Glückliche Odyssee der Forschung: Vom Myxobakterium zum Krebsmedikament
21.11.2007 -
Die Geschichte der Epothilone ist eine Odyssee, die in der Mikrobiologie startet und beim Krebspatienten endet. Sie handelt von Irr- und Umwegen, Hoffnungen und Sackgassen, und reicht weit in die 80er Jahre hinein. Damals werden die Epothilone erstmals von zwei Wissenschaftlern der damaligen Gesellschaft für biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig – heute Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) – in Bodenbakterien entdeckt. Zunächst ist das Interesse gering, dann kommt ein erster Hoffnungsschimmer: Epothilone könnten als Pflanzenschutzmittel gegen Schadpilze wirken. Dieser Weg erweist sich jedoch als Trugschluss. Einige Jahre später feiern die bereits totgelaubten Epothilone ihre Auferstehung als potentes Mittel im Kampf gegen Krebs. Die Braunschweiger lizensieren ihre Technologie an den amerikanischen Pharmakonzern Bristol-Meyers-Squibb (BMS) aus. Jetzt ist die Freude groß: Im Oktober hat BMS die US-Zulassung für ein Brustkrebsmedikament erhalten, das auf dem in Braunschweig entdeckten Epothilon basiert.
Naturstoffforscher müssen ziemlich geduldig sein. Immer wieder suchen sie in tausenden von Bodenproben fieberhaft nach neuen Produzenten von Naturstoffen. Und immer wieder verbinden sie damit die Hoffnung, irgendwann auf die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu stoßen: Eine Substanz, die sich als Arzneimittel eignet oder anderweitig genutzt werden kann. In Braunschweig haben sich die Naturstoffforscher um Hans Reichenbach schon in den 70er Jahren auf Myxobakterien konzentriert: Damals waren diese mehrheitlich im Boden beheimateten Mikroorganismen noch weitestgehend unbekannt, und das machte aus Sicht der Forscher ihren Reiz aus. Nur dort, so die Hoffnung, könnten sich tatsächlich Substanzen mit völlig neuen Strukturen und Aktivitäten finden lassen.
Myxobakterien: Was die Wissenschaftler Reichenbach und Höfle ab 1975 in Braunschweig aufgebaut haben, führt nun unter anderem BMBF-BioFuture-Preisträger Rolf Müller von der Universität Saarland in enger Kooperation mit dem HZI weiter: www.myxo.uni-saarland.de |
"Reichenbach hatte damals eine Intuition, dass die Myxobakterien wertvoll sein könnten. Er hatte einen richtigen Riecher", sagt HZI-Sprecher Hannes Schlender heute. Denn inzwischen ist bekannt, dass Myxobakterien hochinteressante und komplexe chemische Verbindungen herstellen können. Solche Sekundärmetabolite, wie die Forscher sagen, sind Produkte des Stoffwechsels der Mikroorganismen. Für den Menschen könnten sie wiederum der Ausgangspunkt für neue bioaktive Substanzen sein. Die Arbeit mit Myxobakterien ist jedoch mühsam. Sie lassen sich nur schwer kultivieren und haben die Wissenschaftler in der Vergangenheit ziemlich oft vor Rätsel gestellt. Da sie ähnlich wie Schleimpilze die Fähigkeit besitzen, Fruchtkörper zu bilden, hat man sie oft nicht klar zuordnen können. Für Mikrobiologen und Naturstoffforscher wie Reichenbach haben sich die Myxobakterien schließlich als Fundgrube herausgestellt. Gemeinsam mit dem Chemiker Gerhard Höfle hat er entscheidend dazu beigetragen, die mehr als 500 unterschiedlichen Sekundärmetabolite aus Myxobakterien zu identifizieren. "Wir sind froh, dass sich Reichenbach und Höfle damals als Team gefunden haben. Nur auf diese Weise konnten sie so effizient arbeiten", betont Schlender.
Entschlüsselt: Ende Oktober konnte ein deutsches Forscherteam mit Beteiligung aus Braunschweig der Fachwelt das komplette Genom von Sorangium cellulosum vorstellen. Mehr Informationen |
1985: Die Odyssee beginnt in Afrika
Die Geschichte der Epothilone beginnt im Uferschlamm von Sambesi, dem größten afrikanischen Fluss. Wie üblich erhält Reichenbach in den 80er Jahren von Bekannten einige Bodenproben aus dem Urlaub, die in den Laboren der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) auf mögliche neue Mikroorganismen mit Produzentenqualitäten durchforstet werden. 1985 isoliert er aus der afrikanischen Bodenprobe das Myxobakterium Sorangium cellulosum, dessen komplettes Genom übrigens erst kürzlich komplett entschlüsselt wurde (mehr...).Das Bakterium wird dem stetig wachsenden Braunschweiger Myxobakterien-Archiv hinzugefügt, das heute 7.000 Stämme umfasst. Sorangien gehören zu den talentiertesten Vertretern der Myxobakterien, sie produzieren fast die Hälfte der myxobakteriellen Naturstoffe. Doch damals wird dem Bakterium zunächst keine Beachtung geschenkt.
