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Erika von Mutius: Sucht die Stecknadel im Stall

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Seit Erika von Mutius die beiden Berufe Kinderärztin und Wissenschaftlerin gleichzeitig ausüben kann, hat sie die Asthmaforschung entscheidend geprägt, wie amerikanische Kollegen im Fachblatt The Lancet loben. Quelle: von Mutius

10.03.2010  - 

Erika von Mutius gilt schon lange als erfolgreiche Einwerberin europäischer Fördergelder, nun hat sie es erneut geschafft: Die Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München gehört zu den 13 Deutschen, die Anfang 2010 eine der begehrten Millionen-Förderungen für etablierte Wissenschaftler beim Europäischen Forschungsrat (ERC) ergattern konnte. Mit dem Geld will sie diejenigen Substanzen finden, die Bauernhofkinder vor allergischen Krankheiten schützen. Damit könnten eines Tages Asthma und Heuschnupfen verhindert werden. Und dabei hatte die heute so erfolgreiche Kinderärztin schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt, alles hinzuwerfen.

Mit den 2,1 Millionen Euro des ERC wird Erika von Mutius nun fast 2000 Proben aus dem Stall und dem Staub bäuerlicher Kinderbetten untersuchen. Denn Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, „haben fünfmal seltener Asthma und Heuschnupfen als Stadtkinder“, erklärt von Mutius. Mit dem HERA-Projekt ("Host-environment interactions in the protection from asthma and allergies"), will die Forscherin ihrem Traum näher kommen, eines Tages Asthma und Heuschnupfen zu verstehen und damit verhindern zu können. Dass Bauernkinder vor der bislang unheilbaren Krankheit geschützt sind, konnten die Allergieforscher eindeutig auf den Konsum von Rohmilch und einen häufigen Aufenthalt im Stall zurückführen. Rohmilch zu trinken, birgt jedoch die Gefahr, sich mit krankmachenden Keimen zu infizieren.

Hintergrund

Sie wollen mehr über die Arbeit von Erika von Mutius erfahren? Dann schauen Sie auf der Webseite ihrer Forschungsgruppe vorbei.

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„Im HERA-Projekt werden wir daher ganz gezielt den Stallfaktor untersuchen“, erklärt die Kinderärztin der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Im Stall hatten die Forscher vor kurzem zwei Bakterien mit Petrischalen isoliert, die Mäuse vor Allergien schützten. Außerdem waren Mäusekinder auch dann vor Allergien gefeit, wenn ihre Mutter während der Trächtigkeit mit diesen Keimen in Kontakt kam. „Bei der Anzucht über Petrischalen erwischt man aber nur ein bis zehn Prozent aller vorhandenen Keime“, erklärt von Mutius. Dagegen eröffnen die analytischen Methoden, die bei HERA verwendet werden sollen, die Möglichkeit, auch jene Mikroben zu identifizieren, die sich nicht kultivieren lassen.

Mit ihrem Team, das über mehrere Länder verteilt ist, will sie nun mit Hochdurchsatz- Sequenziemethoden die therapeutisch relevanten Keime aus den Proben herausfischen. Die Verfahren erlauben es, die berühmte Stecknadel im Stall zu finden, weil die Roboter tausende von Proben pro Tag automatisch testen. Weitere Informationen über diese Proben liegen bereits in Biobanken vor, weil sie in einer vorangegangenen Studie schon eingehend charakterisiert wurden. Anschließend sollen die neu entdeckten Substanzen im Mausmodell auf ihr immunstimulierendes Potential getestet werden.

Keim und Kind individuell kombinieren

Das Projekt hat noch ein weiteres Ziel. „Wir wollen wissen: Welcher Keim hilft welchem Kind?“, beschreibt von Mutius. Denn der Ausbruch einer Allergie hängt nicht allein von der Umwelt ab, sondern wird auch von der genetischen Veranlagung eines Menschen bestimmt. Nur Bauernhofkinder mit einer bestimmten Ausprägung des polymorphen Toll-ähnlichen Rezeptors (TLR), sind auch vor Allergien geschützt. Diese Rezeptoren „sind die Ersten in der Linie unseres Abwehrsystems“, erklärt von Mutius. Sie erkennen die Strukturen von Krankheitserregern und helfen dem Immunsystem zwischen „eigen“ und „fremd“ zu unterscheiden. Genau diese Unterscheidungsfähigkeit kommt bei einer Allergie abhanden, und das Immunsystem reagiert viel zu stark auf völlig ungefährliche Keime, wie beispielsweise Blütenpollen.

