoren: Der Druck auf erblich belastete Paare würde zunehmen, sich dem Verfahren zu unterziehen und behindertes Leben zu vermeiden, statt es in die Gesellschaft zu integrieren.

Streitobjekt: Ein vier Tage alter Embryo nach künstlicher Befruchtung.Lightbox-Link
Streitobjekt: Ein vier Tage alter Embryo nach künstlicher Befruchtung.Quelle: M. Johnson

Debatte im Bundestag

Ebenso gespalten wie die Wissenschaftler zeigt sich auch die Politik. Am 17. März beginnt die Debatte im Bundestag, die sich an drei Gesetzentwürfen orientiert. Davon plädiert einer für ein Verbot und zwei für Zulassungen der PID mit verschiedenen Einschränkungen. Die Entwürfe wurden überparteilich erarbeitet. Ein von den Ministerinnen Kristina Schröder (CDU, Familienministerin) und Ursula von der Leyen (CDU, Arbeitsministerin) sowie den SPD-Politikern Edelgard Buhlmahn und Hubertus Heil unterstützter Entwurf plädiert für mehrere Ausnahmen, bei denen die umstrittene genetische Diagnostik angewandt werden darf. Er beschränkt die Zulassung nicht nur auf genetisch vorbelastete Paare. Ein zweiter Entwurf sieht Ausnahmen nur dann vor, wenn mindestens ein Elternteil erblich belastet ist. Diese Vorlage unterstützt unter anderem Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU).  Ein dritter, unter anderem von der ehemaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) getragener Entwurf plädiert für ein vollständiges PID-Verbot.  Für die im Juni erwartete Abstimmung wurde der Fraktionszwang aufgehoben. Die Ethikrat-Stellungnahme zeige, „dass es bei der PID keine Lösung gibt, die moralisch einwandfrei ist“, resümierte die stellvertretende Ethikratvorsitzende Christiane Woopen.

 

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos

TV-Glossar

Kreidezeit - Begriffe aus der Biotechnologie

Von A wie Antikörper bis Z wie Zellkultur - die Kreidezeit erklärt Begriffe aus der Biotechnologie kurz und knapp an der Tafel. Alle Videos finden Sie in unserem Filmarchiv.


Zur Rubrik Kreidezeit