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Bioökonomie in Norwegen

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Die Flagge von Norwegen Quelle: wikipedia.de

28.10.2015 - Reiche, natürliche Ressourcen bilden die Grundlage des Wohlstands in Norwegen. Insbesondere die Öl- und die Fischindustrie treiben die Exporteinnahmen in die Höhe, letztere mit dem Aquakultursektor als einer bedeutenden Säule. Zu den tragenden Wirtschaftszweigen des Landes, die für den Aufbau einer Bioökonomie ebenfalls besonders wichtig sind, zählen die Holz- und Papier- sowie die Lebensmittelindustrie. Im Frühjahr 2015 hat die Regierung beschlossen, eine nationale Bioökonomie-Strategie auszuarbeiten.

Unternehmenslandschaft

Schlüsselsektor in Norwegen ist die Öl- und Gasindustrie, deren große Firmen vom Staat kontrolliert werden. Mit einem Anteil von knapp einem Viertel am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und bis zu 50% am norwegischen Export steht dieser Sektor unangefochten an der Spitze. Zu den bedeutenden Einnahmequellen zählt daneben die Fischerei mit Schwerpunkten in Lachszucht und Fischverarbeitung. Immer mehr an Bedeutung gewonnen hat in diesem Bereich in den letzten Jahren die Aquakultur. So gilt Norwegen als einer der weltweit größten Exporteure von Fisch und Meeresfrüchten und exportierte im Jahr 2014 Meeresdelikatessen im Wert von rund 7,8 Mrd. Euro. Das berichtet das Deutsche Auswärtige Amt in einer Übersicht zu Norwegen (mehr lesen) Dabei stellen Fischexporte ca. 6% aller norwegischen Ausfuhren dar. Einer der größten Abnehmer: Deutschland. Die Holzindustrie hatte 2011 einen Anteil von 0,54 Prozent am BIP.

Aquakultur auf Erfolgskurs

Zu den großen Unternehmen der Bioökonomie zählt das börsennotierte Nahrungsmittelunternehmen Marine Harvest mit Firmensitz in Oslo. Als größter Zuchtlachskonzern der Welt beschäftigt er rund 12.000 Mitarbeiter und betreibt Zuchtfarmen von Norwegen über Schottland und Kanada bis hinunter nach Chile. Zu den führenden Produzenten von atlantischem Lachs zählt hingegen die Lerøy Seafood Gruppe mit ihren mehr als 1.990 Beschäftigten. Als ein Erfolgsfaktor für die norwegische Aquakultur gilt die enge Verbindung der Fischzuchtindustrie, mit den Aufsichtsbehörden und den Forschungseinrichtungen. Diese schafften es ab den 1970er Jahren eine vollkommen neue Industrie mit rund 20.000 direkten und indirekten Arbeitsplätzen zu schaffen.

2011 wurden mehr als eine Million Tonnen an Lachs produziert, was Norwegen den ersten Platz als weltweit größter Lachsproduzent sicherte. Firmen wie AquaGen mit ihren Zucht- und Selektionsprogrammen liefern den Fischfarmen die millionenfach notwendigen Fischeier. Weil das für die Fischzucht notwendige Futter meist aus in Brasilien angebautem Soja stammt, besteht eine gewisse Abhängigkeit. Um diese zu reduzieren, suchen Unternehmen auch aktiv nach neuen biobasierten Futterquellen. Die privat gehaltene Seagarden nutzt arktischen Krill und Abfälle wie Fischhäute als Rohstoff für seine marinen Inhaltsstoffe. Mit diesen beliefert Seagarden Kunden in der Nahrungsmittel- und der Tierfutterindustrie sowie kosmetische oder pharmazeutische Betriebe, die insbesondere Extrakte, Chitin oder Kollagen-Peptide beziehen. Mit Mitteln der Innovation Norway und Innovate UK-Initiative ausgestattet arbeitet Seagarden zusammen mit britischen Partnern auch an neuen Prozessen, um organische Säuren aus marinen Quellen zu extrahieren. Die Firma Nutrimar produziert in ihrer Anlage Proteine, Öle und Fischmehle aus Lachsresten. Hardafor holt mit Spezialschiffen die Abfälle und Reste aus Fischfarmen und Schlachthöfen ab, die entlang der Küste liegen. In seinen Verarbeitungsanlagen entstehen hieraus Futtermittel für norwegische, europäische und asiatische Abnehmer. Öl aus Fischleber und Kollagen aus der Haut eignen sich auch für den menschlichen Gebrauch. Die Calanus setzt dagegen auf Zooplankton. Hieraus extrahiert das Unternehmen Inhaltsstoffe, die als Nahrungsergänzungs- oder Futtermittel vermarktet werden.

