Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Bioökonomie in Brasilien

Die Flagge von Brasilien <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Flagge von Brasilien Quelle: wikipedia.de

15.9.2015 - Die stärkste Volkswirtschaft Südamerikas ist reich an biobasierten Rohstoffen. Das Land am Amazonas verfügt über eine unerreichte Artenvielfalt. Agarwirtschaftlich dominiert seit Jahrzehnten die Herstellung und der Verbrauch von Zuckerrohr-Alkohol. Die Bioethanol-Branche ist zum zweitgrößten Produzenten weltweit aufgestiegen. Neben Biosprit sind Rohrzucker und Soja weitere bedeutende Exportgüter. Der Einsatz gentechnisch veränderter Nutzpflanzen ist weit verbreitet: Brasilianische Äcker machen sie ein Fünftel der globalen gv-Anbaufläche aus. Künftige Potenziale liegen in der biobasierten Chemikalien-Produktion. Auch die Holzwirtschaft gilt als Wachstumsmarkt. Zudem hat sich Brasilien verpflichtet, die illegale Rodung von Regenwald bis 2030 zu stoppen.

Unternehmenslandschaft

Brasilien ist ein Zuckerrohr und ein  Biosprit-Land: Nach den USA ist es der weltweit größte Produzent von Bioethanol. In der Saison 2012/2013 wurden 590 Mio. Tonnen Zuckerrohr in Brasilien geerntet, und daraus wurden knapp 40 Mio. Tonnen Rohrzucker und 23 Mrd. Liter Bioethanol gewonnen. 90% der in Brasilien verkauften Neuwagen fahren mittlerweile mit einem Gemisch aus Benzin und Ethanol. Die Agrarwirtschaft Brasiliens trägt mit einem Anteil von rund 22% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Wichtigste Säulen sind zudem Sojaprodukte mit einem Exportwert von mehr als 25 Mrd. US-Dollar, gefolgt von Fleischprodukten im Wert von mehr als 15 Mrd. US-Dollar.

Bedeutende Zuckerrohr-Ethanolhersteller

Zu den bedeutenden Akteuren in der brasilianischen Bioökonomie zählen die Besitzer und Betreiber von Zuckerrohrplantagen und -mühlen sowie die Biosprit- und -kunststoffhersteller. Bei der Nutzung des Bioethanols dominieren einheimische Unternehmen. Raizen, nach eigenen Angaben eines der größten Unternehmen Brasiliens und wichtigster Hersteller von Zuckerrohr-Ethanol im Land, produziert in seinen Fabriken jährlich 2 Mrd. Liter Ethanol und 4 Mio. Tonnen Zucker. Gegründet wurde das Unternehmen vom brasilianischen Land-, Energie- und Logistikkonzern Cosan zusammen mit dem britisch-niederländischen Ölkonzern Shell als Joint Venture. Als bedeutend gilt auch die international operierende Copersucar, die sich zu den weltgrößten Zucker- und Bioalkoholherstellern zählt. Diesem ursprünglich als Genossenschaft gegründeten Unternehmen liefern 43 Partnermühlen aus den Bundesstaaten São Paulo, Minas Gerais, Paraná und Goiás exklusiv ihre Produkte zu. Schwache Konjunktur, ein globales Überangebot von Zucker und zu hohe Herstellungskosten führten bei den Zuckermühlen in den vergangener Jahren jedoch schon zu Anlagen-Schließungen oder zu Übernahmen. Hinzugekommen waren auch eine Dürre und die Entscheidung der Regierung aus dem vergangenen Jahr, die Benzinpreise einzufrieren. In der Folge büßte Bioethanol seine führende Position gegenüber herkömmlichem Sprit ein. Hersteller wie „Gratt Industria de Maquinas“ experimentieren auch mit alternativen Rohstoffen wie Süßkartoffeln für die Biospritherstellung.

