Molekülen mit Salzgeschmack auf der Spur
29.06.2009 -
Früher hat man über das Liebesleben der Köchin spekuliert, wenn der Natriumgehalt im Essen zu hoch war. Heute sind wir für solche Dinge offenbar unempfindlich geworden. „Unsere Recherchen haben ergeben, dass der Salzverzehr pro Person in Deutschland sehr viel höher ist als von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen“, sagt Wolfgang Meyerhof, Molekularbiologe am Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam. Mit fatalen Folgen: Zu hoher Kochsalzkonsum ist schon länger als eine Ursache für Bluthochdruck bekannt, und als erheblicher Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Deshalb suchen die Forscher nach Molekülen, die wenig Salz nach viel Salz schmecken lassen.
Denn künftig den Salzstreuer komplett im Regal zu lassen, sei keine Lösung, glaubt Meyerhof. „Das meiste Salz nehmen wir über Fertiggerichte zu uns“, so der Experte. „Auch Brot hat einen hohen Salzgehalt.“ Denn Salz gilt in der Nahrungsmittelindustrie als „Präferenztreiber“ – als geschmacks- und damit verkaufsfördernd. Meyerhofs Projektgruppe hat deshalb drei Jahre geforscht und steht jetzt am Abschluss des Projektes „Bioassay- unterstützte Identifizierung von Salzgeschmacksverstärkern zur Entwicklung kochsalzarmer Lebensmittel“. Beteiligt sind auch der Lehrstuhl von Thomas Hofmann, Professor für Lebensmittelchemie und molekulare Sensorik an der TU München und der global agierende Aromahersteller Symrise aus Holzminden. Im Rahmen der Förderinitiative "Funktionelle Ernährungsforschung" hat das Bundesforschungsministerium (BMBF) das Konsortium von 2006 bis 2009 mit 603 000 Euro unterstützt, inzwischen hat die Projektgruppe eine Anschlussförderung über weitere zwei Jahre beantragt.
Booster für den Salzgeschmack
Die drei Teams suchen nach Molekülen, die „wenig Salz nach viel Salz schmecken lassen“, wie Meyerhof formuliert. Um diese so genannten Booster oder Enhancer aufzuspüren, führen sie sensorische Versuche an Probanden durch und sehen sich die Geschmacksrezeptoren genauer an. Wie salziger Geschmack auf molekularbiologischer Ebene wahrgenommen wird, ist noch ein Rätsel. „Wir haben bestimmte Proteine im Verdacht, aber der endgültige Beweis steht noch aus“, sagt Meyerhof.
Meyerhofs Team konzentriert sich auf den Epithelialen Natriumkanal (ENaC). Dabei handelt es sich um einen Ionenkanal, der unter anderem im Darm, in der Niere, der Lunge, aber auch in den Geschmacksrezeptoren auf der Zunge vorkommt. Ionenkanäle sind porenbildende Eiweiße, die elektrisch geladenen Teilchen - wie beispeisweise durch Kochsalz eingenommene Natriumionen - den Durchgang durch Biomembranen ermöglichen. Menschen nehmen so etwa ein Drittel aller Ionen auf.
Funktionelle Ernährungsforschung |
Unter dem Dach dieser BMBF-Initiative suchen Konsortien aus Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam nach Wegen, um gesundheitsfördernen Aspekten von Lebensmitteln auf die Spur zu kommen. Langfristig sollen dabei Lebensmittel mit einem speziellen Zusatznutzen entstehen, die Ernährungsdefizite ausgleichen können. Die Initiative läuft zwischen 2006 und 2009. |
Die Wissenschaftler haben die Gene für den ENaC aus menschlichen Zellen isoliert und damit Froscheizellen gentechnisch verändert. Diese bilden sie dann, wie menschliche Geschmackszellen auch, den ENaC-Ionenkanal aus. In natriumhaltigen Lösungen stellt sich daraufhin ein Ionenstrom durch die Membran der Eizellen ein, der mit der Methode der Zwei-Elektroden-Spannungsklemme gemessen werden kann.
Mehr Substanzen gefunden als gedacht
Nacheinander haben die Forscher dann die verschiedenen Geschmacksverstärkerkandidaten auf die so veränderten Eizellen appliziert und gemessen, wie die Froschzellen darauf reagieren. Um sicher zu gehen dass es sich bei den Testsubtanzen auf jeden Fall um Verstärker des Salzgeschmacks handelt, haben die drei Wissenschaftlerteams eine Vorauswahl in einer Humanstudie getroffen – und anschließend mehr als 100 Testsubstanzen getestet, ob sie den ENaC-Membranstrom in den Frosch-Eizellen verstärken.
„Wir haben erwartet, vielleicht ein oder zwei Substanzen zu finden, die den ENaC-Strom verstärken“, erzählt Meyerhof. „Überraschenderweise waren es viel mehr.“ Die zu sortieren, bedeutet für die Wissenschaftler unerwartete Mehrarbeit. Doch um für die Lebensmittelindustrie interessant zu sein, müssen die Stoffe mehr tun, als den Salzgeschmack zu verstärken. Sie dürfen beispielsweise nicht giftig sein und keinen anderen Eigengeschmack besitzen. Vor allem aber müssen sie billig sein – schließlich sollen sie einmal das Kochsalz in den Lebensmitteln ersetzen, das zurzeit für etwa 40 Cent pro Kilogramm verkauft wird.
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Fortsetzung folgt
Ob sich die identifizierten Stoffe zum kommerziellen Einsatz als Salzgeschmacksverstärker eignen, bleibt abzuwarten. Zurzeit werden diese Stoffe weiter erforscht. Ziel ist es, durch gezielte chemische Modifikationen ihre Wirksamkeit weiter zu erhöhen. Weil man dann nicht so viel von dem Stoff bräuchte, wäre das kostengünstig und würde dem Einsatz keine zu engen Grenzen setzen. „Bislang sind unsere Stoffe noch nicht wirksam genug und damit zu teuer“, sagt Meyerhof. Man werde zwar Patentsschutz für sie bekommen, aber marktreif seien sie deswegen natürlich noch nicht.
In einem nächsten Schritt wollen die Forscher mit ihrem Teamkollegen Jakob Ley von der Firma Symrise zwei weiere Jahre an dem Projekt arbeiten. In dieser Zeit sollen die Wissenschaftler die erfolgreich getesteten Substanzen auf ihre Praktikabilität überprüft werden. Meyerhof vermutet, dass das Team kein „Allheilmittel“ finden wird, also keinen Universalverstärker für den Salzgeschmack, sondern mehrere geeignete Substanzen mit verschiedenen Eigenschaften. „Vermutlich werden wir Stoffe für mehrere Anwendungen finden“, sagt Meyerhof. „Einen Booster für Pizza, einen für Chips und einen für Bratensoße.“
Autorin: Cornelia Kästner