Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Wie aus Eiweißbausteinen stabile Spinnenseide wird

Im Labor nachgebaut: Wissenschaftler haben die Spinndrüse nachgestellt, um herauszufinden, wie aus den Eiweißen ein stabiler Faden wird. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Im Labor nachgebaut: Wissenschaftler haben die Spinndrüse nachgestellt, um herauszufinden, wie aus den Eiweißen ein stabiler Faden wird. Quelle: Technische Universität München

05.05.2008  - 

Ein Spinnennetz ist besonders dehnfähig, aber auch extrem reißfest. Nur so kann es die Wucht von Insekten auffangen, die in vollem Flug aufprallen. Diese besonderen elastischen Eigenschaften verdankt das Netz den Fäden, aus denen es gesponnen wurde. Schon seit Jahren setzt Thomas Scheibel alles daran, diese Spinnenfäden biotechnologisch herzustellen – um sie später als Nahtmaterial für Ärzte oder in der Textilindustrie einzusetzen. Jetzt ist dem Wissenschaftler von der Universität Bayreuth gemeinsam mit Kollegen der Technischen Universität München gelungen, eine künstliche Spinndüse den natürlichen Herstellungsprozess der Fäden im Labor nachzubauen. Wie die Forscher im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, 2008, 29. April, online) berichten, ließen sich damit die genauen Bedingungen bestimmen, unter denen sich im Spinnkanal ein stabiler Seidenfaden bildet.

Ein Spinnenfaden ist eigentlich nichts anderes, als eine ganz spezielle Mischung aus verschiedenen Eiweißbausteinen, die von den Tieren in einem Kanal zusammengeführt werden. Je nach Einsatzzweck können Spinnen dabei ganz verschiedene Arten von Seide herstellen. Den entstehenden Faden zieht die Spinne mit ihren Beinen heraus und sorgt damit für die nötige Strömung in dem Kanal. Damit die Eiweiße sich zu einem stabilen Faden verbinden, muss allerdings auch die Chemie stimmen. Denn die Eiweißketten sind zunächst gelöst und nehmen eine zufällige Struktur im Raum ein. Zellen der Spinndrüse fügen Kaliumphosphat und Säure zu, bis die so genannten Beta-Faltblattstrukturen entstehen. In diesen sind benachbarte Moleküle durch die gemeinsame Wechselwirkung vieler schwacher Bindungen sehr stark miteinander verbunden, was der Spinnenseide ihre große Stabilität verleiht.

Bionik
Nicht nur von den Spinnen können sich Menschen viel abschauen. Ob pflanzliche Wundheilungsmechanismen oder das Sonar der Fledermaus - die Natur bietet reichlich Platz für Inspiration. Bis zum Jahr 2010 unterstützt das BMBF das Forschungsfeld der Bionik mit run d50 Millionen Euro. mehr

Erste Hürde genommen: Bakterien als Produzenten von Eiweißbausteinen 

Bisher konnte man den natürlichen Spinnprozess nur schwer untersuchen, da die mikroskopisch kleinen Vorgänge nicht direkt in der Spinne beobachtbar sind. Immerhin hat die Wissenschaft dank Scheibels Arbeiten eine erste Hürde genommen, nämlich überhaupt größere Mengen Rohmaterial – also die nötigen Eiweißbausteine – herzustellen. "Eines der Hauptprobleme dabei war, dass die Spinnengene extrem groß sind und sich ihre Sequenzen ständig wiederholen", erklärt Scheibel. Aus diesem Grund hat sich der Wissenschaftler nicht damit beschäftigt, das Spinnenerbgut zu sequenzieren, um irgendwann auf die für die Seidenproduktion notwendigen Abschnitte zu stoßen. Stattdessen untersuchte er die Zusammensetzung der fertigen Seidenproteine und übersetzte sie danach zurück in die dazu passenden Erbinformationen. Im Jahr 2004 war es dann geschafft: Basierend auf diesen Erkenntnissen hatte Scheibel die Gene künstlich hergestellt und schließlich in Bakterien eingeschleust. Diese sind seitdem in der Lage, die nötigen Eiweiße herzustellen (mehr...). Für seine Arbeiten wurde Scheibel inzwischen ausgezeichnet: Im Sommer 2007 gehörte er zu den Siegern des Bionik-Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) (mehr...).Mit dieser Förderung soll auch der Aufbau der Firma AmSilk vorangetrieben werden, die die künstlich hergestellte Spinnenseide für verschiedene Anwendungen auf den Markt bringen will.

