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Berlin: Impulse für die Medizintechnik der Zukunft gefragt

Wie lassen sich die Rahmenbedingungen für Innovationen in der Medizintechnik verbessern? Experten aus Wissenschaft, Industrie und Politik trafen sich zum Austausch bei der Zukunftskonferenz Medizintechnik. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Wie lassen sich die Rahmenbedingungen für Innovationen in der Medizintechnik verbessern? Experten aus Wissenschaft, Industrie und Politik trafen sich zum Austausch bei der Zukunftskonferenz Medizintechnik. Quelle: TSB Berlin

06.07.2011  - 

Dynamisch und innovationsstark: So lässt sich die Medizintechnik in Deutschland charakterisieren. 2010 setzte die vor allem durch mittelständische Unternehmen geprägte Branche 20 Milliarden Euro um. Fast jedes dritte Produkt ist jünger als drei Jahre. Doch die Firmen kämpfen auch mit vielen Regularien und einem langwierigen Prozedere, bis ihre Produkte von den Krankenkassen erstattet werden. Bei der „Zukunftskonferenz Medizintechnik“ Ende Juni in Berlin diskutierten Akteure aus Forschung, Wirtschaft und Politik darüber, wie Innovationen künftig schneller zum Patienten gelangen können. Der Treff markierte auch den Start eines Strategieprozesses, in dem drei Bundesministerien gemeinsam eine besser aufeinander abgestimmte Innovationspolitik für die Medtech-Industrie entwickeln wollen.

Lebensrettende Operationen, maßgeschneiderte Diagnostik und schonende Behandlungsmethoden: Überall hier kommt innovative Medizintechnik zum Einsatz. Ein Wirtschaftszweig, mit dem Deutschland weltweit eine Spitzenposition einnimmt. Nach Angaben des Branchenverbandes BVMed liegt der Umsatz der vor allem durch mittelständische Hersteller geprägten Unternehmen im Jahr 2010 bei rund 20 Milliarden Euro. Dass die Medizintechnikindustrie ein Innovationsmotor ist, zeigt sich schon daran, dass rund neun Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung gesteckt werden.

BMBF-Staatssekretär Helge Braun kündigte in Berlin den Start eines neuen Förderprogramms für forschende Medizintechnikfirmen an.Lightbox-Link
BMBF-Staatssekretär Helge Braun kündigte in Berlin den Start eines neuen Förderprogramms für forschende Medizintechnikfirmen an.Quelle: TSB Berlin

Gleichzeitig können sich Medizintechnologen auf eine breite Wissensbasis stützen, an mehr als 40 Hochschulen und 30 Universitätskliniken wird geforscht. Doch bis Medizinprodukte es tatsächlich in den klinischen Alltag schaffen, gilt es eine Reihe an Defizite abzubauen.

Strategieprozess: Dreiklang aus drei Bundesministerien

Wie sich der Innovationstransfer beschleunigen und die medizinische Versorgung der Bevölkerung nachhaltig verbessern lässt, darüber tauschten sich am 20. und 21. Juni mehr als 350 Experten aus Wissenschaft, Industrie und Politik auf der „Zukunftskonferenz Medizintechnik“ in Berlin aus. Veranstalter des Kongresses waren unter anderem das Bundesforschungsministerium (BMBF), das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Bundesgesundheitsministerium (BGM). Die drei Ministerien wollen künftig ihre Bemühungen zusammenführen, um Handlungsempfehlungen für eine ressortübergreifende Innovationspolitik zu entwickeln. So markierte die diesjährige Zukunftskonferenz den Startschuss für den Strategieprozess „Innovationen in der Medizintechnik“. Für Ernst Burgbacher, Parlamentarischer Staatsekretär beim BMWi, ist damit ein wichtiger Schritt getan: „Mit der Konferenz und dem darauf aufbauenden Strategieprozess ist es gelungen, die Kräfte im Sinne einer zielführenden Politik zu bündeln. Der Dreiklang aus BMWi, BMG und BMBF ermöglicht es erstmalig, die Herausforderungen der Medizintechnikbranche von Seiten der Gesundheitswirtschaft, -forschung und -politik anzunehmen.“

Zukunftskonferenz Medizintechnik

Im Internet gibt es ausführliche Informationen zur Zukunftskonferenz Medizintechnik.