Als weiterer Akteur in der Bioökonomie zählt der Brasilianische Chemieverband (Brazilian Chemical Industry Association - Abiquim). So gehört das Land zu den global führenden Chemienationen. Mit einem Umsatz von 114 Mrd. Euro im Jahr 2014 waren die Südamerikaner der sechstgrößte Chemikalienhersteller der Welt. Vor allem mit Blick auf Biokunststoffe gibt es starke Aktivitäten. Ein Beispiel hierfür ist der börsennotierte Konzern Braskem, Brasiliens größter Kunststoffhersteller, und nach eigenem Bekunden weltgrößter Produzent von Biopolymeren und globaler Zulieferer für Kunden aus der Automobil-, Chemie-, Verpackungs- und Konsumgüter- und Bauindustrie. 1% seines Umsatzes bestreitet der Konzern mit Biopolymeren, die derzeit vor allem im Premiumsektor zum Einsatz kommen. In der Petrochemie verankert produziert der Konzern inzwischen biobasiertes Polyethylen, das von weltweit tätigen Konzernen etwa der deutschen Lanxess weiterverarbeitet wird. Der in der Schweiz angesiedelte Verpackungskonzern Tetra-Laval verwendet das Braskem-Bio-PE in Brasilien inzwischen in jedem seiner bekannten Tetra-Paks. Als Ausgangsmaterial dient aus Zuckerrohr gewonnener Alkohol. Der Anteil des Monomers Bio-Ethylen an der jährlichen Gesamtproduktionskapazität von 18 Mio. Tonnen beträgt bisher allerdings nur 200.000 Tonnen (1%). Bio-Polypropylen, ein zweiter nachgefragter Biokunststoff, stellte Braskem schon im Labormaßstab her. Für die Zukunft setzt der Konzern auf die synthetische Biologie und „Open innovation“. Hierzu kooperieren die Brasilianer mit in- und ausländischen Biotech-Firmen wie Genomatica (USA) oder der dänischen Novozymes und akademischen Einrichtungen. Biodiesel produziert inzwischen auch der weltweit größte Fleischproduzent JBS mit Sitz in São Paulo.  Flugbenzin will die zu den global größten Flugzeugherstellern zählende Embraer aus Brasilien mit dem US-Konzern Boeing in einem neuen Zentrum künftig gemeinsamen erforschen. Das Chemieunternehmen Oxiteno setzt ebenfalls auf Nachhaltigkeit. Hierfür integriert es Zuckerrohr- oder Pflanzenöl-basierte Rohstoffe in seine Produkte. Der brasilianische Industrieverband CNI sieht die Bioökonomie als Chance und machte 2013 mit der Vorlage einer Agenda konkrete Vorschläge, um in diesem Bereich weiter nach vorn zu kommen (PDF-Download).