1987: Sorangium cellulosum fällt zum ersten Mal auf
Erst zwei Jahre später stößt der GBF-Mikrobiologe Klaus Gerth bei der Suche nach Myxobakterien mit einer besonderen Antipilzwirkung auf den als "So ce 90" bezeichneten Stamm: In Sorangium cellulosum werden die Epothilone entdeckt und chemisch aufgeklärt. Reichenbach und Höfle geben der Substanz einen Namen auf der Basis der drei gefundenden Hauptbausteinen des Moleküls: Epoxyd, Thiazol und Keton. Für die Myxobakterien sind Epothilone ein wichtiges Mittel, um im Schlamm gegen Pilze anzukämpfen. Am vielversprechendsten erscheint deshalb zunächst eine Anwendung als Pflanzenschutzmittel, doch zur gleichen Zeit stahl ein anderer als Pflanzenschutzmittel entwickelter Naturstoff aus Myxobakterien - das Soraphen - den Epothilonen die Schau. Sie landen wieder in der Schublade.
1991: Industrie prüft Epothilone als Pflanzenschutzmittel
1991 findet schließlich das Pflanzen- und Chemieunternehmen Ciba Geigy (später Novartis) eine selektive Wirkung der Epothilone gegen den gefürchteten Schadpilz Phytophtora. Dieser war im 19. Jahrhundert für die Hungerkatastrophe in Irland verantwortlich. Die Forscher schöpfen Hoffnung für ihre Epothilone. 1993 erfolgt eine nationale Patentanmeldung der GBF. Doch 1994 kommt der Rückschlag: In Tests wirkt Epothilon schädigend auf Pflanzen und menschliche Zellen. Damit zieht sich die Industrie zurück. Nun wagen es die Forscher erst recht nicht, eine internationale Patentierung bei der Geschäftsführung einzufordern. „Man hätte uns für unzurechnungsfähig erklärt“, erinnert sich Reichenbach heute. 150.000 Mark hätte es damals gekostet. HZI-Sprecher Hannes Schlender betont: "Wir würden das heute auch wieder so machen. Wenn das Potential eines Naturstoffs nicht ersichtlich ist, es sogar einen Rückschlag gab, dann ist ein internationales Patent einfach nicht bezahlbar für eine öffentliche Einrichtung." Normalerweise endet hier die Geschichte von Naturstoffen, wie sie zu tausenden in der Literatur beschrieben werden: interessant ja, aber für keine industrielle Anwendung interessant genug. Auch die Braunschweiger wenden sich anderen Substanzen zu.
1995: Wiederauferstehung einer totgeglaubten Substanz
Die Wiederauferstehung erfolgt schließlich in den Forschungslaboratorien der amerikanischen Merck Sharp & Dome (MSD) in Westpoint, Pensylvenia (USA). Dort kam Mitte der 90er Jahre eine Sammlung von 7.000 pflanzlichen und mikrobiellen Rohextrakten in ein Screening, um nach Naturstoffen zu suchen, die wie Taxol wirken.
Taxol war zu jener Zeit die einzig bekannte Substanz, die die Zellteilung von Krebszellen aufhalten konnte – durch eine Stabilisierung der Mikrotubuli. Mikrotubuli sorgen im Zellzyklus als Spindelfasern für die ordnungsgemässe Trennung von Chromosomen auf jede Tochterzelle und sind ein wichtiger Bestandteil des Cytoskeletts. Normalerweise werden diese Fasern ständig auf- und abgebaut. Taxol stört den Vorgang der so genannten Depolymerisation und hemmt deshalb – wie eine Schraubzwinge – die zerstörerische Teilung von Krebszellen.
Der amerikanische Pharma-Konzern BMS hatte ein auf Taxol basierendes Medikament gerade als Brustkrebstherapie zugelassen. Die Konkurrenz bei MSD war nun auf der Suche nach einem ähnlichen Wirkstoff. Im Screening stieß man schließlich auf das aus Sorangium cellulosum isolierte Epothilon, dass offenbar ähnlich wie Taxol als Schraubzwinge wirkt und die Zellteilung hemmt. 1995 veröffentlichte das Merck-Team um Daniel Bollag seine Beobachtungen im Fachmagazin Cancer Research (1995 Jun 1;55(11):2325-33): Die Epothilone A und B wurden als noch wirksamere Substanzen gegen Zellteilung entdeckt als Taxol, weil sie auch auf Zellen wirkten, die gegen Taxol bereits resistent reagierten. Die Epothilone waren damit auf einen Schlag berühmt. In Braunschweig ist die Freude groß.