Spinnkanal künstlich nachgebaut

Nun ist es dem Wissenschaftler in enger Kooperation mit dem Biophysiker Sebastian Rammensee aus der Arbeitsgruppe von Professor Andreas Bausch an der Technischen Universität München gelungen, den Spinnkanal der Tiere im Labor nachzubauen. Wie die Forscher im Fachmagazin PNAS (2008, 29. April online) berichten, lassen sich damit erstmals die genauen chemischen und physikalischen Bedingungen bestimmen, unter denen sich im Kanal ein stabiler Seidenfaden bildet. Das Herzstück des Experiments ist eine dünne Plexiglas-Platte mit winzigen Kanälen, jeder etwa 100 Mikrometer breit, kaum dicker als ein menschliches Haar. Durch die Kanäle fließen Lösungen mit den Protein-Bausteinen der Spinnenseide und den für den Herstellungsprozess zusätzlich erforderlichen Chemikalien. Dank dieser „Mikrofluidik“ genannten Technik lassen sich Strömungs-Experimente mit sehr geringen Flüssigkeitsmengen auf kleinstem Raum durchführen und die Bedingungen nachempfinden, die im Spinnkanal herrschen.

Verengung im Spinnkanal von entscheidender Bedeutung

Die Forscher haben für ihre Untersuchungen viele Varianten der Mischung von Seiden-Proteinen und des Strömungsverlaufs ausprobiert. Dabei untersuchten sie zwei Arten von Seiden-Proteinen, die auch bei natürlichen Spinnenfäden in einer Mischung auftreten: eADF3 und eADF4 (eADF steht hierbei für „engineered Araneus Diadematus Fibroin“ – das Protein der Gartenspinne). Das wichtigste Ergebnis des Experiments: Ein stabiler Faden entsteht nur, wenn die Proteinlösung genau dann destabilisiert wird, wenn ein sogenannter Elongationsfluss herrscht: Durch eine Verengung im Kanal wird der Fluss beschleunigt. Diese Veränderung im Fluss sorgt dafür, dass die bis dahin kugelförmigen Spinnenseidenaggregate miteinander wechselwirken und zu einem Faden gezogen werden. Weiter berichten die Forscher, dass unbedingt eADF3-Proteine benötigt werden, um einen Faden entstehen zu lassen. Sie konnten zeigen, dass eine Lösung, die ausschließlich eADF4-Proteine enthält, keine stabilen Seidenfäden entstehen, sondern die Eiweiße in Kugelform bleiben. Umgekehrt reichen eADF3-Proteine alleine aus, um die für stabile Fäden erforderliche Beta-Faltblattstruktur zu bilden. Die Messungen lassen aber darauf schließen, so die Forscher, dass die eADF4-Beimischung für eine längere Lebensdauer der Fäden sorgt. „Wir haben hier versucht, die Natur so gut wie möglich nachzubauen und zu verstehen. Damit sind wir auf dem Weg zu künstlich hergestellten Biomaterialien einen entscheidenden Schritt weiter gekommen“, erläutert Professor Bausch.

 

Bionik

Rattenzähne stehen als Vorbild für sich selbst schärfende Messer. Das Projekt ist ein Beispiel für das Forschungsfeld der Bionik. Der Film "Innovationen der Natur" stellt drei Bionik-Beispiele näher vor, die vom BMBF gefördert wurden.
DVD im Bestellservice kostenlos anfordern

Im Bionik-Kompetenznetzwerk BIOKON e.V. sind eine Vielzahl von Forschungsgruppen vertreten, die sich mit dem Potenzial der Natur in den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten beschäftigen:  www.biokon.net


Menschen

Forscherprofile

Sie wollen wissen, wie ein Wissenschaftler tickt und was ihn antreibt? Dann schauen Sie in unserer Rubrik Aktuelles/Menschen vorbei. Hier werden regelmäßig neue Persönlichkeiten aus der biotechnologischen Forschung porträtiert.


Zur Rubrik Menschen

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

Sie möchten erfahren, in welche Forschungsprojekte öffentliche Gelder fließen? Unter der Rubrik Förderbeispiele stellen wir regelmäßig öffentlich geförderte Forschungsvorhaben inhaltlich vor.


Zur Rubrik Erfindergeist

Glykobiotechnologie

Forscherin im Labor

Was haben Biotechnologen mit Zucker zu tun? Die Broschüre "Die Zukunft ist süß - Möglichkeiten der Glykobiotechnologie" gibt darauf eine Antwort und informiert über neueste Trends der Zuckerforschung in Medizin, Biomaterialwissenschaft und Lebensmittelentwicklung. Sie kann kostenlos bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen