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Diabetes-Therapie: Insulin aus der Zelldose

Eine Zelldose mit einem raffinierten Belüftungssystem - so sieht die biokünstliche Bauchspeicheldrüse aus, die Dresdner Mediziner einem Diabetiker implantiert haben. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Eine Zelldose mit einem raffinierten Belüftungssystem - so sieht die biokünstliche Bauchspeicheldrüse aus, die Dresdner Mediziner einem Diabetiker implantiert haben. Ein Jahr lang lieferte sie Insulin. Quelle: Universitätsklinikum Dresden, Beta-O2-Technologies

30.10.2013  - 

Mit einem implantierbaren Bioreaktor – einer Dose gefüllt mit Inselzellen – haben Dresdner Mediziner ein neues Kapitel in der Diabetes-Therapie eingeleitet. Das Team um Barbara Ludwig vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus hat damit weltweit zum ersten Mal ein biokünstliches Pankreassystem erfolgreich eingesetzt. Der Clou: körperfremde Inselzellen aus einer Bauchspeicheldrüse wurden mit einer Schutzkapsel ummantelt und dann einem Typ-1-Diabetiker eingepflanzt. Die von einem Unternehmen aus Israel entwickelte Dose ersparte dem Patienten die sonst notwendige Einnahme von Immunsuppressiva und lieferte ein Jahr lang zuverlässig Insulin. Die Forscher berichten im Fachjournal PNAS (2013, Bd. 110. S. 19054) über ihre Studie. Weil humane Spenderorgane rar sind, könnten künftig Zellen von Schweinen in der Kapsel zum Einsatz kommen.

Sie sind die Schaltzentralen für die Regulierung des Blutzuckerspiegels: Die sogenannten Langerhansschen Inseln, die als kompakte Zellgrüppchen in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) sitzen. Wie Mini-Organe überwachen sie nicht nur ständig die Glucose-Konzentration im Blut, sondern reagieren auch entsprechend: Dazu produzieren sie die Hormone Insulin und Glucagon, um den Blutzucker-Pegel  ideal einzustellen. Bei einem Typ-1-Diabetes gerät dieser Balanceakt aus dem Tritt, da das Immunsystem die insulinproduzierenden Beta-Zellen attackiert und zerstört. Deswegen gehören Blutzuckertests, Insulin-Injektionen und sorgfältig abgestimmte Mahlzeiten zur Alltagsroutine von rund 30 Millionen Typ-1-Diabetikern weltweit. Trotzdem lassen sich gefährliche Ausreißer oft nicht vermeiden. Vor allem nachts, wenn die Patienten schlafen, sind Unterzuckerungen gefürchtet.

Die Zelldose im Film

Ein Video des Uniklinikums Dresden zeigt, wie die biokünstliche Bauchspeicheldrüse funktioniert.

Zum You Tube-Video: hier klicken

Inseltransplantation kann Schwankungen lindern

Für Diabetiker mit besonders heftigen Blutzuckerschwankungen kann eine sogenannte Inseltransplantation eine deutliche Verbesserung bringen. Aus einer Spender-Bauchspeicheldrüse werden hierbei die Inselzellen herausgelöst und in die Pfortader der Leber des Patienten gespritzt. Einige der verabreichten Zellen siedeln sich dort an und tun ihre Arbeit: Blutzucker messen und Hormone produzieren. Somit können sie zumindest die extremen Schwankungen lindern. „Allerdings müssen die Patienten fortan Medikamente einnehmen, die das Immunsystem dämpfen“, sagt Barbara Ludwig im Gespräch mit biotechnologie.de
Die Ärztin leitet das einzige in Deutschland aktive Inseltransplantationszentrum am Dresdner Universitätsklinikum. Die dauerhafte Einnahme von Immunsuppressiva mache anfällig für Infektionen und berge weitere Nebenwirkungen wie ein erhöhtes Krebsrisiko.
Gerade um diese Probleme zu umgehen, hat Ludwig mit ihrem Team nun zum ersten Mal weltweit einem Typ-1-Diabetiker ein biokünstliches Pankreas-System im Bauchraum eingepflanzt: Der kleine Bioreaktor in der Form einer flachen Dose war mit Inselzellen eines Spenders gefüllt. Rund ein Jahr blieb die Kapsel im Körper des Patienten. Mit ermutigendem Ergebnis: Der Blutzuckerspiegel stabilisierte sich und der Patient musste weniger Insulin spritzen. Und auch das andere Ziel wurde erreicht: „Es mussten keine Immunsuppressiva verabreicht werden", resümiert Ludwig.

