Gezüchtetes Herzgewebe als Ersatz für Tierversuche
15.09.2009 -
Bei der Suche nach neuen Herzmedikamenten müssen Arzneiforscher bislang immer etwas an der Realität vorbei testen: Für ihre Analysen im Labor stützen sie sich entweder auf Einzel-Zellen oder auf Tierversuche. Doch im pumpenden Herz sind Muskelzellen zu Verbänden gekoppelt, und Tierherzen funktionieren oft anders als die von kranken Menschen. Um Arzneitests aussagekräftiger zu machen, entwickeln Forscher Gewebekulturen aus menschlichen Herzmuskelzellen. Ziel des von der Universität Lübeck koordinierten Verbundprojekts „Human Heart Models“: Herzschnitte oder Stammzellen sollen Gewebe liefern, die sich möglichst gut züchten, vermessen und einfrieren lassen. Das BMBF fördert den Verbund aus vier Forschungsinstituten und einem Pharmaunternehmen mit 2,7 Millionen Euro.
Bei der Wirkstoffsuche im Labor arbeiten Forscher immer wieder an der Verbesserung der zur Verfügung stehenden Methoden, um ihre Forschung aussagekräftiger zu machen: Bislang greifen Pharmakologen bei der Suche nach neuen Herzmedikamenten für ihre Tests zumeist auf tierische Organe oder Gewebe zurück, wie etwa die von Mäusen, Meerschweinchen oder Hausschweinen. „Die Aussagekraft ist jedoch sehr begrenzt“, sagt Verbundprojektsprecher Heinrich Terlau, „die Biochemie und Leistung eines Mäuseherzens ist mit dem menschlichen eben nur sehr eingeschränkt vergleichbar."
Herzzellen funktionieren im Verband
Alternativ arbeiten Pharmaforscher auch mit einzelnen menschlichen Herzmuskelzellen: Sie zapfen die Zellmembranen mit feinen Mikroelektroden an und messen die elektrophysiologischen Reaktionen der Zelle auf die Testsubstanz. Doch Herzmuskelzellen funktionieren nicht im Alleingang. Sie sind im Herz untereinander durch Eiweißbrücken miteinander vernetzt. „Dadurch sind sie elektrisch gekoppelt und können sich so im Gleichtakt zusammenziehen“, sagt Heinrich Terlau. Der Lübecker Professor für Pharmakologie und Physiologie betont: „Um zu verstehen, wie Herzzellen auf Wirkstoffe reagieren, müssen wir sie im Gewebeverband testen“. Im Rahmen des BMBF-Verbundprojekts „Human Heart Models“ versuchen fünf Arbeitsgruppen in Lübeck, Köln, Reutlingen und Frankfurt derzeit, solche Gewebekulturen aus menschlichen Herzmuskelzellen zu entwickeln und sie für den Laboreinsatz verfügbar zu machen. Dabei stützen sich die Forschergruppen des Konsortiums auf zwei ganz unterschiedliche Quellen, um an Gewebematerial zu gelangen: Organschnitte und embryonale Stammzellen.
BMBF-Verbundprojekt "Human Heart Models" |
"Human Heart Models" ist ein Projekt, das im Rahmen der BMBF-Initative "Innovation in der Medikamentenentwicklung" gefördert wird. Dem Konsortium gehören fünf Partner an: Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie in Lübeck |
Hauchdünne Herzschnitte als Teststreifen
Terlaus Forschergruppe in Lübeck verwendet Gewebe, das gelegentlich bei Herzoperationen als Rest anfällt. Solche Gewebestücke schneiden die Forscher mit Einverständnis der Patienten dann rasch zu hauchdünnen Scheibchen, die einen Durchmesser von mehreren Millimetern haben. „ Wir können so tatsächlich aktives Herzmuskelgewebe gewinnen“, sagt Terlau, „auf dem Objektträger können wir es zucken lassen und dabei Ströme und Kräfte messen“. Bisher war diese Technik nur an Mäuseherzen etabliert. Somit -soviel verrät Terlau- scheint es nun auch für erwachsene Menschenherzen gelungen zu sein. Derzeit tüfteln die Mediziner nun an Rezepturen, mit denen sich ihre Präparate über mehrere Wochen hinweg kultivieren lassen. Denn so könnte man dereinst an einem Gewebeschnipsel gleich mehrere Wirkstoffe hintereinander ausprobieren. An der Langzeitlagerung und dem Transport dieser Gewebeschnitte arbeitet die Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie mit ihren Kollegen aus dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik. Ziel der Kryokonservierungs-Experten dort ist es, die „aktiven“ Herzschnitte so schonend einzufrieren, dass sie auch nach dem Auftauen noch zucken können und damit einsatzbereit für Pharma-Tests sind.
Embryonale Stammzellen liefern herzähnliche Mikroorgane
Auch wenn die Experimente mit den Schnitt-Kulturen vielversprechend verlaufen: Um für angestrebte Wirkstoff-Testreihen einen hohen Durchsatz und möglichst reproduzierbare Ergebnisse zu erreichen, hoffen die Forscher besonders auf das Potenzial von embryonalen Stammzellen. Ein Team um Stammzellforscher Jürgen Hescheler beschäftigt sich am Kölner Institut für Neurophysiologie damit, die Alleskönner-Zellen durch Zugabe von bestimmten Wachstumsfaktoren zu Herzmuskelzellen zu verwandeln. Hierbei entstehen dreidimensionale Zellklumpen, die sich wie funktionstüchtige Herzmuskelgewebe verhalten. Auch sie können als zuckende Mikro-Organe auf Objektträgern aufgebracht und untersucht werden.
Mini-EKG für Herzgewebe-Verband
Ob nun Organschnipsel oder Stammzellprodukt: In pharmakologischen Tests wollen die Forscher ihre Herzgewebekulturen genau auf etwaige Nebenwirkungen prüfen. Das Gros der Herzmedikamente umfasst Wirkstoffe, die den Herzrhythmus beeinflussen. „Diese Moleküle docken meist an Ionenkanälen an und verhindern, dass diese fehlfeuern und der Herzrhythmus außer Takt gerät“, sagt Professor Klaus-Peter Koller aus der Abteilung External Innovation von Sanofi-Aventis in Frankfurt.
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Deshalb ist es bei Wirkstoff-Tests besonders interessant, die elektrophysiologischen Veränderungen in der Zelle zu messen. Die Projektpartner vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen (NMI) passen dazu sogenannte „Micro-Elektroden-Arrays“ (MEA) an das empfindliche Gewebe an. Das sind kleine Chips mit winzigen Messfühlern. Legt man den Gewebeschnipsel auf die Mini-Elektroden, so lassen sich nach einer Stimulation des Miniatur-Herzens -wie bei einem EKG- charakteristische Ströme ableiten und überprüfen.
Zwar befinden sich alle Teilprojekte noch in grundlegenden Stadien, die Forscher testen derzeit allenfalls die Auswirkungen von einem Dutzend Referenzsubstanzen. Doch Klaus-Peter Koller ist sich sicher. „Wir können mit diesen Methoden die Wirkstoffsuche auf lange Sicht automatisieren und dadurch Entwicklungskosten sparen.“ Insgesamt werde die Arbeit mit menschlichen Herzkulturen die Medikamentenentwicklung sicherer machen. Nicht zuletzt soll das bis Herbst 2010 geförderte Verbundprojekt helfen, Tierexperimente in vorklinischen Untersuchungen zu verringern.
Autor: Philipp Graf