Hygiene-Hypothese
Eine Umgebung mit einer Vielzahl von Erregern schützt Kinder wahrscheinlich vor Allergien, weil sich ihr Immunsystem frühzeitig mit vielen Keimen auseinandersetzte. Dass dagegen eine keimarme Umgebung allergische Krankheiten wie Asthma oder Heuschnupfen fördert, weil das Immunsystem nicht in jungen Jahren trainiert hat, wird heute Hygiene-Hypothese genannt.

Inzwischen ist von Mutius von ganzem Herzen Kinderärztin. Dabei hätte sie am Anfang beinahe alles hingeschmissen. „Mein Freund und meine Mutter hatten sich gegen mich verbündet und mich zum Medizinstudium überredet“, erinnert sich die Forscherin. Medizin hat in ihrer Familie eine lange Tradition; von Mutius ist Ärztin in der fünften Generation. „Ich habe lange mit dem Medizinstudium gekämpft. Erst während meines praktischen Jahres in der Kinderklinik fand ich Spaß daran und erst noch viel später bin ich zur Wissenschaft gekommen“, erzählt von Mutius. Auch ihre erste epidemiologische Studie „war nicht der Hit“, denn sie machte „alle Fehler, die man sich nur vorstellen kann“, bekennt sie. Und auch die nächste Studie wollte sie eigentlich gar nicht erst anfangen.

Detektivin der Daten

Der Wendepunkt in ihrer Karriere war ihr Aufenthalt am Respiratory Sciences Center in Tucson im amerikanischen Arizona. Ihren dortigen Mentor, Fernando Martinez, bezeichnet sie selbst als „Schlüsselfigur“. „Bei ihm habe ich gelernt, was man aus epidemiologischen Daten alles rausholen kann“, begeistert sich von Mutius noch heute. „Fernando hat meine beiden Seelen zusammengebracht“. Im Klinikalltag hatte sie bislang vermisst, sich mit dem, „was man dort sieht“, intellektuell auseinander zu setzen. Martinez weckte ihre Lust, wie ein Detektiv in den Daten zu graben und Zusammenhänge herzustellen. Er eröffnete ihr einen Weg, Kinderärztin und Forscherin gleichzeitig zu sein.

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Zurück in Deutschland erwarteten sie neue Schwierigkeiten. „Meine Chefs wollten, dass ich hundert Prozent in der Klinik arbeite“. Für die Forschung wäre der Ärztin dann nur die Freizeit geblieben. „Ich bin aber überzeugt, Klinik und Wissenschaft gehören zusammen, denn der kranke Mensch ist der Ausgangspunkt für die Wissenschaft“. Daher kämpfte sie lange für die Freiheit, neben ihrer Klinikarbeit zu forschen. Heute verbringt sie etwa ein Drittel ihres Tages als Kinderärztin in der Allergiesprechstunde im Dr. von Haunerschen Kinderspital und den Rest kann sie sich der Forschung widmen. Neben der Epidemiologie fördert sie auch Nachwuchsforscherinnen. Sie zeigt ihnen, wie sie erfolgreich europäische Fördergelder einwerben können. „Wir haben zu wenig Frauen und oft bin ich die einzige in den Gremien“, klagt sie.

Ihre Arbeit fasziniert sie täglich aufs Neue. „Wenn unser Immunsystem nicht so komplex wäre, wären wir schon alle tot“, beschreibt von Mutius. „Es ist unglaublich, wie wenig wir doch von der Natur wissen. Das lässt mich immer wieder staunen.“ Mit dem HERA-Projekt hofft die Asthmaforscherin nun den Ursachen für die Toleranz der Bauernhofkinder näher zu kommen und eines Tages die bislang unheilbare Krankheit ganz zu verhindern. Denn „Allergiekinder sind richtig krank. Ich habe in der Ambulanz alle Formen gesehen. Alles was man sich nur vorstellen kann“.

 

Autorin: Esther Schwarz-Weig

 

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