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Wie das Immunsystem seine Waffen wählt

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Eine Fresszelle streckt seinen Fühler nach einem Fremdeiweiß aus. Quelle: Lennart Nilsson, Karolinska Inst., Stockholm/ Boehringer Ingelheim International GmbH

10.05.2007  - 

Das Immunsystem ist nicht zimperlich bei der Bekämpfung von Krankheitserregern, es besitzt ein ganzes Arsenal an Waffen, um den Körper zu schützen. Die Immunabwehr markiert die Schädlinge, frisst, vergiftet und zersetzt sie oder zwingt körpereigene infizierte Zellen, Selbstmord zu begehen. Anstatt aber alle Waffen gleichzeitig einzusetzen, entscheidet das Immunsystem von Beginn an, auf welche Art und Weise eine Krankheit am effektivsten bekämpft werden sollen. Unklar war bislang, wie die Immunzellen den jeweils geeigneten Abwehrmechanismus wählen. Wie Wissenschaftler der Universität Bonn nun im Fachmagazin Science (27. April 2007, Band 316, S. 612-616) berichten, konnten sie erstmals zeigen, wie diese Waffenwahl funktioniert. Ihre Erkenntnisse können dazu beitragen, künftig wirksamere Impfstoffe und Medikamente zielgerichteter zu entwickeln.

Die Immunabwehr ist ein relativ ausgeklügeltes System, das ganz unterschiedlich auf Krankheitserreger reagiert. Dafür steht an großes Arsenal unterschiedlicher Waffen parat. So werden beispielsweise bei einer Virusinfektion die sogenannten T-Killerzellen aktiviert. Sie erkennen Körperzellen, die von einem Virus infiziert wurden und geben ihnen den Befehl zum Selbstmord. Weil ein Virus für seine Vermehrung lebende Zellen braucht, wird ihm auf diesem Weg die Lebensgrundlage entzogen. „Gegen Viren oder auch Tumoren sind T-Killerzellen eine extrem wirksame Waffe", erklärt der Immunologe Christian Kurts von der Universität Bonn und Leiter der Arbeitsgruppe. „Der Selbstmordbefehl wird aber nur von körpereigenen Zellen befolgt.“ Körperfremde Erreger wie Bakterien oder parasitische Würmer ignorieren diesen Befehl aus verständlichen Gründen. Dafür hat das Immunsystem eine andere Strategie mit Hilfe von B-Zellen entwickelt, die wiederum durch T-Helferzellen aktiviert werden. B-Zellen produzieren nämlich Antikörper, die sich wie eine Markierung an Bakterien oder Viren heften und dadurch für eine weitere Gruppe an Immunzellen des Körpers, den Fresszellen, sichtbar werden. Treffen Fresszellen auf derart markierte Fremdkörper verschlingen sie diese kurzerhand und verdauen ihre Bestandteile. Würmer, die zu groß zum Fressen sind, werden durch die Immunzellen verätzt oder vergiftet.

Immunsystem funktioniert wie eine Polizeifahndung

Die zugrundliegende Arbeitsweise des Immunsystems ist dabei vergleichbar mit einer Polizeifahndung. Als Polizisten dienen dabei die T-Zellen, die durch den Körper patrouillieren – auf der Suche nach Krankheitserregern. Die körperfremden Eindringlinge hinterlassen nämlich Spuren auf der Oberfläche von Zellen, die sie infiziert haben. Diese Antigene sind vergleichbar mit einem „Fingerabdruck“. Ihre Existenz alleine reicht allerdings oft noch nicht aus, damit die T-Zellen effizient zuschlagen und den Eindringling bekämpfen können. Dazu benötigen sie die Hilfe von dendritischen Zellen, die wie eine Spurensicherung funktionieren. Sie sammeln die von den Erregern hinterlassenen Spuren ein und präsentieren Bestandteile davon ihrerseits als Antigene auf ihrer Oberfläche. Diese Antigene wiederum dienen den T-Zellen als Fahndungsplakat. Die dendritischen Zellen übernehmen dabei also die Rolle des Einsatzleiters, weil sie - je nachdem, welches Fahndungsplakat sie den T-Zellen präsentieren - unterschiedliche Einsatzkommandos losschicken: entweder T-Killerzellen oder T-Helferzellen.

