03.11.2009
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Die Herzschwäche ist mit geschätzten 10 Millionen Betroffenen in Europa eine der häufigsten internistischen Erkrankungen. In Zukunft wird diese Zahl noch steigen, wenn das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Im Alter verliert das Herz nach und nach die Fähigkeit, Blut durch den Körper zu pumpen. Die Ursachen dafür liegen teilweise in den Genen, und genau dorthin wagen sich Forscher unter dem Dach des Nationalen Genomforschungsnetzes. Rund um Hugo Katus von der Universität Heidelberg hat sich ein Team aus Wissenschaftlern gebildet, die neue Risikogene für die Herzschwäche finden wollen. Andere Teams entwickeln genetische Methoden der Früherkennung oder konstruieren molekulare Abfangjäger, die das Krankheitssignal unterdrücken.
Ob ein Mensch im Laufe seines Lebens eine Herzschwäche entwickelt und in welcher Form und Stärke sie auftritt, wird von seiner genetischen Ausstattung mitbestimmt. „Wir wissen, dass einzelne Genmutationen zu Veränderungen an bestimmten Eiweißen des Herzmuskels führen und eine Herzschwäche bedingen können", sagt Hugo Katus vom Universitätsklinikum Heidelberg. Der Kardiologe behandelt seit 30 Jahren Patienten mit unterschiedlichen Formen der Herzschwäche, die Mediziner auch als Herzinsuffizienz bezeichnen. Im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) befasst er sich mit den molekularen Ursachen dieser Volkskrankheit.
Das NGFN ist ein Forschungsnetzwerk, das auf dem Deutschen Humangenomprojekt hervorgegangen ist und seit 2001 vom BMBF in zwei Förderphasen mit rund 350 Millionen Euro gefördert wurde. Hunderte Arbeitsgruppen aus ganz Deutschland haben sich dabei vor allem auf jene Krankheiten konzentriert, die aufgrund ihrer Verbreitung von besonderer gesundheitspolitischer Relevanz sind: Dazu zählen Krebs, Herz- und Kreislauf-Erkrankungen, Diabeten und Erkrankungen des Nervensystems. Bei den zwei aktuellen Nachfolgeinitiativen - NGFN plus und NFGN Transfer - geht es vor allem darum, molekulargenetische Erkenntnisse aus der medizinischen Genom- und Proteomforschung in die medizinische Praxis zu überführen – sei es in Form von neuen Medikamenten und Therapien oder als verbesserte Diagnose- und Früherkennungsverfahren.
Nationales Genomforschungsnetz |
In dem Programm der Medizinischen Genomforschung kooperieren Großforschungseinrichtungen, Universitäten, Kliniken und Industrieunternehmen bundesweit an mehr als 60 vernetzten Standorten in interdisziplinär organisierten Verbünden im Kampf gegen die großen Volkskrankheiten. Mehr Informationen zum NFGN hier klicken |
Verbundforschung auf drei Ebenen
Hugo Katus leitet einen der 26 Forschungsverbünde (mehr...) von NFGN-plus. Er will das Problem an der Wurzel, oder besser gesagt an den Wurzeln packen. „Unser Forschungsansatz ist dreifach gestaffelt: Erstens suchen wir nach Genmutationen, die mit einer Herzschwäche in Zusammenhang stehen. Zweitens wollen wir verstehen, auf welche Signalwege diese Genmutationen störend einwirken. Drittens interessiert uns die Rolle des genetischen Umfelds – also welche modifizierenden Gene die Wirkung der krank machenden Gene abschwächen oder verstärken“, erklärt er. Mit „wir“ meint er den NGFN-Plus-Verbund, der Arbeitsgruppen an den Universitäten Heidelberg, Göttingen, Münster und München, am DKFZ Heidelberg sowie am Max-Delbrück-Centrum und der Charité in Berlin umfasst. Die Wissenschaftler können dabei auf innerhalb des NGFN entstandene Ressourcen zurückgreifen. Dazu gehören Gensequenzierer ebenso wie die sogenannte Mausklinik in München, die Tiermodelle zur Verfügung stellt (mehr...). Katus ist aber vor allem vom immateriellen Nutzen der Zusammenarbeit überzeugt. "Da treffen Ärzte wie ich, getrieben von den klinischen Problemen, auf Theoretiker und Grundlagenforscher. Das setzt enorme Synergien frei“, meint er.