Bioraffinerien und grüne Chemie

Bioraffinerien als Anlagen für die möglichst effiziente Umwandlung und Verwertung von Biomasse sind in Brasilien ein fester Bestandteil der Unternehmenslandschaft. Rund 400 kommerzielle Anlagen produzieren Zucker, Ethanol, Tierfutter und Bioenergie. Aktiv sind hier insbesondere große Unternehmen wie Cosan oder die São Martinho Group. Das familiengeführte, 2011 gegründete Biotechunternehmen GranBio eröffnete laut eigenen Angaben im Jahr 2014 im nordöstlich gelegenen Bundesstaat Alagoas eine der weltweit größten Bioraffinerien zur Herstellung von Alkohol aus Zuckerrohrabfällen. Die erste Bioethanol-Anlage der 2. Generation eröffnete im Jahr 2007 das halbstaatliche Mineralölunternehmen Petrobras. Die Technologie hinter dem Herstellungsprozess stammt häufig von europäischen Chemieunternehmen. Biochemikalien etwa Butanol, ein Lösungsmittel, entwickelt das Unternehmen zusammen mit der französischen Solvay-Tochter Rhodia. Braskem gilt laut dem Branchendienst Biofuelsdigest als prominentester Produzent biobasierter Chemikalien. Die US-Biotechfirma Amyris produziert in seiner brasilianischen Anlage aus nachwachsenden Rohstoffen das Produkt Farnesen. Dieser langkettige Kohlenwasserstoff dient nicht nur als Ausgangsstoff in der Feinchemie, sondern lässt sich auch in die vier wichtigsten Biotreibstoffe umwandeln. Erst im vergangenen Jahr hatte die Firma von der brasilianischen Aufsichtsbehörde ANP die Zulassung für seinen Flugzeugtreibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen erhalten. Das US-Unternehmen Bunge, einer der weltweit bedeutendsten Lieferanten der Nahrungsmittel- und Futtermittelindustrie und wichtiger Sojaexporteur und Biodieselhersteller, will zusammen mit der US-Biotechfirma Proterro in direkter Nähe zu seiner firmeneigenen Zuckermühle Photobioreaktoren installieren. In diesen sollen Cyanobakterien Zucker herstellen, der anschließend zu Bioalkohol umgesetzt werden kann. Relevant für die Bioökonomie sind zudem die Papier- und Zellstoffproduzenten, etwa Klabin oder die Suzano-Gruppe, deren Reststoffe in biobasierte Produkte umgewandelt werden könnten. So wird Suzano nach der kürzlich erteilten Freigabe als erster Konzern weltweit genetisch veränderte Eukalyptusbäume anpflanzen können, die mehr Holz produzieren und schneller wachsen.

Viel Gentechnik-Soja angebaut

In der Landwirtschaft stehen die Zeichen auf Wachstum. Laut der Bank Bradesco werde das durchschnittliche Wachstumstempo des Agrarsektors bis 2023 bei jährlich 3,3% liegen. Die wichtigsten Nutzpflanzen sind Zuckerrohr, Soja, Mais, Maniok und Orangen. Nach Angaben des Branchenverbandes ISAAA wurden im Jahr 2014 in Brasilien auf rund 42 Millionen Hektar gentechnisch veränderte (gv-) Pflanzen kommerziell angebaut. Es dominieren gv-Soja (29 Mio. Hektar), gefolgt von gv-Mais (12,5 Mio Hektar) und gv-Baumwolle (0,6 Mio. Hektar).

Beobachter rechnen damit, dass die Anbaufläche mit genetisch veränderten Pflanzen mit der Zulassung neuer Sorten weiter zunehmen wird. Bayer CropScience ist in Brasilien seit längerem aktiv und vermarktet dort mehrere gv-Baumwolle-Sorten. 2011 verkündete das Unternehmen zudem, mit dem Zentrum für Zuckerrohrtechnologie (CTC) im brasilianischen Bundesstaat São Paulo umfassend zur Erforschung und Entwicklung „biotechnologisch optimierter“ Zuckerrohrsorten kooperieren zu wollen. Anfang 2015 erhielt Bayer die Genehmigung zur Übernahme des südbrasilianischen Saatgutproduzenten Cooperativa Central Gaúcha (CCGL). Es existieren im Land inzwischen auch eine Reihe von Firmen, die der Grünen Biotechnologie zuzurechnen sind. Allelyx und CanaVialis wurden bereits vom US-Agrarkonzern Monsanto übernommen. Brasilien gehört auch zu den global führenden Produzenten von Rund- und Schnittholz, wobei die inländische Nachfrage die Marktentwicklung erheblich antreibt. Allerdings nimmt die Waldfläche aufgrund der Umwandlung in intensiv genutzte Agrarflächen inzwischen stark ab. Mengenmäßig ist Brasilien zusammen mit Schweden einer der größten Zellstofflieferanten für Deutschland.

