Der Nacktmull als rüstiger Rentner
11.01.2012 -
Nacktmulle sind rüstige Rentner: Sie werden verhältnismäßig alt, ohne an den beim Menschen üblichen Alterskrankheiten zu leiden. Ein Kooperationsprojekt des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) Jena sowie des Leibniz-Instituts für Wildtierforschung (IZW) Berlin will die Mechanismen dieses gesunden Alterns entschlüsseln. Das gerade angelaufene Projekt wird als „unkonventioneller Forschungsansatz“ im Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation vom Bundesforschungsministerium über drei Jahre mit 1,5 Millionen Euro gefördert.
Zugegeben, Nacktmulle sehen schon neugeboren aus, als wären sie uralt: Faltig, spärlich behaart, schlechte Sehkraft, hervorstehende Zähne und ein recht beschränkter Aktionsradius machen sie nicht gerade zum Sinnbild für Vitalität und Attraktivität. Matthias Platzer vom Fritz-Lipmann-Institut in Jena, Koordinator des Projekts, bemüht sich um Neutralität. Als „außergewöhnliches afrikanisches Nagetier“ bezeichnet er sein Studienobjekt. Bisher machten die Nacktmulle vor allem Schlagzeilen durch ein vermindertes Schmerzempfinden (mehr...). Platzer interessiert sich für sie, weil die mausgroßen Tunnelgräber „nicht nur über eine extrem lange Lebensspanne, sondern auch eine extrem lange Gesundheitsspanne verfügen“, wie er sagt. Ein biologisches Mysterium.
Kinder halten jung
Die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren um 2,5 bis 3,5 Monate pro Jahr erhöht. Frauen werden so im Durchschnitt 82,4 Jahre alt, Männer haben eine Lebenserwartung von 77,2 Jahren.
Alternsforschung in Deutschland |
Menschen: Alexander Bürkle: Vom Krebsspezialisten zum Alternsforscher Wochenrückblick: Neues Zentrum für Alternsforschung in Jena |
Mit dem Alter wächst allerdings auch die Zahl der sogenannten altersassoziierten Krankheiten: Demenz, Diabetes, Arteriosklerose, Osteoporose und Krebs sind nur einige Erscheinungen, die mit der zunehmenden Abnahme der Körperfunktionen einhergehen. Gute Gesundheit im hohen Alter ist ein Glücksfall und lässt sich nur schwer planen. Diese Probleme haben die Nacktmulle nicht. Sie werden immerhin 30 Jahre alt – ein für Nagetiere dieser Größe sehr respektables Alter. Was die Forscher jedoch noch mehr erstaunt ist, dass die Nacktmulle dieses hohe Alter ausgesprochen gesund erreichen.
Lesen Sie mehr auf biotechnologie.de |
Wissenschaft: Ewig jung durch Biotech Wissenschaft: Nacktmullen kann Säure nichts anhaben Wissenschaft: Länger leben mit FOXO3A |
Sie leiden nicht an altersbedingten Krankheiten , bisher wurde kein einziger Fall von Krebs nachgewiesen. Ebenfalls gegen alle Gesetze des Alterns: Am längsten lebt die Königin. Ähnlich wie Ameisen und Bienen sind Nacktmulle in einer Art Staat organisiert, eine weibliche Arbeiterin wird ungefähr 13 Jahre alt. Die Königin hingegen ist das einzige weibliche Tier einer Kolonie, das sich fortpflanzen darf - und hat mehr als die doppelte Lebenserwartung. „Das steht im völligen Widerspruch zu einer verbreiteten Theorie des Alterns, nach der ein Organismus seine Energie entweder in die Fortpflanzung oder in die Erhaltung der Körperfunktionen investiert“, sagt Thomas Hildebrandt vom IZW. In Zoos haben Nacktmull-Königinnen bis zu 45 Mal geworfen und dabei mehr als 900 Nachkommen hervor gebracht. Die extreme körperliche Belastung durch die vielen Schwangerschaften müsste eigentlich die Lebenserwartung der Nacktmull-Königin gegenüber ihren Artgenossen verkürzen. Tun sie aber nicht.
Geheimnis Transkription
Die Forscher der beiden Leibniz-Institute vermuten, dass das Geheimnis in der Aktivität bestimmter
Gene liegt. Mit Hilfe schneller Hochdurchsatz-Sequenzierverfahren wollen die Wissenschaftler in verschiedenen Geweben messen, wie stark die einzelnen Gene jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt abgelesen werden. Damit sollen molekulare Netzwerke identifiziert werden, die der ungewohnt gesunden Langlebigkeit der Nacktmulle zugrunde liegen.
Für die Untersuchungen verwenden die Forscher Proben aus der Nacktmull-Zucht am Berliner IZW, können aber auch auf Wildtiere aus internationalen Kooperationen zurückgreifen. Das Team um Matthias Platzer geht davon aus, dass sich im Projektverlauf auch synergistische Effekte zum Jenaer Zentrum für Systembiologie des Alterns (JenAge) entwickeln. An dem vom FLI koordinierten Zentrum forschen seit 2009 zehn Arbeitsgruppen an den Auswirkungen, die leichter Stress auf das Altern ausübt (mehr...). Die Forscher hoffen auf neue Erkenntnisse, die vielleicht sogar auf den Menschen übertragbar sind – damit wir einmal so fröhlich ins Alter gleiten wie eine Nacktmull-Königin.
© biotechnologie.de/ck