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Von Aicuris bis Wilex: Achterbahn Biotech-Branche

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Chancen und Risiken liegen in der Biotechnologie-Branche nah beieinander. Das haben die vergangenen Wochen wieder gezeigt. Quelle: Sanofi Pasteur

02.11.2012  - 

Besser als in den vergangenen Wochen lassen sich Risiken und Chancen der Biotechnologie kaum verdeutlichen. Auf der Schattenseite: Die Münchener Wilex AG scheiterte nach acht Jahren klinischer Forschung in der Phase III mit ihrem Nierenkrebsantikörper Rencarex. Nun muss das Unternehmen Millionen-Investitionen abschreiben. Auf der Sonnenseite gelang es der Wuppertaler Aicuris AG, den bislang größten Lizenzdeal eines deutschen Biotech-Unternehmens einzufädeln. Dem einstigen Bayer-Spin-off könnten mehr als 400 Millionen Euro zufließen. Dann hätte sich die Entwicklung des antiviralen Medikamentes Letermovir gelohnt.

Der amerikanische Pharmakonzern Merck&Co. setzt offenbar auf den neuen Wirkmechanismus von Letermovir beim Kampf gegen Infektionen mit dem humanen Cytomegalievirus (HCMV). Erst im Februar dieses Jahres hatte Aicuris die Phase II in Transplationspatienten abgeschlossen. 99 Prozent aller Infektionen mit HCMV verlaufen folgenlos. Für immungeschwächte Menschen stellt das Virus jedoch eine ernste Gefahr dar. „Letermovir könnte einen Paradigmenwechsel in der HCMV-Therapie einleiten“, sagte Aicuris-Chefin Helga Rübsamen-Schaeff anlässlich der Verkündung der klinischen Ergebnisse. Tatsächlich besitzt die Substanz einen neuen Wirkmechanismus. Der von der Gruppe der Chinazoline abgeleitete Wirkstoff hemmt das Enzym Terminase der HCM-Viren. Damit können sie ihr Erbgut nicht mehr vermehren. Die für Viren übliche rasante Vermehrung wird gestoppt.

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Lukrativer Lizenzvertrag

Doch Aicuris hat noch mehr zu bieten. „Dies ist der erste Lizenzvertrag aus der umfangreichen Aicuris-Pipeline“, sagte Hauptinvestor Thomas Strüngmann, der half, das Unternehmen im Jahr 2006 aus der Antiinfektiva-Sparte der Bayer AG herauszukaufen. Das hat sich gelohnt. Aicuris fließen schon mit Vertragsunterzeichnung 110 Millionen Euro zu, die das Unternehmen sofort als Barzahlung erhält. Zusätzlich wurden 332,5 Millionen Euro an Meilensteinprämien sowie eine Umsatzbeteiligung vereinbart. Gemessen an der Abschlagszahlung ist das der größte Lizenzdeal, den eine deutsche Biotech-Firma je abgeschlossen hat (mehr...). Zudem bezahlt Merck die klinische Entwicklung und überweist Aicuris einen erheblichen Anteil an den weltweiten Verkäufen, sollte das Mittel zugelassen werden. Der Weg bis dahin ist, wenn alles gut läuft, nicht mehr weit. „Ready for Phase III“ sei Letermovir, so Rübsamen-Schaeff. Aufgrund des hohen medizinischen Bedarfs könnte eine einzige Studie ausreichen, um den Wirkstoff zur Zulassung für die prophylaktische Behandlung von Knochenmarks-Transplantationspatienten zu bringen. Dahinter verbirgt sich ein großer Markt.

Große Studie mit ernüchterndem Ergebnis

Den wollte auch die Münchener Wilex AG erobern – aus eigener Kraft. Doch zeigte sich für Rencarex in einer Phase III-Studie kein Überlebensvorteil gegenüber einer Placebo-Behandlung (mehr...). Zig Millionen investierte Euro, acht Jahre klinische Forschung mit mehr als 860 Patienten – umsonst. Dementsprechend stürzte der Aktienkurs an der Frankfurter Börse nach der Veröffentlichung der Nachricht um mehr als 60 Prozent ab. Wie es mit dem Unternehmen weitergeht, ist unklar. Klar dürfte aber sein: Noch so eine Riesen-Studie für den monoklonalen Antikörper, der das Enzym Carboanhydrase CA IX erkennt, bezahlt Wilex niemand. Dabei kennt den Grund für den Fehlschlag der klinischen Studie niemand. An der Durchführung lag es nicht. Von den medizinischen Gutachtern erhielt Wilex höchstes Lob. „Das ist möglicherweise die umfassendste adjuvante Studie, die in den letzten 20 Jahren durchgeführt wurde“, sagte Seppo Pyrhönen, Vorsitzender des unabhängigen Bewertungskomitees von Wilex‘ Ariser-Studie. Und tatsächlich: Die Patientenzahl in Verum- und Placebo-Gruppe ist fast identisch, genauso wie die Verteilung der Krankheitsstadien in den beiden Gruppen. Auch das Nebenwirkungsprofil erscheint vorteilhaft.

