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Berlin: Forscher diskutieren über Zuckermoleküle vom Fließband

Glycane sind aus Zuckerbausteinen aufgebaut und kommen in riesiger Vielfalt vor. Forscher haben mittlerweile Automaten entwickelt, die die winzigen Molekül-Bäumchen nach Wunsch herstellen können. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Glycane sind aus Zuckerbausteinen aufgebaut und kommen in riesiger Vielfalt vor. Forscher haben mittlerweile Automaten entwickelt, die die winzigen Molekül-Bäumchen nach Wunsch zusammenbauen können. Quelle: Pamela Stanley lab/Albert Einstein College of Medicine

11.03.2011  - 

Ob als Erkennungsstrukturen des Immunsystems oder als stärkende Zutat in der Muttermilch: Kohlenhydratketten - die sogenannten Glykane - spielen bei einer Vielzahl von biologischen Prozessen eine Schlüsselrolle. Dabei ist das Hantieren mit den komplexen Zuckermolekülen und deren Bausteinen ein kniffliges Geschäft. Doch Forscher haben in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte bei der Analyse und bei der künstlichen Herstellung der Zuckermoleküle gemacht.  Vom 10. bis zum 12. März tauschten  sich  Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft beim „Glycan Forum“ in Berlin über neueste Entwicklungen in der Glykobiotechnologie aus. Die fünfte Ausgabe lockte 300 Teilnehmern in die Hauptstadt. Für die Veranstalter ein Beleg dafür, dass die Glykoforschung auch in der Industrie eine immer größere Rolle spielt.

Die Erforschung und der Nachbau der verzweigten Zuckerbäumchen, die sich auf der Oberfläche von Proteinen und Zellen befinden, steht im Fokus der Glykobiotechnologie (mehr...). Dank verfeinerten Methoden wird immer klarer, welch großes Potenzial in solchen Zuckerketten steckt - etwa für die Entwicklung von neuen Therapien oder Nahrungsergänzungsmitteln. Zum Beispiel Impfstoffe: Da Kohlenhydrate auf den Hüllen von Krankheitserregern sitzen, bieten sie dem Immunsystem einen Angriffspunkt und eignen sich als Impfstoffe, um das Immunsystem auf eine bevorstehende Infektion durch die Mikroben zu trainieren. Zum Beispiel therapeutische Proteine: Zuckerketten sind auch wichtige Anhängsel auf der Oberfläche von eiweißbasierten Biotech-Medikamenten wie etwa Antikörpern und verhelfen ihnen zu einer besseren Wirksamkeit. Deshalb gewinnt die Analyse und auch das Design dieser Glykoproteine für Pharmahersteller zunehmend an Gewicht.

Glycan Forum Berlin

Mehr Informationen zum Glycan Forum finden sich auf den Seiten des Netzwerks Glykobiotechnologie Berlin-Brandenburg (GlykoStrukturFabrik): hier klicken

Wachsendes Interesse an der Zuckerforschung

Welche Fortschritte die Glykobiotechnologie in den Bereichen Medizin, Pharma und Ernährung gemacht hat, darüber tauschten sich Experten vom 10. bis 12. März beim fünften Glycan Forum in Berlin aus. Die Organisatoren  konnten einen Teilnehmerrekord vermelden: Mit 300 Forschern aus 27 Nationen platzte das Harnack-Haus in Berlin-Dahlem bereits am ersten Tag der Veranstaltung  förmlich aus den Nähten. Veranstalter des dreitägigen Treffens sind wichtige Akteure in der Glykobiotechnologie im Großraum Berlin: Dazu zählen das Netzwerk Glykobiotechnologie Berlin-Brandenburg (Glykostrukturfabrik), die Charité-Universitätsmedizin, die Freie Universität, das Zentrum für Molekulare Diagnostik und Bioanalytik (ZMDB) und das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung.  „Die rege Beteiligung diesmal auch von Seiten der Industrie spiegelt wider, wieviel sich im Glykanbereich derzeit tut“, sagt Peter Seeberger. Der Zuckerchemie-Experte ist 2009 mit seinem Team von der ETH Zürich nach Berlin und Potsdam gekommen, als neuer Direktor des MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung (mehr zu seinem Profil: hier klicken). Allein seine Abteilung zählt momentan 70 Mitarbeiter, aber auch auf der Unternehmenseite gibt es viel Bewegung. „In Berlin haben sich mehrere Glykobiotechnologie-Firmen in Berlin angesiedelt und wachsen stark", so Seeberger.