Jedes Team fahndet dabei auf eine andere Art nach den Ursachen der Herzinsuffizienz. In Zellkulturen wird nach herzspezifischen Eiweißen und ihrem Einfluss auf wichtige Signalwege in der Zelle gefahndet. Parallel dazu werden Tausende mutierter Zebrafische untersucht: Die Tiere sind durchsichtig, sodass krankhafte Veränderungen des Herzens äußerlich sichtbar sind. Interessante Kandidaten werden zu großen Fischfamilien weitergezüchtet und genauer unter die Lupe genommen. Mäuse, bei denen bestimmte Gene ausgeschaltet sind, ergänzen diese Experimente. Besonders aufwendig ist es, die modifizierenden Gene aufzuspüren, also jene Teile im Erbgut, die mitbestimmen, wie andere Gene ausgelesen werden: „In einer genomweiten Assoziationsstudie untersuchen wir in München, Berlin, Göttingen und Heidelberg Gruppen von jeweils tausend Patienten mit vier verschiedenen Ausprägungen der Herzschwäche und vergleichen sie mit Gesunden. Dabei haben wir bereits mehrere genetische Regionen identifiziert, die den Verlauf einer Herzschwäche beeinflussen“, so Katus.
Biomarker zur Prognose der Herzschwäche gesucht
Als praktizierender Arzt will Katus aber nicht nur Grundlagenforschung betreiben, sondern auch die Rate der Herzinsuffizienz-Patienten möglichst schnell senken. In einem Projekt innerhalb der NGFN-Transfer-Initiative sucht Katus deshalb auch nach aussagekräftigen Biomarkern, damit Ärzte bei ihren Patienten frühzeitig die Entwicklung einer Herzschwäche erkennen und Prognosen zum Krankheitsverlauf machen können. „Wenn ein Herz unter Stress kommt, verändert es als Resultat aller genetischen Prozesse seinen Stoffwechsel. Wir messen einfach, was in Summe dabei herauskommt“, so Katus. Dazu werden die Stoffwechselprodukte von erkrankten und gesunden Herzzellen verglichen, um charakteristische Unterschieden zu finden. Parallel dazu wird nach auffälligen Metaboliten im Blut von Patienten mit verschiedenen Formen der Herzschwäche gesucht.
Köder verhindern übermäßige Aktivierung von Risikogenen
In einem weiteren NGFN-Transfer-Projekt sollen die molekularen Auslöser der Krankheitsymptome abgefangen werden, bevor sie Übles anrichten können. Unter der Leitung von Markus Hecker an der Universität Heidelberg setzen die Wissenschaftler an bestimmten Eiweißen an, die bei einer Herzinsuffizenz in die Zelle wandern und bestimmte Gene übermäßig aktivieren. Drei dieser sogenannten Transkriptionsfaktoren konnten bereits in einem früheren NGFN-Projekt identifiziert werden. Die gute Nachricht ist nun: Sie lassen sich abfangen, bevor sie im Zellkern ihre Wirkung entfalten. Das geschieht mit künstlich hergestellten Stückchen Erbsequenz, die genauso aussehen wie die Stellen im Erbgut, an denen die Transkriptionsfaktoren eigentlich andocken.
Bringt man diese künstlichen Oligodesoxynukleotide (ODN) in Kontakt mit einer Körperzelle, gelangen sie ohne Hilfsmittel in die Zelle und verbinden sich dort mit den passenden Transkriptionsfaktoren – bevor diese die entsprechenden Gene aktivieren können. Weil die synthetischen DNA-Moleküle wie ein Köder wirken, nennt man sie Decoy ODNs, vom englischen decoy = ködern. „Mit ihrer Hilfe fangen wir überschüssige Transkriptionsfaktoren ab“, erklärt Helga Grupe, Geschäftsführerin der Münchner Firma Avontec GmbH, „und hemmen damit gezielt die Expression jener Gene, die maßgeblich zur Entstehung einer Krankheit beitragen.“ Avontec besitzt mehrere Decoy ODNs gegen Transkriptionsfaktoren, die bei der Entstehung von Asthma, Schuppenflechte und Neurodermitis beteiligt sind, und hat diese Pharmaka bereits an mehreren Hundert Patienten auf ihre Sicherheit und zum Teil auch auf ihre Wirksamkeit geprüft. Dieses Know-how bringt die Firma als Industriepartner in das NGFN-Transfer-Projekt ein, um Decoy ODNs künftig auch zur Behandlung der Herzschwäche verfügbar zu machen.