Der Clou mit dem Sauerstoff

Entwickelt haben die Dresdner das biokünstliche Pankreas-System zusammen mit dem israelischen Unternehmen Beta-O2 Technologies. Aufgebaut ist es aus verschiedenen Kammern, die von einer porösen Plastikmembran ummantelt sind. Eingebettet in einen Pudding aus Alginat befinden sich darin die Inselzellen. „Dadurch werden die Zellen vom Immunsystem abgeschirmt, können aber trotzdem Insulin nach außen abgeben“, erläutert Ludwig.

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Das Hormon diffundiere dann ungehindert in Richtung Blutgefäße in der unmittelbaren Umgebung des Implantats. Ein weiterer Clou: die Forscher haben ein raffiniertes Belüftungssystem für die Kapsel entwickelt, damit die äußerst sensiblen Zellen darin aktiv bleiben. Über ein Portsystem lassen sich die Zellkammern mit frischem Sauerstoff betanken. „Dazu musste sich der Patient täglich für eine Minute lang an ein kompaktes Belüftungsgerät anschließen“, erläutert Ludwig. An diesem Aspekt zu tüfteln, habe sich gelohnt: „Die Zellen haben in der Kapsel ein Jahr voll funktionsfähig überlebt.“

Weitere Studien notwendig

Das Pankreassystem hatte sie zunächst umfassend zusammen mit den israelischen Kollegen an Tiermodellen erprobt, bevor es erstmals klinische Anwendung bei Menschen fand. Ludwig betont, dass nun noch weitere Studien und viele Jahre Entwicklungsarbeit notwendig seien, bevor mehr Menschen von dem Forschungserfolg profitieren könnten. „Mit der experimentellen Ein-Patient-Studie haben wir zunächst gezeigt, dass das Konzept funktioniert“, sagt Ludwig. Weitere Studien zusammen mit europäischen Partnern seien mittelfristig geplant.

Ein riesiges Problem, mit dem die Mediziner dabei konfrontiert sind, ist das der fehlenden Spenderorgane. In Deutschland ist das Manko bei der Inselzell-Transplantation noch zusätzlich verschärft: Denn Inselzellen werden nicht als Organe, sondern als Gewebe betrachtet – und unterliegen dem Gewebegesetz, was den Zugang zu Inselzellen zusätzlich verkompliziert. Deshalb setzen die Dresdner Forscher mit ihrem biokünstlichen Pankreas-System auf Tiere als mögliche Spender. Die Hoffnung: Mit der neuen Technik könnten künftig womöglich insulinproduzierende Zellen von Schweinen eingesetzt werden, ohne vom menschlichen Organismus abgestoßen zu werden. Auch zu diesem Projekt zur Xenotransplantation sei eine klinische Studie in Vorbereitung, sagt die Dresdner Forscherin.

Zellen sind technischen Pankreas-Systemen überlegen

Biokünstlich wird das in Dresden eingesetzte System genannt, weil es lebende Zellen mit Hightech-Materialien kombiniert. Medizintechnik-Firmen tüfteln hingegen schon seit Jahrzehnten an rein technischen Pankreas-Systemen: Sie bestehen aus einem Glucose-Sensor, einer Insulin-Pumpe und einem Computer, der die Funktionen Messen und Dosieren mittels eines Algorithmus intelligent verknüpft. „Diese artifiziellen Systeme werden immer besser, aber sie haben immer noch mit Problemen wie Messungenauigkeiten und zeitverzögerte Wirkung zu kämpfen“, sagt Barbara Ludwig. Die Blutzucker-Regulation sei nun mal ein äußerst komplexer Vorgang, den man nur schwer technisch nachahmen und beherrschen könne. „Lebende Inselzellen sind darin einfach besser als jedes artifizielle System“, so Ludwig.

Autor: Philipp Graf

 

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