Wolfgang Meyerhof: Salzig essen ohne Salz
09.02.2010 -
In der Kantine wird man Wolfgang Meyerhof garantiert nicht begegnen. Auch um Fast-Food-Restaurants und das Regal mit den Tiefkühlpizzen macht der Professor einen großen Bogen. Der Wissenschaftler am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam steht lieber selbst am Herd – zur Freude von Freunden und Bekannten, die dann in den Genuss seiner Kochkünste kommen. Eine vorhersehbare Nebenwirkung, wenn man als Ernährungswissenschaftler täglich sieht, wie viele Stoffe die Geschmacksrezeptoren ansprechen – seien sie nun gesund oder nicht.
Die Ernährungswissenschaften sind dabei nur das letzte seiner „verschiedenen wissenschaftlichen Leben“, wie er sagt. Begonnen hat der 1953 geborene Hannoveraner an der Freien Universität Berlin mit dem Studium der Biochemie, die „ersten Gehversuche“ machte er bei den molekularen Entwicklungsbiologen mit Amphibien: „Wir haben darüber geforscht, wie sich Froscheier zu Fröschen entwickeln.“ Von der molekularen Entwicklungsbiologie verschlug es ihn nach Hamburg, wo er in der molekularen Neurobiologie die Regulation der Hormonfreisetzung untersuchte. Nach seiner Habilitation im Fach Zellbiochemie erreichte ihn 1993 der Ruf nach Potsdam.
Deutsches Institut für Ernährungsforschung |
Hervorgegangen aus dem Zentralinstitut für Ernährung der Akademie der Wissenschaften der DDR, ist das DIfE heute Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Mehr zum Institut: hier klicken |
Die Ernährungsforschung begann sich gerade vehement zu entwickeln. „Ich dachte zu der Zeit, Ernährung hat mit Magen und Darm zu tun“, räumt Meyerhof ein. „Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass es eher mit dem Kopf zu tun hat. Die neurologischen Kontrollsysteme sitzen im Gehirn, nicht im Darm.“ Denn dort, wo die Hormonausschüttung für Hunger und Sättigungsgefühl gesteuert wird, endet auch die Signalkette der Geschmacksbahn. Welche Rezeptoren es gibt, wie sie funktionieren und wie ihre Informationen schließlich im Gehirn verrechnet werden, ist Meyerhofs Forschungsgebiet.
Sein Team sorgte in den letzten Jahren für eine ganze Reihe von neuen Erkenntnissen. So gelang es ihm, die Gene für die 25 unterschiedlichen menschlichen Geschmacksrezeptoren zu isolieren. In verschiedenen Kombinationen und Anordnungen sorgen sie dafür, dass wir tausende verschiedene Bitterstoffe schmecken können. Eine weitere Entdeckung offenbarte, dass Geschmackszellen über unterschiedliche Bitterrezeptoren-Sets verfügen. Vergangenes Jahr schließlich konnten die Forscher gemeinsam mit der TU München die drei Rezeptoren identifizieren, die Menschen die Bitterstoffe im Bier schmecken lassen (mehr...). In einem anderen Projekt entdeckte er zusammen mit italienischen Wissenschaftlern der Universität Piemont vier Rezeptoren, mit denen allein wir die bitterste Substanz der Welt wahrnehmen (mehr...). Und erst vor kurzem gelang es den Forschern um Meyerhof, das Zusammenspiel der Geschmacksrezeptoren zu entschlüsseln (mehr...).
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„Die Fortschritte der Geschmacksforschung sind relativ groß“, sagt der Ernährungswissenschaftler mit professioneller Bescheidenheit. „Außerdem steht das Forschungsfeld ohnehin im Interesse der Öffentlichkeit – wenn es um Geschmack geht, hält sich schließlich jeder für einen Experten.“ Seine eigenen Forschungsschwerpunkte sind die molekulare Sensorik in Bezug zu den Ursachen des Metabolischen Syndroms. Wie entstehen Übergewicht und Typ II-Diabetes, und wie beeinflussen sie ihrerseits das Essverhalten? Sein anderer Forschungsschwerpunkt ist „functional food“ – wie Ernährung das Risiko für bestimmte Krankheiten senkt oder erhöht. So sucht sein Team nach Substanzen, die auf die Geschmacksrezeptoren ähnlich wirken wie bestimmte Geschmacksstoffe, ohne aber deren Nebenwirkungen zu haben.
Aktuell geht es um einen Ersatz für Kochsalz (mehr...). Besonders die Lebensmittelindustrie interessiert sich für eine Alternative zum “weißen Gold“, das ernährungsphysiologisch einige Nachteile mit sich bringt. Zuviel Natriumchlorid erhöht das Risiko von Bluthochdruck, Schlaganfällen und Herzinfarkten. Allerdings verbessert es auch den Geschmack ganz erheblich, weshalb viele Westeuropäer auch wegen des Konsums von stark gewürzten Fertiggerichten weit mehr als die empfohlene Salzmenge aufnehmen. Die erste Suche des DIfE-Teams nach Alternativen war erfolgreicher als erwartet. Die Feinarbeit besteht jetzt darin, Stoffe zu isolieren, die keine anderen Nebenwirkungen haben und auch noch billiger als Kochsalz sind. „Es gibt schon Favoriten“, verrät Meyerhof. „Aber die kann ich noch nicht öffentlich nennen.“
Für Hobbys bleibt bei diesem Pensum wenig Zeit, doch das scheint der Wissenschaftler nicht als Verlust zu sehen. „Forscher empfinden ihre Arbeit ja als Hobby“, schmunzelt er. Und sein Lieblingsort ist zumindest dem Geruch nach auch nicht weit vom Labor entfernt: „Wenn ich könnte, würde ich wahrscheinlich ans Meer ziehen“, überlegt Meyerhof. „Das riecht gut und die Dünung beruhigt.“
Autorin: Cornelia Kästner