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Biotechnologie gegen Schweinegrippe

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Das Schweinegrippe-Virus hat sich innerhalb weniger Wochen von Mexiko aus über die ganze Welt verbreitet. Quelle: Manuel Schuster / pixelio.de

Die Schweinegrippe hält die Welt in Atem. Seit in Mexiko ein neuer Grippeerreger auftrat, der in seinem Erbgut Elemente von menschlichen, Schweine- und Vogel-Grippeviren aufwies, hat sich die "Schweinegrippe" überraschend schnell über den ganzen Erdball verbreitet. Auch in Deutschland sind schon erste Infektionen aufgetreten. Was das neue Virus ausmacht, wie Deutschland darauf reagiert und wann mit einem Impfstoff zu rechnen ist: in all diesen Fragen steckt Biotechnologie drin.

Die Jagd nach einem Impfstoff

Im Hinblick auf die Schweinegrippe erweisen sich biotechnologische Verfahren vielfach als unentbehrlich. Nicht nur bei der Entwicklung eines zukünftigen Impfstoffes, sondern auch weitaus früher im Behandlungsprozess. Zunächst muss nämlich eine Grippeinfektion erst einmal diagnostiziert werden.

Üblicherweise wird eine Grippeinfektion auf indirektem Wege nachgewiesen. Eine Blutprobe wird auf die Antikörper hin untersucht, die der Körper auf die Erreger gebildet hat. Allerdings dauert es einige Tage, bis es zu einer Immunantwort kommt. Soll es schneller gehen, muss der Virus im Blut direkt nachgewiesen werden. Am besten schlägt der Test auch schon in der Frühphase einer Infektion an, wenn erst wenige Viren im Blut sind. Dann bleibt mehr Zeit für eine medikamentöse Behandlung.

Zukünftig soll der Impfstoff nicht mehr in Hühnereiern, sondern in Säugetierzellen vermehrt werden.Lightbox-Link
Zukünftig soll der Impfstoff nicht mehr in Hühnereiern, sondern in Säugetierzellen vermehrt werden.Quelle: Boehringer Ingelheim

Polymerase-Kettenreaktion zur Grippe-Diagnose

Damit  der Test aber auch bei geringen Virusmengen im Blut zuverlässig anschlägt, muss das Erbgut des Virus, auf das der Test anschlägt, in der Probe erst einmal spezifisch vermehrt werden. Hier kommt die Polymerase-Kettenreaktion (englisch Polymerase Chain Reaction, PCR) und damit die Biotechnologie ins Spiel.

Die Polymerase-Kettenreaktion wurde 1983 von Kary Mullis entdeckt. Dabei wird der Doppelstrang der DNA, auf der die zu kopierende Sequenz liegt, zunächst durch langsames Erhitzen auf 94 °C in die beiden Einzelstränge aufgetrennt. Dann setzt man zwei kurze DNA-Abschnitte (Primer) zu, die den Start und Endpunkt des zu kopierenden Abschnitts markieren, indem sie sich auf Anfang und Ende der gewünschten Sequenz setzen. Jetzt kommt die DNA-Polymerase zum Einsatz. Dieses Enzym fügt an die von den Primern markierte Sequenz die jeweils passenden DNA-Bausteine an, die zuvor hinzugegeben wurden. Die Sequenz ist kopiert. Wiederholt man diesen Vorgang immer wieder, entstehen von selbst Millionen identische Kopien der DNA-Sequenz. Dieser Kettenreaktion verdankt die Methode ihren Namen.

Handelsübliche Diagnose-Kits schlagen an

Bei Viren, deren Erbgut nicht aus DNA, sondern aus der ähnlichen RNA besteht, ist vor dem Nachweis mittels PCR noch ein Schritt notwendig, der die RNA in DNA umschreibt. Das Enzym, dass diesen Prozess katalysiert ist die Reverse Transkriptase (RT). Das Umschreiben der RNA in DNA und die anschließende Vervielfältigung der RNA-Sequenzen via PCR wird unter der Abkürzung RT-PCR zusammengefasst. Bei nahezu allen Grippeviren, die beim Menschen bekannt sind, gibt es mittlerweile einen Test, der auf PCR bzw. RT-PCR basiert.

Diese Verfahren kommen zum Einsatz, wenn die üblichen Nachweismethoden kein positives Ergebnis liefern, aber dringender Verdacht auf eine virale Infektion besteht oder man beispielsweise bei aggressive Erkrankungen ganz sicher gehen will, dass keine Ansteckung vorliegt.

