Premiere: Antikörper aus Deutschland steht vor Markteintritt
20.02.2009 -
Lange hat die deutsche Biotech-Branche auf diese Nachricht gewartet, nun ist es soweit. Der erste in Deutschland entdeckte und entwickelte Antikörper hat die größte Hürde vor dem Markteintritt genommen. Das ist bisher noch keiner Biotech-Firma gelungen. Geschafft hat das nun die von Horst Lindhofer im Jahr 1998 gegründete Trion Pharma, gemeinsam mit dem Partner Fresenius Biotech. Am 19. Februar hat sich der Ausschuss für Humanarzneimittel der europäischen Zulassungsbehörde EMEA für die Zulassung von Trion's Antikörper Removab ausgesprochen (mehr...) – die wesentliche Voraussetzung dafür, dass die EU-Kommission tatsächlich eine solche erteilt. Die Zulassung wird für Ende April erwartet.
"Es ist vollbracht", seufzt Horst Lindhofer, Geschäftsführer der Trion Pharma AG. Nach elf Jahren Entwicklungsarbeit kann sich der Firmengründer nun glücklich schätzen. Sein Antikörper ist zwar zunächst für eine vergleichsweise kleine Gruppe Patienten gedacht – und zwar für solche, die sich im Endstadium von Krebs befinden und dabei eine Bauchwassersucht entwickeln (maligne Aszites). Bislang kann eine solche schmerzhafte Erkrankung nur mit einer wiederholten Punktion behandelt werden, die nicht nur unangenehm, sondern auch eine mögliche Infektionsquelle für die geschwächten Patienten darstellt.
Horst Lindhofer: Der Biologe, ist nicht nur erfolgreicher Firmengründer, sondern kann auf eine Musikerkarriere zurückschauen. Neugierig geworden? Dann lesen unser Porträt. |
Nicht gegen, sondern mit dem Immunsystem arbeiten
„Das besondere an unserem Verfahren ist, dass wir mit dem Immunsystem und nicht gegen das Immunsystem arbeiten“, sagt Lindhofer. So setzt der Biologe auf Antikörper. Diese Eiweiße sind Bestandteil der natürlichen Immunabwehr und können ganz gezielt an bestimmte Zellen binden. Dieses Potenzial wird in der Medizin bereits sehr oft ausgenutzt, denn mithilfe der Gentechnik lassen sich ganz gezielt therapeutische Antikörper herstellen, die sich gegen ganz bestimmte Zellen (z.B. Krebszellen) richten und ihre Zerstörung bewirken. Inzwischen gehören solche Medikamente zu den bestverkauften Biotech-Arzneien. Nicht zuletzt aus diesem Grund beschäftigen sich Firmen und Forscher damit, ganz neue Generationen von Antikörpern zu entwickeln. So arbeitet Ulrich Rothbauer von der Ludiwig-Maximilians-Universität (LMU) an speziellen kleinen Antikörpen (mehr..) und die Münchner Biotech-Firma Micromet an einer ganz neuen Antikörper-Technologie (mehr...).
Auch Lindhofer hat sich der Weiterentwicklung von Antikörpern verschrieben und ihre Wirksamkeit derart verbessert, dass sie nicht nur an eine, sondern an mehrere, verschiedene Zellen binden können. Auf diese Idee brachte ihn vor 15 Jahren sein damaliger Chef, Stefan Thierfelder. Lindhofer hatte gerade seine Promotion über den Aids-Virus an der Ludwig-Maximilians-Universität Münchnen beendet und eine Stelle als Postdoc am Münchner GSF-Institut für Immunologie begonnen – heute Helmholtz-Zentrum München. Damals sagte sein Chef: „Produzier’ mir bispezifische Antikörper“, und Lindhofer begann, im Labor herumzuprobieren.
Trion Pharma.... |
... wurde im Jahr 1998 gegründet und hat inzwischen 140 Mitarbeiter. Die komplette Finanzierung der Wirkstoffentwicklung übernahm Fresenius Biotech, das zu 25 % an Trion beteiligt ist. Mehr Infos: www.trionpharma.de |
Antikörper mit dreifacher Kraft
Alle Antikörper sind geformt wie ein Ypsilon, mit einem Stamm und zwei Ärmchen. Doch normalerweise sind die Ärmchen identisch, sodass maximal zwei verschiedene Zellen gebunden werden können, am Stamm und an den Ärmchen. Lindhofer gelang es schließlich nach vielen erfolglosen Versuchen erstmals, Antikörper in großen Mengen herzustellen, die zwei unterschiedliche Ärmchen besitzen – also bispezifisch sind. Da auch der Stamm des Ypsilons selbst an einen Zell-Typus binden kann, besitzen Lindhofers Antikörper sogar eine dreifache Kraft.
Ein solcher von Lindhofer entwickelte trifunktionaler Antikörper kann nämlich an eine Krebszelle, und an zwei verschiedene Arten von Immunzellen binden, die sogenannten T-Zellen und die Fresszellen (Makrophagen). „T-Zellen sind sehr potente Killer, sie können aber nicht so einfach aktiviert werden, sonst würden sie ja wahllos im Körper töten“, sagt Lindhofer. Damit sie loslegen, braucht es zwei verschiedene Signale. Und eines kommt direkt vom therapeutischen Antikörper.
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Fresszellen wiederum spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Immunsystems. Weil auch sie über das neue Medikament an die T-Zellen binden, geben sie das zweite Signal. Auf diese Weise geraten die Krebszellen gleich doppelt unter Beschuss: Die T-Zelle beginnt, die Krebszelle zu töten, und die Makrophagen starten damit, die Krebszellen aufzufressen. Letzteres aktiviert wiederum weitere Zellen, die sich auch gegen die Krebszellen wenden. Auf diese Weise bringt das neue Medikament das gesamte Immunsystem gegen den Krebs in Stellung, denn die aktiven T-Zellen und Fresszellen locken immer fort weitere nützliche Zellen an – ein Antikörper mit katalytischer Funktion also. Wie in klinischen Studien gezeigt werden konnte, hat ein solches System auch ganz praktische Vorteile: Der neue therapeutische Antikörper muss nur in geringen Dosen verabreicht werden, weil er um den Faktor 1000 bis 10.000 wirksamer ist als Standard-Antikörper.
Grünes Licht für Zulassung
Für die europäische Zulassungsbehörde waren die klinischen Daten offenbar sehr überzeugend. Am 19. Februar gab der zuständige Ausschuss der EMEA ein positives Votum ab. Eine offizielle Zulassung durch die EU-Kommission ist nun lediglich Formsache. Sie wird bereits Ende April erwartet. Für Lindhofer ein gutes Geschäft: Zwar ist Trion eine Tochter der Fresenius Biotech, aber Lindhofer besitzt immer noch die Mehrheit an Trion. Mit dem Markteintritt stehen seiner Firma nicht nur Umsatzanteile an den Verkäufen von Removab zu, sondern auch eine Prämie im zweistelligem Millionenbereich. Lindhofer plant jedoch nicht, sich zurückzulehnen. Ganz im Gegenteil. Wird Removab zugelassen, sei dies ein Eisbrecher für weitere Indikationsgebiete. So laufen bereits klinische Studien zur Behandlung von Eierstockkrebs und Magenkrebs.