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Patienten mit wenigen Rückfällen

Letztlich wurde Wilex von der konstanten Gesundheit der aufgenommenen Nierenkrebspatienten überrascht. Ihnen wurde das befallene Organ entnommen. Mit der nicht befallenen, verbliebenen Niere gelten die Patienten als klinisch gesund – allerdings rückfallgefährdet.  Durch eine 24-wöchige Behandlung mit Rencarex sollte die Zahl der sogenannten Rezidive zusätzlich verringert werden. Nach einer bestimmten Anzahl von Rückfällen wurden Zwischenanalysen vereinbart. Zuletzt im Dezember 2007. Damals stellte das Gutachterkomitee sogar „eine hohe Wahrscheinlichkeit“ fest, dass die Studie ein positives Resultat erbringen würde. Dass das jetzt nicht der Fall ist, überrascht sogar Experten. Denn die Probanden lebten im Durchschnitt 72 Monate ohne Wiedererkrankung. „Als wir die Studie begonnen haben, sind wir von einem Literaturwert von etwa 18 Monaten krankheitsfreien Überlebens ausgegangen,“ sagt Paul Bevan, Entwicklungsvorstand von Wilex. Entsprechend verzögerte sich die finale Analyse um vier Jahre. Tatsächlich ist die Ariser-Studie die erste multinationale prospektive Untersuchung für die adjuvante Behandlung von Nierenkrebs – also unbekanntes Gebiet. Die Literaturdaten waren entgegen den Erwartungen nicht so einfach übertragbar. Das weiß man jetzt. „Für Wilex sind die Ergebnisse kein Gewinn, für die Fachwelt schon“, sagt Bevan. Dabei hatte der langsame Verlauf dem Management eigentlich Hoffnung gemacht. Denn was kann es bedeuten, wenn die festgestellte Rückfallrate unerwartet niedrig ausfällt und die Literatur kürzeres krankheitsfreies Überleben prophezeit? Klar: Rencarex hält die Probanden gesund. Und so verbreitete Wilhelm auch immer wieder Hoffnung. Mit derart stabilen Placebo-Patienten hatte er allerdings nicht gerechnet. Dennoch hat das Management Vorsichtsmaßnahmen getroffen und mit einer Kapitalerhöhung unter kräftiger Mithilfe von Hauptaktionär Dietmar Hopp und der Zahlung des US-Partners Prometheus Inc., der die US-Rechte an Rencarex besitzt, Vorsorge getroffen. „Wir sind bis ins Jahr 2014 finanziert“, stellt Wilhelm fest.

Fokus verschiebt sich

Das Augenmerk des Unternehmens liegt nun auf den anderen Produkten in der Pipeline. Eine Phase III-Studie hat das Diagnostikum Redectane erfolgreich abgeschlossen, das auf einer radioaktiv markierten Version von Rencarex beruht und zum Erkennen von Nierenkrebs-Tumoren eingesetzt werden soll. Vor der Zulassung in den USA muss Wilex jedoch noch eine Studie zur „Diagnostic Performance“ durchführen. Der nächste Hoffnungsträger ist Mesupron, eine Serin-Protease gegen den Urokinase-Plasminogen-Aktivator, die in Phase II zur Therapie von Brust- und Pankreaskrebs getestet wird. Viel hängt nun auch von der Reaktion von Wilex-Finanzier Hopp ab. In einem Bericht des Spiegel äußerte sich der SAP-Gründer zu seinen Biotech-Investitionen entspannt: „Ich gehe davon aus, dass nur 10 bis 15 Prozent meiner Portfolio-Unternehmen das Ziel erreichen. Die müssen das Geld einspielen.“ Mit Agennix, Sygnis, Curacyte und nun Wilex hat der Milliardär in diesem Jahr einige große und vor allem teure Wetten schon verloren.

© biotechnologie.de/pd

 

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