Mehrere Firmen haben Grippetest-Kits im Angebot, die auf PCR basieren. Der deutsch-niederländische Biotech-Dienstleister Qiagen hat nach eigenen Angaben nicht nur das größte Angebot von Testkits für Grippeviren weltweit, sondern ist auch der größte Hersteller von molekularen Tests für Vogelgrippe und hat den ersten Test für SARS mitntwickelt entwickelt.

Manche der Grippe-PCR-Tests zeigen nur das Vorhandensein von Grippeviren im Allgemeinen an, manche können zwischen Typ A und Typ unterscheiden, einige sind auf spezielle Grippearten wie die Vogelgrippe abgestimmt. Einige der handelsüblichen Tests schlagen nach Angaben der Hersteller auch auf das Schweinegrippe-Virus an. Qiagen meldete, dass zwei ihrer Tests auf Grippeviren des Typus A auch bei der Schweinegrippe anschlagen. Das Institut für Virologie an der Universität Marburg hat mittlerweile einen Test entwickelt, der speziell auf das Virus der Schweinegrippe anschlägt.

Künstliches Virus aus Genen herstellen 

PCR-Tests können allerdings nur bestimmen, ob Virus-RNA im Blut vorhanden ist. Ob die dazugehörigen Viren aber vielleicht schon ausgeschaltet wurden und nicht mehr gefährlich sind, lässt sich damit nicht feststellen. Deshalb wird die Probe meist im Anschluss noch in einer Zellkultur herangezüchtet, um zu sehen, ob die Viren noch aktiv und damit gefährlich sind. In Marburg werden derzeit Speichelabstriche von Infizierten gesammelt, um daraus einen Impfstoff zu entwickeln. Das Institut für Virologie arbeitet dazu mit dem Pahrmakonzern Novartis zusammen. Neueste biotechnologische Methoden sollen die Produktion beschleunigen.

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Becker will dabei nicht warten, bis die WHO Virusmaterial liefert. "Die WHO hat das Genom veröffentlicht", sagte Becker gegenüber der Nachrichtenseite Spiegel Online. "Wir lassen die Gene nun synthetisieren und stellen daraus ein rekombinantes Virus her." Dieser Erreger wird über die Oberflächenproteine der neuen Variante verfügen, der Rest wird von einem bereits bekannten Virentyp stammen. Dieser genetische Mischling, ein sogenannter rekombinanter Virus, soll dann bei der Impfstoffentwicklung helfen. Bis der in größeren Mengen zur Verfügung steht, wird allerdings noch dauern, obwohl Novartis mit einer neuen Methode zur massenhaften Herstellung von Impfstoffen schon Erfahrung hat (mehr...).

Herkömmliche Herstellungsmethoden dauern zu lange

Üblicherweise werden Impfstoffe mit Hilfe von Hühnereiern hergestellt, die mit Viren infiziert werden. Die Eier werden drei Tage lang gebrütet. In dieser Zeit vermehrt sich das Virus in der äußeren Fruchthülle um den Hühnerembryo. Später wird das virushaltige Eiklar geerntet und zu verschiedenen Impfstoffen weiterverarbeitet. Das dauert. Zudem sind viele Viren – wie etwa Vogelgrippeviren – so aggressiv, dass sie nicht in Eiern wachsen können. Aus diesem Grund muss zuvor der Erregerstamm gezielt verändert werden. Das dauert noch länger.
Schneller geht es mit einem anderen Ansatz, bei dem Säugetierzellen für die Zucht verwendet werden. Sie sind stabiler, das Virus muss vorher nicht mehr entschärft werden. Novartis hat bei dieser Methode mit seinem Marburger Forschungsstandort Novartis Behring die Nase vorn. Im Sommer 2007 erhielt der Zellkultur-Grippeimpfstoff Optaflu die Zulassung in der Europäischen Union. Optaflu war der erste Grippeimpfstoff, bei dessen Herstellung statt Hühnereiern eine firmeneigene Zelllinie zur Produktion von Antigenkomponenten eingesetzt wird. In Marburg steht die weltweit erste Anlage, die Zellkultur-Grippeimpfstoff im industriellen Maßstab für den Markt produziert. Die erste Lieferung erfolgte in der Saison 2007/2008.

