Kongress der Immunologen: Raus aus dem Elfenbeinturm
16.09.2009 -
Von der Schweinegrippe über Blutstammzellen bis hin zur Tumorbekämpfung - das Immunsystem ist der Schlüssel für eine ganze Reihe zentraler medizinischer Herausforderungen der Zukunft. "In den kommenden Jahren wird das Fach einige Quantensprünge erleben", sagt Max-Planck-Direktor Stefan Kaufmann auf dem Europäischen Kongress für Immunologie, der vom 14. bis zum 16. September in Berlin stattfand. Mehr als 5000 Immunologen aus über 60 Ländern folgten dem Ruf des europäischen Dachverbands EFIS. Das Selbstbewusstsein der Disziplin wächst, noch nie suchte die Immunologie so stark das Licht der Öffentlichkeit. Neue Preise, öffentliche Vorlesungen, ein Kinderbuch und ein eigens produzierter Werbefilm über den "Immunritter" unterstreichen die Aufbruchstimmung.
Wenn er bis auf den letzten Platz gefüllt ist, passen in den Saal 1 des Internationalen Congress Centrums (ICC) in Berlin genau 5008 Menschen. Beim Europäischen Kongress für Immunologie (European Congress of Immunology - ECI) war das fast zu knapp. Mehr als 5000 Immunologen folgten dem Ruf der European Federation of Immunological Societies (EFIS) nach Berlin, um sich vom 14. bis zum 16. September über aktuelle Entwicklungen in ihrem Fach auszutauschen.
European Federation of Immunological Societies |
Die EFIS ist der Dachverband von 28 Mitgliedsverbänden in 31 europäischen Ländern. Israel ist auch dabei. |
3500 wissenschaftliche Vorträge - der Band mit den Abstracts kommt im Umfang dem Berliner Telefonbuch nahe - umrahmten 112 Workshops, 55 Symposien sowie 14 Progress in Technology-Sessions. Der ECI-Kongress in Berlin war dabei erst der zweite seiner Art. 2006 erfanden sich die europäischen Immunologen mit dem ersten ECI-Kongress neu. ECI löste damit EIC ab, den zum Ende hin eher glücklosen European Immunology Congress, der im Drei-Jahres Turnus von 1973 bis 2003 stattfand. Das Treffen der Europäer ist schon in der zweiten Auflage größte Veranstaltung von Immunologen weltweit, größer noch als der Internationale Kongress der Immunologie ICI, der zuletzt 2007 in Rio de Janeiro stattfand und 2010 ins japanische Kobe geht.
Verlauf von Darmkrebs an der Immunantwort ablesen
Die European Federation of Immunological Societies (EFIS) ist der Dachverband aller nationalen immunologischen Fachgesellschaften Europas, mit 28 nationalen Fachgesellschaften in 31 europäischen Ländern und über 13.000 Einzelmitgliedern. Damit umfasst EFIS nicht nur die Mitgliedsstaaten der EU und die Nicht-EU-Mitgliedsstaaten Westeuropas, sondern auch die Staaten Osteuropas einschließlich Russlands und der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, sowie die Türkei und Israel. Derzeitiger Präsident ist ein Deutscher: Stefan Kaufmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin.
Aus Kaufmanns Institut stammen nicht wenige der insgesamt 3500 wissenschaftlichen Vorträge, die vom 14. bis zum 16. September gehalten wurden. Doch die Disziplin ist in ganz Europa lebendig, wie das Programm zeigte. So berichtete Jerome Galon vom renommierten "Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale" (INSERM) in Paris von der Entdeckung, dass sich der Krankheitsverlauf bei Patienten mit Darmkrebs viel besser als bisher voraussagen lässt, wenn man sich nicht den Tumor ansieht, sondern stattdessen die lokale Immunantwort misst (zytotoxische CD8-T-Zellen sowie Gedächtnis T-Zellen). Denn diese Art der Antwort bestimmt letztlich, wie es um den Patienten steht. "Auch Menschen mit einem relativ großen Tumor können 15 Jahre oder länger überleben", erläuterte Galon, während andere mit einem vergleichsweise kleinen Tumor innerhalb von Wochen kollabieren. In einem nächsten Schritt will Galon untersuchen, warum das Immunsystem bei unterschiedlichen Menschen so unterschiedlich reagiert.
Opfer des eigenen Erfolgs
Die gewaltige Vielfalt der vorgestellten Forschungsprojekte macht es unmöglich, die Disziplin mit wenigen Schlagworten zu beschreiben. Einer der roten Fäden aber ist sicherlich die Erkenntnis, dass das Immunsystem in seiner Komplexität und Effizienz vielleicht noch lange nicht zu ersetzen, aber immer besser therapeutisch gezelt genutzt werden kann. Das will auch Ruth Ganss vom Western Australian Institute for Medical Research in Perth. Sie will die abnorm veränderten Blutgefäße in soliden Tumoren dazu bringen, dass sie für Immunzellen wieder durchlässig und damit angreifbar werden. "In Versuchen an Mäusen haben wir die Tumore zerstören und die Überlebensrate der Tiere drastisch erhöhen können", sagte die Wissenschaftlerin. Bisher konzentrierte sich das Forschungsinteresse darauf, die Angiogenese - also das unkontrollierte Wachstum neuer Blutgefäße im Tumor - zu verhindern, indem man die Blutgefäße zerstört. Ganss' Ansatz ist subtiler. Sie will es dem Immunsystem ermöglichen, die grobe Arbeit für sie zu erledigen. Wie viele Immunologen glaubt auch Ganss, dass das körpereigene Immunsystem immer noch die beste Waffe ist, die die Wissenschaft zur Verfügung hat.