Norske Skog spielt dagegen in der ersten Liga der weltweit größten Papierhersteller mit, der auch Standorte in Deutschland hat. Allerdings musste das Unternehmen erst kürzlich bekanntgegeben, seine Fabrik in Duisberg-Walsum zu schließen. Grund hierfür sei die in den vergangenen Jahren eingebrochene Nachfrage nach Papier. Als Reaktion auf das schwache Geschäft setzt der Konzern jetzt auf Biogas. Hierzu sind an seinen  Produktionsstätten Anlagen geplant, die die Abfälle der Herstellung als Ausgangsstoff für die Biogasgewinnung verwenden.

Bioraffinerien zur Vewertung von Holz

Als relevanter Akteur einer biobasierten Wirtschaft und als Leuchtturm der norwegischen Chemieindustrie gilt der Borregard-Konzern. So besteht die Chemieindustrie vornehmlich aus kleinen, national operierenden Nischenproduzenten mit einem Schwerpunkt auf Industriechemikalien. Borregard dagegen ist international tätig, verwertet nachwachsende Rohstoffe, um erdölbasierte zu ersetzen, und nutzt industrielle biotechnologische Verfahren zur Herstellung seiner Produkte. Als Papier- und Zellulosehersteller gegründet, unterhält er inzwischen eine der weltweit größten Bioraffinerien. Für die Herstellung biobasierter Produkte setzt das Unternehmen auf seine patentierte Borregaard Advanced Lignin (BALI)-Technologie. Diese ist die Grundlage, um in seiner Pilotanlage insbesondere aus Holz und landwirtschaftlichen Rohstoffen Bioethanol, Biochemikalien und Lignin herzustellen. Alleinstellungsmerkmal ist eine Sulfit-Vorbehandlung der Biomasse, so dass diese besonders effizient aufgeschlossen werden kann. Enzymatische oder fermentative Verfahren schließen sich an. In der 2012 in Betrieb genommenen „Bioraffinerie Demo“ wird Cellulose-haltige Biomasse in Zucker und Lignin umgewandelt, die zu Biochemikalien und Bioethanol weiterverarbeitet werden können. Anschließend mischt der norwegische Öl- und Gaskonzern Statoil dieses Bioethanol seinem Kraftstoff bei.

Industrielle Biotechnologie als Treiber

Die Bioökonomie Norwegens könnte künftig auch von der noch jungen Biotech-Branche profitieren. Ein wichtiger Knotenpunkt für die Entwicklung der biobasierten Wirtschaft im Land ist das Industrial Biotech Network Norway (IBNN). Diese Plattform versammelt Akteure, darunter zahlreiche Unternehmen, die Forschung, Wissenstransfer und Innovation innerhalb einer biobasierten Wirtschaft und der industriellen Biotechnologie im Land voranbringen wollen. Der Branchenverband Norwegian Bioindustry Association (NBA) listet rund 120 Firmen und Organisationen, von denen 40 der Bioökonomie zugeordnet werden können. Doch ist die Biotechnologie-Branche im Vergleich mit anderen Industrieländern noch vergleichsweise jung und übersichtlich. So begann die norwegische Regierung erst Ende der 90er Jahre Unternehmen in der Biotechnologie aktiv zu fördern. An der nordwestlichen Küste sind vor allem Unternehmen angesiedelt, die sich mit der Ressource Meer beschäftigen und die Inhaltsstoffe aus dem Meer weiterverarbeiten – nicht ungewöhnlich für einen Staat, der über insgesamt 2,700 Kilometer Küste verfügt und dessen Wirtschaft unter anderem auf Fischfang basiert. So geht es Aqua Bio Technology, im Jahr 2000 gegründet und seit dem Jahr 2008 börsennotiert, insbesondere um die Gewinnung von Enzymen für kosmetische Zwecke.

Die in Tromsö angesiedelte Biotec Pharmacon verfolgt wiederum zwei Richtungen: Zum einen hat sie über ihre Tochter ArcticZymes kälteresistente Enzyme aus Meerestieren im Portfolio. Zum anderen entwickelt sie innerhalb der Biotech BetaGlucans immunmodulierende Wirkstoffe aus Hefen, die zur Behandlung von Immunkrankheiten zum Einsatz kommen sollen. In der industriellen Biotechnologie aktiv ist die Firma Biosentrum (Sitz in Stavanger) an der Westküste Norwegens, die sich auf das Up-Scaling von biotechnologischen Laborprozessen für den industriellen Einsatz spezialisiert hat. Die 2001 gegründete Biomega stellt unter anderem Futtermittelzusätze und Peptide in seiner Bioraffinerie aus Abfällen der Lachsindustrie her. Die junge MicroA, 2007 aus der Taufe gehoben, setzt auf Mikroalgen und Photobioreaktoren. Aus den Algen gewonnene Inhaltsstoffe sollen künftig der Kosmetikindustrie zugeliefert werden. Selbst in der Agrobiotechnologie sind Firmen inzwischen tätig. Plastid, eine Ausgründung der Universität Stavanger, nutzt seine Technologie, um Pflanzen effizienter und schneller zu modifizieren. Verbesserte und an das norwegische Klima angepasste Pflanzen beziehen Landwirte vom mittelständischen Pflanzenzuchtunternehmen Graminor. Fischvakzine sind das Hauptaugenmerk der seit dem Jahr 2004 aktiven Pharmaq. Mit inzwischen rund 160 Mitarbeitern interessiert sich das Unternehmen auch für Arzneimittelkandidaten für die Fischzucht, die aus marinen Mikroorganismen isoliert werden können.

Bioenergie als neues Geschäftsfeld

Die Umwandlung von Biomasse in Bioenergie bauen Firmen ebenfalls als Geschäftsfeld auf. Ein Forum für diese Unternehmen ist der norwegische Verband Norsk Bioenergiforening (NoBio). Das Unternehmen Biokraft plant, die im Land bislang größte Produktionsstätte für verflüssigtes Biogas zu bauen. Diese Anlage soll auf dem Gelände der Papierfabrik von Norske Skog entstehen und vorerst den Brennstoff aus Abfällen von Lachsfarmen gewinnen. Zu einem späteren Zeitpunkt will Biokraft auch Abfälle aus der Papierherstellung für die Biogaserzeugung einsetzen. Potenziale hierfür erforscht das Unternehmen gemeinsam mit Wissenschaftlern der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität in Trondheim (NTNU). Sogar Algen könnten als Rohstoffe künftig eine Rolle spielen. Seaweed Energy Solutions hat einen Träger patentiert, der als Grundlage für künftige Biotreibstoffe den großflächigen Anbau von Seetang ermöglicht. Ein Kooperationspartner ist der norwegische Ölkonzern Statoil.

Im Bereich Energie zählt auch der Öl- und Gaskonzern Statoil zu den Bioökonomie-relevanten Unternehmen. Staatlich kontrolliert, entstand er 1972 und beschäftigt heute weltweit mehr als 22.000 Mitarbeiter. 2010 belieferte das Unternehmen, als erstes in Norwegen, Tankstellen mit Benzin, dem 5% Bioethanol beigemischt waren (E5). Eine hochprozentige Variante (E85) für speziell ausgerüstete Fahrzeuge gab es sogar noch früher, seit 2006. Energiepflanzen wie Getreide und Zuckerrohr dienen als Rohstoffe für ihren Bioalkohol. Ab dem Jahr 2009 konnten Autofahrer auch Diesel mit einem 7%igen Biodiesel-Anteil tanken. Meeresalgen und Holz zu verwenden interessierte die Wissenschaftler der Firma auch, sie investierten in das US-Biotech-Unternehmen Bio Architecture Lab und in eine norwegische Demonstrationsanlage. Die Energieproduktion des größten Energieversorgers Statkraft basiert bisher zu fast 100% auf Wasserkraft. Doch besitzt er in Deutschland neben Wasserkraftwerken auch ein Biomassekraftwerk. Hier verbrennt Altholz zu Strom und Dampf, zusätzlich entsteht Wärme für eine nahegelegene Fabrik. Mit der Tochter Silva Green Fuel, einem Gemeinschaftsprojekt mit der schwedischen Forstgenossenschaft Södra, engagiert sich das Unternehmen auch bei Biokraftstoffen der 2. Generation. Nach eigenen Angaben größter norwegischer Hersteller für Biodiesel ist North Sea Biodiesel.

Cluster als Bausteine der Bioökonomie

Gestärkt wird die Bioökonomie Norwegens durch vielfältige Clusteraktivitäten. So soll das Meer mit seinen unterschiedlichen Ressourcen an Biomasse und Rohstoffen nachhaltig genutzt werden. Diesem Ziel hat sich das 2013 gestartete biomarine Cluster Legasea verschriebe . Beteiligt sind unter anderem Aquakulturbetriebe, Omega-3-Ölhersteller und Futtermittelhersteller. Partner aus Deutschland ist der Chemiekonzern BASF. Im Norden des Landes etablierte sich das Biotech North-Cluster, das Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen in der Region ein Dach bietet. Rund 1000 Arbeitsplätze finden sich in und um Tromso. Ansiedeln können sich junge Unternehmen beispielsweise im Barents BioCentre, einem 8,000 qm großen Neubau im Tromso Science Park. Regional verankert ist auch Hedmark Kunnskapspark, dessen Mitarbeiter die lange Tradition in Land- und Holzwirtschaft im größten Bezirk des Landes zu neuen, auch bioökonomischen Ufern führen soll. So bezeichnet sich Heidner mit seinen knapp 30 Partnern als das führende norwegische Bioökonomie-Cluster für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion. Das Ocean Ingredients-Cluster (OIC) erhält seit 2013 ebenfalls Mittel von der norwegischen Innovationsagentur. Im Rahmen des „Norwegian Centres of Expertise“ (NCE)-Programms wird die regionale Clusterbildung zudem gemeinsam vom Forschungsrats, der Innovationsagentur und Siva unterstützt. Hier ragen das NCE Aquaculture und das NCE Seafood Innovation heraus.