Ausländische Firmen investieren

Brasilien ist sowohl Rohstoff- oder Zwischenproduktlieferant als auch Markt für technische Lösungen aus den Industrieländern. Dieses Potenzial haben ausländische Firmen erkannt. So lief beim deutschen Autobauer Volkswagen 2003 der erste Golf vom Band, der mit einem Flex-Fuel-Motor ausgestattet war und den brasilianischen Biosprit verwenden konnte. Der niederländische Handelskonzern Louis Dreyfus Commodities stieg dagegen ab den 2000er Jahren massiv in den brasilianischen Zucker- und Bioethanolmarkt ein.  Seine im großen Stil zugekauften Plantagen, Zuckermühlen und Verarbeitungsanlagen fasste er inzwischen in seiner Tochter Biosev zusammen. Einer der weltgrößten Rohstoffhändler, der US-Konzern Cargill, gründete im Jahr 2014 Alvean Sugar SL – als Joint Venture zusammen mit Copersucar. Die kanadische Biotech-Schmiede Iogen stellte unterdessen ihre erfolgreiche Zusammenarbeit mit Raizen vor. Beide Unternehmen setzen die Technologie der Kanadier zur Herstellung von Bioethanol der 2. Generation in einer neuerbauten Anlage in direkter Nachbarschaft zu einer Raizen- Zuckermühle ein. Hier wird aus Cellulose-haltigen Abfällen und Reststoffen der Zuckerrohrverarbeitung zusätzliches Bioethanol gewonnen.

Allerdings wirkt sich die schlechte Lage der brasilianischen Wirtschaft und des Bioenergiemarkts auch auf die Aktivitäten der ausländischen Firmen aus. So konzentriert sich das US-Agrobiotech-Unternehmen Ceres in Brasilien künftig auf die Zucht neuer Pflanzensorten für Nahrungs- und Futtermittel, die Forschung zu Energiepflanzen wird eingestellt. US-Züchter NexSteppe hofft, mit seiner Stress-toleranten Hirse als neuem Rohstoff in Brasilien zu punkten. Das israelische Agrobiotech-Unternehmen Evogene will in Brasilien mit seiner optimierten Rizinus-Pflanze Fuß fassen und kooperiert hierfür mit einem der größten Landwirtschaftsunternehmen und Landbesitzer, der SLC Agricola.

Die Bioökonomie im Land könnte künftig auch von einer gestärkten industriellen Biotechnologie profitieren. So plant der eigens im Jahr 2014 gegründete Branchenverband ABBI – Associação Brasileira de Biotecnologia Industrial diese Technologie durch unterschiedliche Initiativen voranzubringen. Unterdessen repräsentiert der in São Paulo ansässige brasilianische Fachverband BrBIOTECH die gesamte brasilianische Biotechnologie. Ebenso von Bedeutung ist das Zentrum „Cietec“, das zahlreiche Firmen aus unterschiedlichen Bereichen wie Biotechnologie und Chemie untereinander vernetzt.

 

Hintergrund

Schwerpunkt: Bioethanol (Zuckerrohr), Agrarwirtschaft (Soja, Mais, Baumwolle), Tropenholz, Zellstoff
Branchenverband:

Biotechnologie BrBiotec


Für die Bioökonomie relevante Politik:

Biotechnologie-Programm, Biodiesel-Programm (PNPB),

Forschung

Agrarforschungszentrum Embrapa

Zulassungsbehörde

Comissao Técnica Nacional de Biosseguranca CTNBio

Rechtliche Grundlagen
zweitgrößtes Land für kommerziellen Gentechnikpflanzen-Anbau, insbesondere Soja, keine Mindestabstände. Freisetzung und Import von gv-Produkten sind zulassungspflichtig.

Downloads

Bioeconomy - An agenda for Brazil

CNI & Harvard Business Review, 2013 Download PDF (4,5 MB) PDF online ansehen

Brazil Biotech Map 2011

BrBiotech, 2011 Download PDF (6,3 MB) PDF online ansehen