Das amerikanische Pharmaunternehmen Baxter wiederum besitzt einen Impfstoff gegen die aktuelle Virus-Variante  H1N1. Er erhielt bereits 2007 eine Zulassung. Baxter setzt ein Verfahren ein, bei dem sogenannte Vero-Zellen aus Nierenzellen von Grünen Meerkatzen mit dem Grippevirus vermischt werden. Baxter gibt an, mit dieser Methode bei der Entwicklung eines Impfstoffs an die acht bis zehn Wochen einsparen zu können.

Entscheidender Vorteil durch Zellvermehrung

Der Ansatz, das Virus in Zellen zu vermehren, könnte bei einer Pandemie einen entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil bieten. Denn das Angebot von Hühnereiern ist begrenzt, Zellen hingegen lassen sich schnell vermehren. So wäre die Herstellung mehrerer Millionen Dosen innerhalb von nur wenigen Wochen möglich. Die Hühnerei-Methode ist so langsam, dass die Impfhersteller schon jetzt mit der Produktion für die nächste Saison begonnen haben, die im Herbst anläuft. Das hat einen weiteren unerwünschten Nebeneffekt. Die Produktionskapazitäten sind nahezu ausgelastet, für einen Schweinegrippe-Impfstoff müssten zusätzliche Anlagen aufgebaut werden. Das würde noch einmal dauern. Die Hühnerei-Methode ist zudem nicht nur langsam, sondern auch unsicher. Eine kleine Verunreinigung der Eier kann eine ganze Charge nutzlos machen.

Bald könnte die Impfstoffherstellung noch schneller und zuverlässiger werden. Experten des Paul-Ehrlich-Institutes arbeiten mit Novartis und GlaxoSmithKline an einem Impfstoff-Prototypen, der als Grundgerüst für später anwendbare Impfstoffe dienen soll. Damit können die Hersteller die erforderlichen klinischen Studien bereits jetzt durchführen und bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA die Zulassung für die Basisplattform einreichen. Wird im Fall einer Pandemie dann ein Impfstoff mit dem tatsächlichen Erreger produziert, muss der Hersteller nur noch wenige Daten nachliefern.

Mehrere deutsche Unternehmen an Impfstoffherstellung interessiert
Aktuell sind in Deutschland mehrere Unternehmen an der Herstellung eines Impfstoffes gegen das Schweinegrippe-Virus interessiert. Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Pharma-Unternehmen in Deutschland, sagte am 27. April in Berlin, dass die Verbandsmitglieder mit der Entwicklung beginnen könnten, sobald die Weltgesundheitsorganisation WHO ihnen isolierte Viren eines Erkrankten als Referenzmaterial für die Entwicklung übergibt. Deutschland zählt zu den wichtigsten Standorten für die Herstellung von Grippeimpfstoffen weltweit mit Produktionseinrichtungen in Dresden und Marburg.

Bis ein Impfstoff auf den Markt kommt, ist der beste Schutz gegen die Grippe nach Aussagen von Ärzten das Händewaschen. Bei Infizierten kann versucht werden, den Verlauf der Erkrankung durch die vorhandenen Grippemedikamente zu mildern, die in Deutschland und vielen anderen Ländern für den Fall einer Epidemie umfassend bevorratet wurden. "Unsere Hersteller haben bereits die Nachproduktion dieser Medikamente hochgefahren oder prüfen, ob dies erforderlich ist", sagt Cornelia Yzer vom VfA.

 

Hintergrund

Aktuelle Informationen und Hinweise zur Schweinegrippe finden Sie auf folgenden Seiten:

Bundesgesundheitsministerium
Die Lage in Deutschland, Maßnahmen und Empfehlungen, Bürger-Hotline

Robert-Koch-Institut
Umfassende, täglich aktualisierte Informationen zum Stand der Ausbreitung, zum Wissen über das Virus und zur medizinischen Vorsorge.

Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Tägliche Meldungen mit Opferzahlen, Einschätzungen und Informationen

Centers for Disease Control and Prevention
Fakten über das Virus und Empfehlungen für die Bevölkerung

Institut für Virologie der Universität Marburg
Nachrichtensammlung und Linklisten zum Thema Schweinegrippe

Der Nationale Influenzapandemieplan wrde nach den Erfahrungen mit der Vogelgrippe ausgearbeitet. Er koordiniert die Anstrengungen in den Bundesländern.

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