Ausländische Firmen in Norwegen

Auch ausländische Gesellschaften haben das Potential des Königreichs und der dortigen Firmen für sich entdeckt. So hat die Mutter von FMC Biopolymer ihren Stammsitz in den USA, ist international aktiv und führender Hersteller von Nahrungsinhaltsstoffen aus Algen wie Alginaten und Carrageen. Diese kommen als Verdickungs- und Geliermittel für die Lebensmittelindustrie in den Handel. Pronova, bereits 1838 gegründet und mit dem Handel von Fischölen groß geworden, machte sich insbesondere mit seinen Omega-3-Ölen als Nahrungsergänzungsmittel einen Namen. BASF aus Darmstadt, weltgrößter Chemiekonzern, wurde aufmerksam und übernahm Pronova Anfang 2013. BioProtein, ein Spin-off des International Research Institute of Stavanger (IRIS),  setzte seine Technologieplattform zur Herstellung von Futtermitteln ein. Der Einstieg in diesen Markt reizte das US-Unternehmen Calysta, so dass sie die Norweger 2013 aufkauften. Zu MSD Animal Health, einer Sparte des US-Pharma-Konzerns Merck, gehört Intervet Norbio, ein Entwickler von Impfstoffen für die Fischindustrie. Der britische Biotechnologie-Zulieferer Benchmark Holdings führte im vergangenen Jahr das norwegische Fischzuchtunternehmen SalmoBreed mit seinem isländischen Wettbewerber Stofnfiskur über maßgebliche Beteiligungen zusammen. Topigs Norsvin, das laut eigenen Angaben weltweit innovativste Schweine-Zuchtunternehmen, ging aus der Fusion der niederländischen Topipgs und der norwegischen Norsvin im Jahr 2014 hervor.

Förderung von Innovationen

Innovationen zu fördern und die Entwicklung der Firmen zu unterstützen sind die Ziele der Innovationsagentur Innovasjon Norge. Dieses Instrument der norwegischen Regierung hilft Firmen in unterschiedlichen Wachstumsphasen. Etwa beim Netzwerken, bei Fragen zu geistigem Eigentum, mit Fördermitteln für die Kommerzialisierung von Produkten, Clusteraktivitäten und zahlreichen weiteren Leistungen für Internationalisierung und Geldern für „grüne“ Projekte. Der Bioökonomie widmet die Agentur gleich mehrere Programme. Ein Beispiel sind bilaterale Projekte norwegischer und britischer Firmen im Bereich der Bioraffinierung und industriellen Biotechnologie unterstützt zusammen mit Innovate UK, der britischen Innovationsagentur. Siva, die Gesellschaft für industrielle Entwicklung (Selskapet for industrivekst), investiert demgegenüber auf der einen Seite in Infrastrukturprojekte, auf der anderen Seite hält die staatliche Einrichtung, die dem Ministerium für Handel zugeordnet ist, Anteile an über 100 innovativen Unternehmen und beteiligt sich an den Innovationszentren im Land.

 

Hintergrund

Schwerpunkt: Aquakultur, Holz- und Nahrungsmittelindustrie, Bioenergie

Branchenverband:

Industrial Biotech Network Norway (IBNN)

Norwegian Bioindustry Association (NBA)

Verband Norsk Bioenergiforening (NoBio)


Für die Bioökonomie relevante Politik:

National Strategy for Biotechnology 2011 – 2020 (PDF)

Marine bioprospecting – a source of new and sustainable wealth growth (PDF)

Biobasierte Cluster:

Cluster Legasea

Ocean Ingredients-Cluster (OIC)

Norwegian Centres of Expertise“ (NCE) 

Forschungsförderung

Innovationsagentur Innovasjon Norge

Gesellschaft für industrielle Entwicklung Siva

Norwegische Forschungsrat 

SINTEF-Gruppe 

Forschung

Institute of Bioeconomy Research (NIBIO)

 Centre for Biodiversity Dynamics (CBD)