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Akademien: Gendiagnostik-Gesetz ist mangelhaft

Die Wissenschaftsakademien haben im geltenden Gendiagnostik-Gesetz erhebliche Mängel entdeckt. Da selbst eine Blutgruppenbestimmung unter die Regelung fällt, steigt der Beratungsbedarf enorm an. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Wissenschaftsakademien haben im geltenden Gendiagnostik-Gesetz erhebliche Mängel entdeckt. Da selbst eine Blutgruppenbestimmung unter die Regelung fällt, steigt der Beratungsbedarf enorm an. Quelle: Michael Horn/pixelio.de

12.11.2010  - 

Viele handwerkliche Fehler, realitätsfremd, zu detailliert und bereits heute in weiten Teilen unterlaufen: Drei deutsche Wissenschaftsakademien haben dem im Februar 2010 in Kraft getretenen Gendiagnostikgesetz ein mangelhaftes Zeugnis ausgestellt. Aufgrund der vielen Mängel fordern die Wissenschaftler eine rasche Novellierung des Gesetzes. Wesentliche Teile der rechtlichen Regelungen entsprächen nicht dem aktuellen Stand der Technologie, heißt es in einem am 10. November in Berlin vorgelegten Stellungnahme. Die Experten monieren insbesondere den unverhältnismäßig gestiegenen Bedarf an notwendigen genetischen Beratungen, die Mediziner kaum mehr in der nötigen Qualität nachkommen können. Außerdem plädieren die Experten für eine längere Aufbewahrungsfrist genetischer Daten. Auch bei der Regelung frei verkäuflicher Gentests sehen die Wissenschaftler Nachbesserungsbedarf.

Unter den 17 Autoren der 110-seitigen Stellungnahme zur „Prädikitiven genetischen Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention“ finden sich zahlreiche Humangenetiker. Sie gehören der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften an.

Das vom Bundestag zu Zeiten der großen Koalition beschlossene Gendiagnostikgesetz beinhaltet umfassende rechtliche Regelungen für genetische Untersuchungen am Menschen. Es soll Missbrauch sensibler genetischer Daten und Diskriminierung wegen genetischer Vorprägungen verhindern und betont die informationelle Selbstbestimmung und damit das Recht auf Wissen und Nichtwissen. Seit 1. Februar 2010 ist das Gesetz in Kraft (mehr...). Generell begrüßten die Experten zwar den Versuch, die Genomanalyse gesetzlich zu regeln. „Aber das Gesetz greift in vielen Bereichen zu weit und geht zu sehr ins Detail“, sagte der Leiter der Arbeitsgruppe, der Humangenetiker Peter Propping von der Universität Bonn bei der Abendveranstaltung in Berlin.

Mit heißer Nadel gestrickt

Das Gesetzesvorhaben hatte bereits während seiner Erarbeitung wiederholt massiven Widerspruch ausgelöst. Der Humangenetiker Claus Bertram von der Universität Heidelberg, Mitautor der Stellungnahme, kritisierte, das Gesetz sei mit sehr heißer Nadel gestrickt. „Uns belasten jetzt die vielen handwerklichen Fehler.“Ein zentrales Dilemma entsteht offnenbar durch die im Gesetz herangezogene Definition von Gendiagnostik. Dazu zählt nicht nur die Analyse des Erbmaterials DNA, sondern auch die von Genprodukten, sprich Proteinen. „Im Prinzip werden damit auch Blutgruppen- oder Leberwertbestimmungen zur Gendiagnostik“, betonte Propping. 

Stellungnahme "Genetische Diagnostik"

Die Stellungnahme zur "Prädiktiven genetischen Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention" wurde von einer Expertergruppe von Mitgliedern dreier wissenschaftlicher Akademie vorgelegt.

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Das hat weitreichende Folgen: Da nach dem neuen Gesetz gendiagnostische Untersuchungen nur nach ärztlicher Beratung erfolgen dürfen, erhöht sich der Bedarf an Beratungsleistungen enorm. Doch gerade die künftige Qualität der genetischen Beratung bereitet den Experten Sorgen. Bislang seien Fachärzte für Humangenetik für solche Beratungen zuständig. Den voraussichtlich stark anwachsenden Bedarf an genetischer Beratung sollen nun nach Plänen der zuständigen Gendiagnostik-Kommission am Berliner Robert-Koch-Institut nun auch Ärzte anderer Fachrichtungen decken, die fünf bis acht Wochenendkurse absolviert haben. „Das ist viel zu kurz, damit wird eine Humangenetik light etabliert“, beklagte Bartram.

„Das Gesetz wurde bereits tausendfach gebrochen“

Problematisch sehen die Akademien auch, dass das Gesetz das übliche Neugeborenenscreening als genetische Reihenuntersuchung bewertet. So müssten Eltern vor der Blutentnahme aus der Ferse ihres Kindes genetisch beraten werden. Das habe damit aber durch einen Arzt, nicht wie bisher üblich durch eine Säuglingsschwester oder Hebamme zu erfolgen. Deshalb gebe es vermehrt Hinweise auf ein Unterlassen dieser Vorsorgeuntersuchung etwa bei Hausgeburten. Manche Krankenschwestern jedoch würden zum Wohl des Kindes einfach trotzdem Blut abnehmen. „Das Gesetz wurde schon tausendfach gebrochen“, sagte der Bartram in Berlin. Ein Gesetz, das derart mit der Realität kollidiere, sei einfach kein gutes Gesetz.

Deutliche Kritik äußern die Akademien auch an der zeitlichen Begrenzung der Speicherung von Ergebnissen genetischer Untersuchungen auf zehn Jahren. Nach Ansicht der Experten ist diese Regelung kaum praktikabel und im Falle familiärer Leiden auch nicht unbedingt wünschenswert.

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Fürsorgepflicht des Arztes höher gewichten

Zu weit geht vielen Experten das Gesetz auch bei der Regelung der ärztlichen Schweigepflicht. Wenn der Arzt eine erbliche und womöglich behandelbare Krankheit bei einer Genomanalyse feststellt, von der auch Geschwister betroffen sein könnten, darf er diese nicht informieren. Die Akademien plädieren dafür, die Fürsorgepflicht des Arztes in bestimmten Fällen künftig höher zu gewichten als seine Schweigepflicht. So solle ein Arzt im Einzelfall abwägen können, ob er Familienangehörige bei klarem medizinischem Nutzen in angemessener Form auf das Risiko einer Erkrankung hinweisen solle, selbst wenn der Patient seine Verwandten nicht informiere. Das gelte etwa für erbliche Formen von Brust- oder Darmkrebs.

Zu wenig geregelt ist den Humangenetik-Experten zufolge auch der Umgang  mit kommerziellen Gentests, deren Anbieter in vielen Fällen suggerieren, komplexe Erkrankungen wie Alzheimer oder Osteoporose vorhersagen zu können. Bislang lasse sich jedoch noch keine einzige dieser Erkrankungen zuverlässig prognostizieren, heißt es in der Stellungnahme der Akademien. Die Kritik der Experten fällt in eine Zeit, in der auch die Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland kritisch diskutiert wird. Die aktuelle Stellungnahme geht auf die PID zwar nicht ein. Die Wissenschaftler schlagen jedoch vor, die Mängel im Gendiagnostikgesetz in einem Atemzug mit der notwendigen PID-Neuregelung (mehr...) zu beheben.

 

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