1997: Suche nach Industriepartner
Damit war die Auferstehung der Epothilone perfekt und der Wettkampf eröffnet: Nun kam es darauf an, diese Substanz überhaupt erst einmal in ausreichenden Mengen herzustellen und darüber hinaus zu entscheiden, ob sie chemisch oder im biologischen System der Myxobakterien im Fermenter hergestellt werden sollen. Die Braunschweiger nehmen fieberhaft ihre Arbeit auf und reihen sich mit der Arbeit von Dieter Schinzer, damals Forscher an der Technischen Universität Braunschweig, in die Gruppe der ersten Wissenschaftler auf der Welt ein, denen die chemische Totalsynthese der Epothilone gelang. Parallel arbeitete man jedoch auch an Verfahren zur biotechnologischen Herstellung in Fermentern. Da die Epothilone kommerziell lukrativ erschienen, wurden zudem Partner in der Pharmaindustrie gesucht. "Wir haben mit deutschen und internationalen Firmen gesprochen, doch die hiesigen Unternehmen sagten ab", erläutert Schlender die damalige Situation. Derweil suchte BMS, das mit Taxol bereits Milliarden-Umsätze einfuhr, nach einem ähnlich guten Wirkstoff. Das Auslaufen der Patente erhöhte zusätzlich den Druck. Neue Substanzen waren gefragt. Die Epothilone kamen da gerade recht. Im September 1997 vermeldet Nature Biotechnology den Lizenzvertrag zwischen GBF und BMS. Seitdem erfolgte die Entwicklung der Substanzen zur Behandlung von Brustkrebs. Der Pharmakonzern brachte schließlich ein halb-synthetisches Epothilon-Präparat in die klinische Prüfung. In Braunschweig haben die Forscher inzwischen daran gearbeitet, eine biotechnologische Herstellungsweise von Epothilonen voranzubringen - unter anderem unter dem Dach der Förderprogramme GenoMik und GenoMikPlus des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Weitere Verbesserungen erhoffen sich die Wissenschaftler nun vom komplett entschlüsselten Genom von Sorangium cellulosum. Ein biologischer Herstellungsprozess wird inzwischen auch bei Novartis verfolgt, wo ebenfalls an Epothilon-basierten Krebstherapien gearbeitet wird.
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2007: Zulassung des ersten Epothilon-basierten Krebsmedikaments
Nachdem BMS in diesem Sommer über die positiven Ergebnisse der letzten Phase III-Studie berichtete, war der Weg frei für eine Zulassung. Ende Oktober gab die amerikanische Zulassungsbehörde grünes Licht für den US-Markt. Für Braunschweig bedeutet die Zulassung, dass nun Geld zurück an die Forschungseinrichtung und die beteiligten Wissenschaftler fließt - in welcher Höhe, darüber wurde Stillschweigen vereinbart. Für Reichenbach, der 2001 pensioniert wurde und heute 71 Jahre alt ist, sowie Höfle, der 2005 seinen Abschied von der GBF nahm, späte Segnungen eines langen Wissenschaftlerlebens. "Insgesamt profitieren 26 Wissenschaftler von den Lizenzeinnahmen", sagt HZI-Sprecher Schlender. Der größte Teil fließt jedoch an das HZI, das die Odyssee der Epothilone heute als Erfolgsgeschichte feiern kann. „Epothilon beweist, dass die öffentliche biomedizinische Forschung in Deutschland Weltklasse hat“, freut sich Rudi Balling, wissenschaftlicher Direktor des HZI.
Übersicht über aktuelle Pipeline Epothilon-basierter Medikamente
Unternehmen | Indikation | Wirkstoff | Status |
Bristol-Meyers-Squibb (BMS) mehr Infos: hier klicken | Brustkrebs | BMS-247 550 (Ixabepilone), | US-Zulassung 10/2007 |
Bayer-Schering Pharma mehr Infos: hier klicken | solide Tumore (z.B. Eierstockkrebs, Brustkrebs) | ZK-EPO (Sagopilone) | Phase II |
Novartis mehr Infos: hier klicken | Eierstockkrebs | EPO-906 (Patupilone) | Phase III |
Kosan Biosciences (bis 10/2007 Roche als Entwicklungspartner) mehr Infos: hier klicken | solide Tumore | KOS-1584 | Phase I beendet |
Auch für BMS wird sich die Zulassung rechnen. Ab sofort können Brustkrebspatientinnen in den USA das Medikament entweder allein oder in Kombination mit einem anderen Chemotherapeutikum erhalten. Die Kosten für einen Behandlungszyklus sollen bei 18.000 bis 23.000 Dollar liegen. Für die zweite Jahreshälfte 2008 ist eine Zulassung in Europa geplant. Auch andere Pharmafirmen haben inzwischen Epothilon-basierte Krebsmedikamente in der klinischen Prüfung. Bayer-Schering hat ein vollsynthetisiertes Molekül (Sagopilone) als Kandidat gegen Eierstock und Brustkrebs in der Phase III. Ebenfalls in der letzten klinischen Testphase befindet sich Novartis’ Wirkstoff Patupilone gegen Eierstockkrebs. Aber Rückschläge gab es auch. So kündigte der Schweizer Konzern Roche seine Zusammenarbeit beim Epothilon-Programm mit dem amerikanischen Biotech-Unternehmen Kosan Biosciences erst im Oktober dieses Jahres auf. Nicht für alle ist die Geschichte des Epothilon, die in Sambesi und Braunschweig begann, eine Erfolgsgeschichte.