Nachwachsende Rohstoffe: Kosmetika aus Zellulose
08.02.2011 -
Zellulose ist ein wichtiger Rohstoff in der Papierherstellung. Bisher ließ sich der Pflanzenrohstoff aber nur in Form von Fasern oder Pulvern verarbeiten. Jenaer Chemiker wollen jetzt gemeinsam mit Industriepartnern Flüssigzellulose für die industrielle Verwendung herstellen. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,2 Millionen Euro geförderten Projekt sollen zum Beispiel Kosmetikprodukte mit medizinischem Zusatznutzen oder eine neue Art von Biosensor entstehen.
Auf den ersten Blick haben Plasmafernseher und Taschentücher nicht viel gemein. Abgesehen vielleicht vom steigenden Bedarf an den Papiertüchlein, wenn das Finale von „Titanic“ über den Bildschirm flackert. Doch der Eindruck täuscht, in beiden Produkten findet sich derselbe Rohstoff: die Zellulose. In der Natur dient sie als Gerüstsubstanz und wird zum Beispiel von allen Pflanzen zum Stabilisieren in die Zellwand eingelagert. In der Industrie ist die Zellulose ein wichtiger Rohstoff, aus ihr entstehen beispielsweise Viskose-Fasern aber auch Bindemittel für Farben und Lacke. In den vergangenen Jahren ist die Zellulose auch als Energielieferant immer wichtiger geworden: Sogenannte Biokraftsoffe der zweiten Generation sollen aus zellulosehaltigem Pflanzenmaterial hergestellt werden (mehr…).
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Der Aufbau der Zellulose ist einfach, sie besteht aus einer einzigen, langen unverzweigten Kette von Traubenzuckermolekülen. Trotz dieser einfachen Struktur hat sich die Zellulose zu einem wahren Multitalent in der Industrie entwickelt. Eine wichtige Einschränkung gibt es aber. „Gemeinsam ist all diesen Produkten, dass der Rohstoff Zellulose als Feststoff umgewandelt wird“, sagt Thomas Heinze, Professor am Institut für Organische und Makromolekulare Chemie der Universität Jena. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative „Unternehmen Region“ mit 1,2 Millionen Euro geförderten Projekt will er das nun ändern. Zusammen mit Partnern aus Medizin und Industrie wurde die „Thüringer Applikationsplattform für homogene Polysaccharidchemie“ (TAP) gegründet, ein Verbundprojekt, das vom BMBF als Wachstumskern mitfinanziert wird.
Dort will Projektkoordinator Heinze die flüssige Zellulose für neue Anwendungen in der Industrie fit machen. Die Hoffnungen in der Industrie sind groß, soll sich die Flüssigzellulose doch in bisher unerreichter Qualität verarbeiten lassen. Zwei konkrete Anwendungsbeispiele will Heinze nun zusammen mit seinen Projektpartnern entwickeln. Im ersten Projekt soll Flüssigzellulose so modifiziert werden, dass sie antibakteriell wirkt oder kleine Blutungen stoppen kann. Als Zutat für Cremes oder Lotionen könnte sie dann nicht nur für eine längere Haltbarkeit sorgen, sondern auch noch einen medizinischen Zusatznutzen aufweisen. Dafür haben die Jenaer Forscher die Gebr. Ewald GmbH aus Nahetal-Waldau als Industriepartner ins Boot geholt. In Zusammenarbeit mit der Hautklinik der Universität Jena sollen die neuen Wirkkosmetika auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit überprüft werden. In einem zweiten Teilprojekt wird erprobt, ob sich mit modifizierten Zellulosemolekülen nicht auch Biosensoren herstellen lassen. Dafür muss zunächst wieder die gelöste Zellulose verändert werden, zum Beispiel indem ein bestimmtes Signalprotein oder ein Antikörper eingebaut wird. Diese Moleküle binden nur ihre jeweils passenden Gegenstücke, das aber besonders einfach und stark. „Die so modifizierte Zellulose lässt sich in dünnen gleichmäßigen Schichten auf Glas auftragen und haftet dort besonders stark“, erklärt der am Projekt beteiligte Chemiker Tim Liebert. Auf diese Weise entstünde ein dreischichtiger Biosensor: Unten ein Träger aus Glas, an dem die Zellulose haftet, welche wiederum mit den Sensormolekülen ausgestattet ist. Die so an der Zellulose befestigten Antikörper ragen dabei wie kleine Antennen nach oben, sie könnten die Anwesenheit von typischen Krankheitsmarkern nachweisen.
Unternehmen Region |
Mit der Förderinititative "Unternehmen Region" will das BMBF den Aufbau besonderer wissenschaftlicher und technologischer Kompetenzen in ostdeutschen Regionen. 2007 wurde das Programm "Innovative Regionale Wachstumskerne" um das Modul "WK Potenzial" erweitert. In diesem Modul wird auch die Jenaer Zellulosechemie gefördert. Mehr Informationen zum Modul WK Potenzial in der Initiative Unternehmen Region: hier klicken Mehr Informationen zur Thüringer Applikationsplattform für homogene Polysaccharidchemie: hier klicken |
Bis es soweit ist, gilt es aber noch einige Herausforderungen zu meistern. Zwar lässt sich im Labor bereits heutzutage Zellulose auflösen und weiterverarbeiten, doch bisher fehlen beispielsweise preiswerte, nichttoxische Medien, um den Stoff effizient zu lösen – eine Vorraussetzung dafür, das solch ein Verfahren künftig in der Industrie verwendet wird. Im Labor nutzen die Wissenschaftler bisher „organische Salzschmelzen“, ein teures und giftiges Gebräu aus Stoffen wie Lithiumchlorid und Dimethylacetamid. Sie sind nur schwer zu handhaben und lassen sich kaum wieder aufreinigen, ein Recycling ist so ausgeschlossen. „Es muss gelingen, die Zellulose künftig kostengünstig und nachhaltig in Lösung zu bringen“, erklärt Heinze. Die Chemiker glauben, einen Weg gefunden zu haben. Sogenannte ionische Flüssigkeiten sollen den Feststoff Zellulose in eine an zähflüssigen Honig erinnernde Masse verwandeln. Ionische Flüssigkeiten bestehen nur aus den geladenen Teilchen eines Salzes und enthalten kein Lösungsmittel. „Zum Aufreinigen kann einfach die Lösung in ein Vakuum gestellt und die dann verdampfende Flüssigkeit abgepumpt werden“, erklärt Liebert. „Deswegen heißen die ionischen Lösungen auch Grüne Lösungsmittel.“ Doch könnte nicht nur das Recycling einfacher werden, flüssige Zellulose bietet noch einen anderen Vorteil. „Die Qualität und Ausbeute der chemischen Reaktionen ist bei flüssiger Zellulose einfach unerreicht“, so Liebert.
Stroh als Quelle für Chemieprodukte
Die Pläne der Projektpartner sind ehrgeizig: Wenn die Anfang 2011 begonnene BMBF-in zwei Jahren ausläuft, sollen für die beiden Projekte Prototypen entwickelt worden sein. Dafür ist es notwendig, die Produktionsmenge von Flüssigzellulose zu erhöhen. „In zwei Jahren wollen wir im kleintechnischen Maßstab produzieren können“, nennt Liebert das erste wichtige Etappenziel. In acht bis neuen Jahren könnten dann, so seine Hoffnung, die ersten Produkte marktreif sein.