Wann genau dendritische Zellen während der Spurensicherung die Entscheidung treffen, ob T-Killerzellen oder T-Helferzellen losgeschickt werden, war allerdings bislang unklar. Die Arbeitsgruppe um Kurts hat sich dieser Frage nun erstmals in Zusammenarbeit mit Sven Burgdorf und Andreas Kautz von der medizinischen Fakultät der Universität Bonn angenommen. Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin Science (27. April 2007, Band 316, S. 612-616) berichten, hängt die Auswahl des Einsatzkommandos bei den dendritischen Zellen offenbar bereits davon ab, auf welchem Weg die dendritische Zelle die Spuren der Erreger überhaupt sichert, also die Antigene aufnimmt. Um diesen Prozess zu untersuchen, benutzten die Wissenschaftler kleine fluoreszierende Eiweißbestandteile als Antigene, mit deren Hilfe sie die Aufnahme und Präsentation der Antigene durch dendritische Zellen verfolgen konnten. Dabei fanden sie heraus, dass die Spuren der Erreger von den dendritischen Zellen bereits auf zwei unterschiedlichen Wegen aufgenommen werden – wie durch zwei Münder. In ihren Versuchen stellten die Wissenschaftler fest, dass der eine Mund spezifisch auf bestimmte Antigene ausgerichtet ist, die über einen speziellen Rezeptor aufgenommen werden. Dies wiederum führt dazu, dass speziell T-Killerzellen aktiviert werden. Durch den anderen Mund nehmen die dendritischen Zellen offenbar ganz unspezifisch Antigene auf, die in ihrer unmittelbaren Umgebung umhertreiben. Hierfür ist kein spezieller Rezeptor notwendig, die Zellen trinken quasi kleine Schlückchen aus ihrer Umgebung. Dieser Prozess führte dann zur Aktivierung von T-Helferzellen. „Diese Trennung gewährleistet, dass die korrekte Waffe des Immunsystems scharf gemacht wird“, erklärt Kurts. „Wenn das nicht streng kontrolliert wird, kann der Erreger die Überhand gewinnen. Oder das Immunsystem schädigt fälschlicherweise körpereigene Zellen.“

Gezielte Impfstoffentwicklung durch „gewürzte“ Antigene

Gerade für die Entwicklung neuer Impfstoffe ist die Arbeit der deutschen Wissenschaftler von größter Bedeutung. „Unsere Ergebnisse haben Erstaunen unter den Immunologen ausgelöst", sagt Christian Kurts nicht ohne Stolz. „Bislang ging man davon aus, dass man dem Immunsystem nur das entsprechende Antigen eines Erregers anbieten muss.“ Über den Sortiervorgang der dendritischen Zellen wurde dabei bisher nicht groß nachgedacht: Die Wissenschaftler nahmen an, dass die intrazellulären Abläufe schon korrekt ablaufen würden und die erwünschte Abwehrreaktion zustandekommt. Eine gezielte Ansprache und Aktivierung von T-Helferzellen oder T-Killerzellen war dabei nicht möglich. „Nun wissen wir, dass man den Impfstoff sozusagen passend 'würzen' kann, damit es vom richtigen Mund der dendritischen Zellen aufgenommen wird“, erläutert Kurts die Bedeutung der neuen Ergebnisse für die Medikamentenentwicklung. Dies schafft nun eine ganz neue Basis: So könnten Antigene für Impfstoffe entwickelt werden, die so durch dendritische Zellen aufgenommen werden, dass dadurch entweder gezielt T-Helferzellen oder T-Killerzellen aktiviert werden. Darüber hinaus hoffen die Forscher, dass ihre Ergebnisse auch dabei helfen können, eine bereits bestehende, aber fehlgeleitete Immunreaktion wieder in die „richtige“ Richtung zu bringen und durch das „Würzen“ der Antigene gezielt zu lenken.

 

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