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Dem Immunsystem das Gedächtnis rauben

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Das Protein APRIL (rot eingefärbt). Es gilt als wichtiger Baustein im Immunsystem und ist überlebenwichtig für das immunologische Gedächtnis. Quelle: DRFZ

21.01.2011  - 

Mit einer Vielzahl von Strukturen und Mechanismen setzt sich das Immunsystem des Menschen gegenüber Krankheitserregern zur Wehr. Hierbei spielt das immunologische Gedächtnis eine entscheidende Rolle. Kommt es dabei jedoch zu Fehlfunktionen, dann entstehen Autoimmunkrankheiten wie Rheuma: der Körper bekämpft fälschlicherweise sich selbst. Forscher um Claudia Berek vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin haben nun einen wichtigen Puzzlestein im Verständnis des immunologischen Gedächtnisses aufgedeckt. Wie sie in der Fachzeitschrift Nature Immunology (2011, Ausgabe 12, S. 151–159) berichten, liefern ihre Erkenntnisse die Basis für einen neuen Therapieansatz bei Autoimmunerkrankungen.

Die körpereigene Immunabwehr verfügt über ein ziemlich ausgeklügeltes Erinnerungssystem: Ein Krankheitserreger, der einmal vom Körper erkannt und erfolgreich bekämpft wurde, kann später bei einem erneuten Kontakt deutlich schneller und effizienter bezwungen werden als beim ersten Mal. Meist sogar so schnell, dass dann von der Krankheit überhaupt nichts zu spüren ist. Für diese Leistung sorgt das immunologische Gedächtnis: Es speichert Informationen über den Erreger und stellt sie der Körperabwehr zur Verfügung. Das Immunsystem erkennt die Erreger wieder und kann somit schnell und direkt reagieren. Die Hauptakteure im immunologischen Gedächtnis sind die sogenannten Gedächtnis-Plasmazellen, die sich im Rückenmark befinden. Auch nach Jahrzehnten können diese Zellen Krankheitserreger wiedererkennen, um dann speziell geschulte Antikörper - die körpereigenen Abwehrtruppen - gegen als feindlich eingestufte Strukturen zu bilden und auszusenden. Bei einem gesunden Menschen kann dieses System Freund von Feind, also  „selbst“ von „fremd“, unterscheiden. Bei manchen Menschen gerät diese Unterscheidung jedoch durcheinander, die Gedächtnis-Plasmazellen richten dann Antikörper irrtümlicherweise gegen körpereigenes Gewebe - der Körper bekämpft also sich selbst. Ohne Behandlung können solche Autoimmunkrankheiten wie Rheuma oder Multipler Sklerose ein Leben lang andauern.

In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, was bei einer Autoimmunkrankheit passiert.Quelle: biotechnologie.tvDas immunologische Gedächtnis sitzt im Knochenmark 

Eine Heilung von solchen Krankheiten ist bislang noch nicht möglich, doch die Wissenschaftler des Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ), das seit 2009 zur Leibniz-Gemeinschaft gehört (mehr...), wollen das ändern. Ihre Arbeiten zur Erforschung des immunologischen Gedächtnisses finden weltweit große Beachtung und haben bereits maßgeblich zum heutigen Verständnis dieses Systems beigetragen. Sie konnten mit aufklären, dass die strukturgebenden Stromazellen des Knochenmarks Überlebensnischen für Gedächtnis-Plasmazellen darstellen und das Knochenmark demnach das „Haus des immunologischen Gedächtnisses“ ist. Es bildet das schützende und nährende Umfeld, in dem die Gedächtniszellen für viele Jahre überleben können.

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Darüber hinaus sorgen bestimmte Faktoren – sogenannte Zytokine – dafür, dass sich die Zellen im Knochenmark wohlfühlen. Mit diesen Faktoren, die Namen wie APRIL, Baf oder Interleukin-6 tragen, arbeitet DRFZ-Forscherin Claudia Berek schon seit mehreren Jahren. Eine Frage jedoch trieb Berek um: „Wer macht diese Zytokine überhaupt im Knochenmark?“ Die Antwort geben die Forscher nun in ihrer Studie in Nature Immunology : Offenbar sind ganz spezielle Immunzellen, die eosinophilen Granulozyten, die Hauptquelle für diese Faktoren und damit essentiell für das Überleben der Gedächtnis-Plasmazellen.