Glykane aus dem Automaten

Den Grund für den aktuellen Aufwärtstrend der Glykoforschung sieht der Chemiker vor allem in zwei technologischen Fortschritten. „Zum einen sind wir in der Sequenzierung von Zuckerketten durch massenspektrometrische Methoden vorangekommen", erläutert der Forscher. Zum anderen gebe es große Fortschritte bei der Herstellung der komplizierten Moleküle, die noch vor Jahrzehnten ein mühsahmes Geschäft war. Gerade beim letzteren Punkt, dem künstlichen Nachbauen von komplexen Zuckerketten, gilt Seeberger weltweit als treibende Kraft. Was mit DNA oder Peptid-Synthesemaschinen bereits lange Standard ist, soll nun endlich auch für die süßen Moleküle gelingen. Erst im letzten Jahr hatten er und sein Team eine vollautomatischen Synthese-Anlage für Kohlenhydrate vorgestellt (mehr…). Mit diesem Gerät lassen sich auch komplexe Moleküle aus vernetzten Zuckermolekülen gezielt in wenigen Stunden anstatt wie sonst üblich in Monaten herstellen. „Derzeit werden drei Prototypen unseres Synthesizers in Labors in Kanada, den USA und in den Niederlanden getestet“, so der Max-Planck-Forscher. Derweil tüftelt sein Team bereits an einer neuen, wesentlich kompakteren und leichter zu handhabende Version des Zucker-Automaten. „Ich gehe davon aus, dass diese Geräte ab 2012 kommerziell vertrieben werden können.“

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Abnehmer für solche Maschinen sieht Seeberger insbesondere in den Zentral-Labors von großen Forschungseinrichtungen, etwa Glykoforschungszentren wie sie bereits in Dänemark, Spanien oder Australien existieren.

Zwanzig Impfstoffkandidaten in der Pipeline

„Gerade wenn es darum geht, eine große Vielfalt verschiedener Zuckermoleküle rasch herzustellen, ist unsere Methode konkurrenzlos“, betont Seeberger. Mit dem Synthesizer der neuesten Generation ließen sich erstmals Glykane direkt nach der Verknüpfung auf Oberflächen aufbringen. Das sei zum Beispiel für die Fertigung von sogenannten Glykanarrays interessant. Diese winzigen Chips - ausgestattet mit aufgedruckten Zuckerstrukturen - könnten künftig zum Beispiel in der Diagnostik eingesetzt werden.

Was die Forscher mit ihrem Zuckersynthesizer bereits alles anstellen können, präsentierte Seeberger am zweiten Tag der Veranstaltung. Durch die Nachahmung spezieller Zuckerstrukturen in der Oberfläche diverser Krankheitserreger haben die Berliner Forscher mittlerweile zwanzig Impfstoffkandidaten erzeugt und weiter untersucht. Neben Vakzinen gegen Milzbrand oder Malaria haben die Forscher nun auch einen bereits patentierten Impfstoffkandidaten für den gefürchteten Krankenhauserreger Clostridium difficile weit vorangetrieben. „Für diesen Impfstoff haben wir bereits mit Tierversuchen begonnen“, berichtete Seeberger auf dem Forum. 

Aber nicht nur Impfstoffexperten waren beim Glycan Forum vertreten, auch Zuckerexperten aus der Pharma- und Ernährungsindustrie berichteten von ihren Zuckerprojekten. Susanne Röhrig von Bayer Healthcare resümierte beispielsweise die Entwicklung des Blutgerinnungshemmesr Rivaroxaban (Xarelto). Das kleine Zuckermolekül ist ähnlich strukturiert wie der Blutverdünner Heparin und kann in Pillenform eingenommen werden.  Der Leverkusener Pharmakonzern will mit dem Trombosemedikament Xarelto um die Warfarin-Nachfolge in der Schlaganfallprävention antreten und - ähnlich wie Boehringer Ingelheim mit Pradaxa - das bisherige jahrzehntealte Standardmedikament ablösen.

Doch nicht nur in der Medikamentenentwicklung sind Zuckermoleküle ein Thema, auch die Ernährungswirtschaft sieht hier großes Potenzial. So drehte sich der Vortrag von Bernd Stahl von Danone Research in Friedrichsdorf um die Muttermilch und die Brustdrüse als Quell einer ungeheuren Vielzahl an gesundheitsförderlichen Zuckermolekülen. Er und viele weitere Forscher versuchen die Zucker-Zusammensetzung in der Muttermilch besser zu verstehen, um etwa nach diesen Erkenntnissen Nahrungszusatzstoffe für Säuglinge zu entwickeln (mehr…). Ob Medizin oder Ernährung - aus der Sicht der rund 300 Teilnehmer machte das Glycan Forum vor allem eines deutlich: Das Potenzial der Zuckermoleküle beginnt sich gerade erst abzuzeichnen.

 

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