Volvox-Genom: Erbgut des einfachsten Vielzellers entziffert
16.07.2010 -
Der Übergang vom Einzeller zum Vielzeller markiert einen der bedeutendsten Schritte in der Evolution komplexer Lebewesen. Die anmutige Grünalge Volvox mit ihren zwei Zelltypen steht beispielhaft für einen Organismus, der den Schritt zur Vielzelligkeit vollzogen hat. Grünalgen aus der nächsten Verwandtschaft von Volvox sind dagegen Einzeller. Auf der Suche nach dem molekularen Rezept der Vielzelligkeit hat ein internationales Forscherteam mit deutscher Beteiligung nun das komplette Genom von Volvox entziffert. Wie die Forscher im Fachmagazin Science (9. Juli 2010, Bd. 329, S.223) berichten, fanden sie nur minimale Unterschiede in der genetischen Ausstattung zwischen einzelligen und vielzelligen Grünalgen. Für den Schritt zur Mehrzelligkeit bedarf es offenbar keiner zusätzlichen Gene. Entscheidend ist eher, wie sie funktionieren.
Im Jahr 1700 wurde Volvox von dem niederländischen Mikroskopie-Pionier Antoni van Leeuwenhoek zum ersten Mal beschrieben. Der Biologe stufte die kugelförmigen Süßwasseralge allerdings zunächst als mikroskopische Tierchen („Animalcules“) ein - nicht zuletzt wegen ihres dynamischen Schwimmverhaltens. Der Name Volvox stammt von dem lateinischen Wort “volvere” (rollen, wälzen) und bezieht sich darauf, dass Volvox sich beim Vorwärtsschwimmen um die eigene Längsachse dreht. Volvox lebt in Teichen und Tümpeln fast überall auf der Welt, allerdings bevorzugt im wärmeren Wasser. Mit einem Durchmesser von bis zu zwei Millimeter kann man die Algen leicht mit bloßem Auge erkennen.
Der einfachste Mehrzeller
Die Grünalge ist nicht nur beliebtes Anschauungsobjekt im Schulunterricht und im Biologie-Studium, sondern dient Evolutionsforschern als Modellorganismus. Denn Volvox ist der denkbar einfachste Vielzeller: Sie besteht nur aus zwei verschiedenen Zelltypen: 2000 kleine, begeißelte Körperzellen sind in einer gallertartigen Matrix eingebettet und formen eine Hohlkugel. Und 16 große, reproduktive Zellen sorgen im Innern dieser Sphäre dafür, das eine nächste Algen-Generation entstehen kann. Es gibt also erstmals einen Organismus, der Fortpflanzung und tägliches Leben trennt. Die Arbeitsteilung hat jedoch auch ihren Preis: Aus den reproduktiven Zellen gehen Tochterkolonien hervor, die wachsen und irgendwann die Gallertkugel der Mutter-Alge sprengen. Erstmals ensteht hierbei eine „Leiche“.
Nah verwandt zu einzelligen Grünalgen
Volvox hat einen sehr nahen, einzelligen Verwandten: Die Grünalge Chlamydomonas, eines der Lieblingsstudienobjekte von Pflanzenforschern. Dieser glückliche Umstand erlaubt es Wissenschaftlern, die beiden Organismen auf molekularer Ebene zu vergleichen. Die zentrale Frage, die Forscher weltweit umtreibt: Welche Veränderungen in der genetischen Ausstattung haben den Schritt von der Einzelligkeit zur Mehrzelligkeit bewirkt?
Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern aus den USA, Kanada, Japan und Deutschland hat nun das Genom von Volvox entschlüsselt. Wie die Forscher in Science berichten, besteht das Erbgut von Volvox carteri aus 138 Millionen DNA-Bausteinen (Basenpaaren) und enthält 14.500 Gene. Der Mensch hat höchstens 25.000 Gene und somit nicht einmal doppelt so viele Erbanlagen wie die kugelige Alge. Nach der Sequenzierung verglichen die Forscher die Sequenz des Genoms von Volvox mit der Abfolge der DNA-Bausteine beim einzelligen Verwandten Chlamydomonas, welcher bereits in 2007 sequenziert wurde.
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Die Forscher wollten herausfinden wie sich das genetische Repertoire des einfachsten Vielzellers von dem des Einzellers unterscheidet. Das Ergebnis verblüffte die Forscher: Zwar ist das Volvox-Genom um 17 Prozent größer als das des engen Algen-Verwandten. Dieses Plus entsteht aber nicht durch mehr Gene. Vielmehr haben sich ständig wiederholende DNA-Abschnitte das Erbgut aufgebläht.
Kaum Unterschiede im genetischen Repertoire
„Wir waren sehr überrascht, wie gering die Unterschiede zwischen dem Genom des Einzellers Chlamydomonas und dem des Vielzellers Volvox sind“, erklärt der Molekularbiologe Armin Hallmann von der Universität Bielefeld. „Trotz großer Unterschiede sowohl in der Komplexität beider Organismen also auch in deren Lebenszyklen, haben die Genome beider Organismen ein ähnliches Potenzial zur Codierung von Proteinen. Wir haben nur sehr wenige Gene gefunden, die spezifisch für Volvox sind.“ Offenbar komme es mehr darauf an, wie und wann die Gene in Eiweiße übersetzt werden. „Es bedarf nicht zwangsläufig einer dramatischen Erhöhung der Anzahl an Genen um sich von einem Einzeller zu einem Vielzeller entwickeln zu können“, so Hallman. Schon in diesem frühen Evolutionsschritt spielt die Frage der Qualität bei der Verwendung von Genen also bereits eine entscheidende Rolle.