Claudia Berek mit ihrem Mitarbeiter Van Trung Chu.Lightbox-Link
Claudia Berek mit ihrem Mitarbeiter Van Trung Chu.Quelle: DRFZ
Granulozyten: eine unerwartete Doppelrolle

Granulozyten sind ebenfalls Teil des Immunsystems. Sie werden normalerweise im Knochenmark gebildet und von dort ins Blut und Gewebe abgegeben, wo sie Krankheitserreger aufspüren und gegebenenfalls zerstören sollen. Bislang hatten Forscher angenommen, dass die eosinophilen Granulozyten fast ausschließlich eine Rolle in der unspezifischen Abwehr von Parasiten wie Würmern spielen oder im Rahmen allergischer Reaktionen aktiv werden. „Dass sie Plasmazellen unterstützen, ist eine vollkommen neue Erkenntnis“, erläutert Berek.
In ihren Arbeiten konnten die Berliner Forscher zeigen, dass eosinophile Granulozyten mindestens zwei überlebenswichtige Faktoren für die Plasmazellen bereitstellen: den Proliferationsfaktor APRIL und Interleukin 6. „Entfernt man die eosinophilen Granulozyten aus der Überlebensnische der Gedächtniszellen im Knochenmark, werden sie in den Selbstmord getrieben", beschreibt Berek die Rolle der Granulozyten. „Gibt man sie dagegen wieder hinzu, nimmt die Zahl der Gedächtnis-Plasmazellen im Knochenmark sofort wieder zu.“

Wie sich das Gedächtnis löschen lässt 

Noch wissen die Forscher allerdings nicht, ob dieses Prinzip auch beim Menschen so abläuft. Bisher haben sie die Mechanismen nur an Mäusen erforscht. „Wenn man wüsste, dass diese Ergebnisse auch beim Menschen Gültigkeit haben, wäre das das i-Tüpfelchen,“ sagt Berek, die nach diesem Jahr in Rente gehen wird. Für sie ist das Ergebnis vermutlich ihre letzte große Entdeckung.

Aber eine, die sehr wahrscheinlich die Basis für neue Therapieansätze bei der Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten, allergischen Entzündungsprozessen oder der Vermeidung von Transplantat-Abstoßungsreaktionen legen wird. Bei diesen Krankheiten stellen die Plasmazellen nämlich das große Problem dar, da sie kontinuierlich gegen körpereigene Strukturen gerichtete Antikörper bilden. „Ihre Ausschaltung durch gezieltes Entfernen der eosinophilen Granulozyten wäre eine interessante neue Therapiemöglichkeit, um das überaktive Immunsystem wieder zur Ruhe zu bringen“, betont Berek.

In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, wie sich unser Körper mit dem immunologischen Gedächtnis an Krankheitserreger erinnert.Quelle: biotechnologie.de

Bei Mäusen sei es bereits gelungen, die eosinophilen Granulozyten durch das Spritzen spezifischer Antikörper auszuschalten und somit den Plasmazellen ihre Überlebensgrundlage zu rauben. Auch die nächsten Schritte wollen die Forscher weiter im Tiermodell verfolgen. Hier nutzen sie Mäuse, die an spontan auftretenden Autoimmunkrankheiten leiden. An ihnen wollen sie testen, ob ausgeschaltete Granulozyten tatsächlich das Auftreten der Erkrankung hinauszögern oder den Krankheitsverlauf abmildern können. 2,5 Millionen Euro wird Andreas Radbruch, der Direktor des DRFZ, für die nächsten fünf Jahre erhalten, um die Forschung am immunologischen Gedächtnis weiter anzutreiben. Das Geld kommt vom Europäischen Forschungsrat (ERC), die offensichtlich großes Potenzial in der Erforschung des immunologischen Gedächtnisses sehen – für die begehrte Förderung hatten sich mehr als 2000 Projekte beworben.

Aus der Sicht von Berek gibt es eine gute Möglichkeit, die fehlgeleitete Körperabwehr mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. „Lässt sich das Prinzip, die eosinophilen Granulozyten mit Antikörper auszuschalten, von der Maus auf den Menschen übertragen, wäre es ein möglicher Weg zu einer Therapie gegen Autoimmunkrankheiten“, sagt Berek, aber warnt vor allzu großen Hoffnungen: „Das ist noch Zukunftsmusik.“

© biotechnologie.de/tk

 

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