Charli Kruse: Erkundet neue Stammzellquellen
15.06.2009 -
Erst Meeresökologe, dann Stammzellforscher: Charli Kruse hat in seiner Forscherlaufbahn den Sprung vom großen Ganzen hin zum ganz Kleinen gemacht. In seiner jetzigen Position kann er nun beide Erfahrungen prima miteinander verbinden: Seit 2008 leitet Kruse in der Hansestadt Lübeck die Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie (EMB), ein Ableger des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik (IBMT) im Saarland. Charli Kruse ist besonders teilungsfreudigen und wandelbaren Zellen auf der Spur: Adulten Stammzellen. Nicht nur in menschlichen Drüsengeweben hat er dafür neue und ergiebige Quellen entdeckt. Auch bei Meeresfischen gelingt es immer besser, teilungsfreudige Zellen zu züchten.
Die Nähe zur Ostsee ist Charli Kruse sowohl im Beruf wie auch privat sehr wichtig. Der 48-jährige Professor für Molekularbiologie ist waschechter Hanseat: Aufgewachsen in der Hansestadt Wismar, studierte er Meeresbiologie in Rostock. „Doch meine romantischen Vorstellung vom Biologenleben verschwand, als mir klar wurde: Um Lebensvorgänge zu erforschen, führt der Weg ins Labor“, sagt Kruse. In seiner Doktorarbeit am Institut für Tierphysiologie in Rostock untersuchte er, wie Hormone das Geschlecht von Regenbogenforellen beeinflussen können. 1991 dann der thematische Sprung ans Institut für Medizinische Molekularbiologie an der Medizinischen Universität in Lübeck, wo er auch habilitierte.
Hintergrund |
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Adulte Stammzellen aus Drüsengewebe
Auf sein heutiges Forschungsgebiet stößt Kruse dort eher zufällig. Eigentlich will er für Untersuchungen zum Proteintransport in der Zelle ein bestimmtes Eiweiß aufreinigen, das sich besonders leicht aus Bauchspeicheldrüsengewebe gewinnen lässt. „Als wir die Pankreaszellen in Kultur züchten wollten, gab es immer wieder Auffälligkeiten“, sagt Kruse, „Zellen, die sich einfach merkwürdig verhielten“. Als der Lübecker Forscher das Ärgernis einmal etwas genauer in Augenschein nimmt, ist er wie elektrisiert: Die teilungsfreudigen Sonderlinge entwickelten sich je nach Kulturtechnik zu ganz unterschiedlichen Zelltypen- sie hatten offenbar Stammzellcharakter. Der überraschende Fund fiel 2003 in jene Zeit, als Wissenschaftler und die Politik bereits mit Nachdruck nach Alternativen zu den ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen suchten. 2004 wird an der Universität Lübeck eine Fraunhofer-Arbeitsgruppe „Zelldifferenzierung und Zelltechnologie“ gegründet, getragen vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) im Saarland. Charli Kruse wird ihr Leiter. Zeitgleich veröffentlicht er erste Ergebnisse in einem Fachjournal für Materialwissenschaften. „Es ging uns darum, erst einmal die Methode schnell zu publizieren“, sagt Kruse, „auch um Patente abzusichern“.
Die Fachwelt reagiert zunächst skeptisch. „Unsere Begeisterung für die neue Stammzellquelle sprang nicht gleich über“, erinnert sich Kruse, „doch inzwischen haben wir nachgelegt und durch viele molekulare und funktionelle Tests die Vielseitigkeit unserer Drüsenstammzellen untermauert.“ Nicht nur aus der Bauchspeicheldrüse, auch aus Mundspeicheldrüsen und der Haut haben die Lübecker mittlerweile erfolgreich Stammzellen isoliert. Unter speziellen Kulturbedingungen wandeln sie sich zu Fettzellen, Herzmuskelzellen, Nervenzellen und sogar Keimzellen. Auf lange Sicht soll dieses Potenzial in Therapien münden, etwa um Organschäden zu regenerieren. Im Tierversuch mit Mäusen sind die Pankreas-Stammzellen bereits im Einsatz: „Wenn wir ein Kollagengel mit unseren Zellen besiedeln, können wir damit Hautverletzungen abdecken und die Wundheilung verbessern“, sagt Kruse. Zahlreiche weitere Anwendungen für adulte Stammzellen faszinieren den 48-Jährigen. So ließen sie sich gut in dreidimensionalen Aggregaten in der Kulturschale züchten. Derzeit werden solche Kulturen für ihren Einsatz in Toxizitätstests geprüft.
Nutzfischzellen in Kultur
Mit dem Ausbau der Arbeitsgruppe und der Gründung der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie (EMB) 2008 in Lübeck hat sich das Forschungsspektrum des 28-köpfigen Teams deutlich erweitert. „Es geht darum, marine Ressourcen nachhaltig zu nutzen“, erklärt EMB-Leiter Kruse. Ein Ziel: Zellen mit Stammzelleigenschaften bei Nutzfischen zu isolieren und zu kultivieren. „Hier kommt mir besonders meine frühere Ausbildung zugute“, freut sich Kruse. Ob aus Stör, Steinbutt oder Hering: Fischzellkulturen aus diesen Arten sind biotechnologisch interessant. Künftig könnten sich daraus im großen Maßstab Biomasse oder Fischeiweiße herstellen lassen, wie man sie zur Fütterung in marinen Aquakulturen benötigt. Die Entwicklung neuer Technologien für die Aquakultur gehört ebenfalls zu den neuen Geschäftsbereichen des EMB, dass 2013 ein eigenständiges Fraunhofer-Institut werden soll.
Stammzellarchiv auf Eis |
Mithilfe neuester Technik wollen Fraunhofer-Forscher um Charli Kruse den weltweiten Tierbestand archivieren. Sie arbeiten an einer Sammlung tiefgefrorener Stammzellen von Wildtieren, dem "CRYO-BREHM". Mehr Infos: hier klicken |
Kreatives aus Strandgut
Dem sieht Charli Kruse optimistisch entgegen. In seiner Freizeit werkelt der dreifache Vater gerne im heimischen Garten. Und immer wieder zieht es ihn raus ans Meer – an den nahen Ostseestrand. Auch hier ist er auf marine Ressourcen aus, diesmal um sie auf kreative Art zu nutzen: Aus Strandgut wie kleinen Steinen und Holzstückchen bastelt Kruse Skulpturen, Schmuck oder auch mal einen Drachen für die Kinder. „Manchmal greife ich auch zu Aquarell- oder Ölfarben“, sagt er. Lieblingsmotive: Natur und natürlich das Meer – „ ich bin eben Hanseat“, sagt Kruse, „an der Ostsee fühl ich mich zuhause.“
Autor: Dr. Philipp Graf