Aufbauend auf dem wissenschaftlichen Fortschritt wollen die europäischen Immunologen nun auch verstärkt dafür sorgen, dass ihnen und ihrem Fach auch die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird. "Da das Immunsystem meist ausgezeichnet funktioniert, merken wir selten, dass es uns täglich vor Krankheitserregern schützt" sagt Kaufmann. "Das Immunsystem ist sozusagen das Opfer des eigenen Erfolgs." So hätten die Immunologen nicht nur in der Öffentlichkeit mit Nichtbeachtung zu kämpfen, sondern auch in Fachkreisen und der Politik. "Medizin ist nach wie vor nach Körperregionen eingeteilt", sagt Andreas Radbruch (mehr...), Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin und verantwortlich für das wissenschaftliche Programm des Kongresses. Dass das Immunsystem im ganzen Körper wirksam sei, säßen die Immunologen oft zwischen den Stühlen, wenn es um Fördermittel und politische Unterstützung gehe.
Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Öffentlichkeit
Mit der Generalüberholung des angestaubten Kongresses schrieb sich die EFIS auch gleich ein neues Motto ins Stammbuch: Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Öffentlichkeit. Das Begleitprogramm des ECI 2009 sah dementsprechend aus. Große Namen und großer Aufwand sollten dafür sorgen, dass nicht nur die Fachbesucher, sondern auch interessierte Laien ihren Weg in die kavernenartigen Räume des ICC fanden. So sprach auf der Eröffnungsveranstaltung der bekannte Krebsforscher und Nobelpreisträger Harald zur Hausen. Patientenselbsthilfegruppen wie etwa die Rheuma-Liga, die Deutsche Selbsthilfe für angeborene Immundefekte, die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft und die deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa-Vereinigung sorgten mit eigenen Informationsveranstaltungen für den Bezug zur Praxis.
An die interessierte Öffentlichkeit richtete sich auch eine frei zugängliche Vorlesung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, bei der Thomas Böhm vom Max-Planck-institut für Immunbiologie in Freiburg allgemeinverständlich über "Lernen im Immunsystem" referierte. Zum ersten Mal gab es im ICC zudem eine Ausstellung über "Die Geburt der Immunologie". Über den Kongress hinaus geht das Buch "Your amazing immune system", das sich vor allem an Schüler richtet. Es handelt sich um die englische Übersetzung eines japanischen Buchs, das ursprünglich von japanischen Immunologen zum Tag der Immunologie in Japan verfasst wurde. Es kann von der EFIS-Website nach dem Ausfüllen einer Erklärung als pdf heruntergeladen werden, Übersetzungen in andere europäische Sprachen sollen später folgen. Der "Tag der Immunologie" wird seit einigen Jahren weltweit am 29. April begangen.
Der edle Ritter namens Immunsystem
Neuland betrat das EFIS mit einem Wettbewerb für einen Kurzfilm, der anschaulich und unterhaltsam das Immunsystem thematisieren sollte. Den ersten Preis und 22.000 Euro für die Verwirklichung der eigenen Idee gewann der italienische Filmregisseur Luca Sabbioni für "The Immunology Knight". Ohne Worte und mit leicht ironischem Augenzwinkern wird in dem fertigen Streifen, der auf dem Kongress erstmals vorgestellt wurde, die aufopferungsvolle Arbeit des Immunsystems veranschaulicht.
Luca Sabbionis Kurzfilm veranschaulicht die aufopferungsvolle Arbeit des Superhelden namens Immunsystem.Quelle: EFIS
Zu den öffentlichkeitswirksamen Fördermaßnahmen der EFIS gehört auch die Vergabe von Wissenschaftspreisen im Rahmen des Kongresses. Den mit 50.000 Euro dotierten EFIS-Schering-Plough-Preis erhielt in diesem Jahr Michael Reth, Immunologe an der Universität Freiburg und am dortigen Max-Planck-Institut für Immunbiologie. Gewürdigt werden damit Reths Forschungsarbeiten zur Aufklärung von Signalprozessen bei Immunzellen.
Ein weiterer, neu etablierter Preis ist der EFIS-Ita-Askonas-Preis. Diese mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung richtet sich an junge Immunologinnen im frühen Stadium ihrer Karriere. Er ging in diesem Jahr an Fiona Margaret Powrie von der Sir William Dunn School of Pathology an der Universität Oxford. Ausgezeichnet werden ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Aufklärung der gestörten Immunregulation bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Benannt wurde der Preis nach der Grande Dame der europäischen Immunologie. Askonas' Forschungen decken die gesamte Breite der immunologischen Phänomene ab. Sie war von 1976 bis 1989 Leiterin der Abteilung für Immunologie am National Institute of Medical Research (NIMR) in London und von 1989 bis 1990 Vizepräsidentin der Royal Society. Kein Wunder, dass Ita Askonas in den Augen von EFIS-Präsident Kaufmann nichts weniger als die "bedeutendste immunologin" Europas ist.