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Top-Themen der medizintechnischen Forschung

Viele Experten äußerten in Berlin ihre Gedanken darüber, wohin die Reise in der Medizintechnik wohl gehen wird. Marc Kraft, Leiter Fachgebiet Medizintechnik der TU Berlin, sagte in seinem Plenumsvortrag, die treibenden Kräfte für medizintechnische Entwicklungen seien wie in den vergangenen Jahren Computerisierung, Miniaturisierung und Molekularisierung. „Diese werden die nahe Zukunft der Medizintechnik maßgeblich beeinflussen“, so Kraft. Es gehe darum, neueste Technologien möglichst effektiv einzusetzen, den Aufwand zu verringern und gleichzeitig den Nutzen für den Patienten zu erhöhen. Allerdings dürfe nicht der ökonomische Nutzen über den medizinischen Nutzen gestellt werden.

Die Zukunftskonferenz Medizintechnik tagte im Maritim Hotel in Berlin. 350 Experten waren gekommen.Lightbox-Link
Die Zukunftskonferenz Medizintechnik tagte im Maritim Hotel in Berlin. 350 Experten waren gekommen.Quelle: TSB Berlin

„Selbst wenn eine medizintechnische Innovation „nur“ einen medizinischen und keinen finanziellen Vorteil hat, ist sie für betroffene Patienten von höchstem Nutzen, denn Medizintechnik hilft, Leben zu retten“, so Kraft. Olaf Dössel vom Institut für biomedizinische Technik stellte eine Auswahl an Top-Themen vor, die die Medizintechniker derzeit und künftig beschäftigen werden. Dazu zählen bildgebende Verfahren, die es erlauben, Organ- und Gewebefunktionen in bisher unerreichter Präzision zu erfassen und zu messen. Mikro-Robotik-Systeme, die durch den Körper navigieren, werden Operationen schonender machen und besser auf den Patienten zugeschnitten sein. Biomarker sollen als Anzeiger für Krankheiten zuverlässiger und aussagekräftiger werden. Sogenannte aktive Implantate schaffen eine Verbindung von Technik und Nerven oder Muskeln. Andere Medizintechnologen tüfteln an Zell- und Gewebezüchtungsverfahren für die Regenerative Medizin. Zu den großen Themen gehört Dössel zufolge auch die Informations- und Kommunikationstechnik.

BMBF-Staatssekretär Helge Braun wiederum betonte, gerade die kleinen und mittleren Unternehmen müssten einen besseren Zugang zur Forschungsförderung erhalten. Braun stellte in diesem Kontext die neue Fördermaßnahme „KMU innovativ-Medizintechnik“ vor, in die das BMBF fortan zehn Millionen Euro jährlich stecken will, um die Forschungsaktivitäten kleinerer Unternehmen zu unterstützen.

Kostenerstattung treibt die Branche um

Um ihren Ideenreichtum macht sich die Branche allerdings keine so großen Sorgen. Vielmehr treibt die Hersteller um, wie es ihre innovativen Produkte rascher in den Leistungskatalog der Krankenkassen schaffen. Ein Beispiel dafür lieferte Matthias Borst vom Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH). Ein Nachweistest für Humane Papillomviren (HPV)- Erreger, die Gebärmutterhals auslösen können- sei bereits seit mehr als acht Jahren auf dem Markt und werde immer noch nicht von den Krankenkassen übernommen. „Wir fordern überschaubare Zeiträume und mehr Transparenz bei den Entscheidungen über die Kostenerstattung“, so Borst. Der VDGH-Vorstandsvorsitzende forderte in Berlin, die Industrie stärker als bisher in die Erstattungsentscheidungen einzubinden. „Es reicht nicht, dass wir uns auf Zukunftskonferenzen treffen, wir müssen uns mit den Kostenträgern und -erstattern an einen Tisch setzen und über die Methoden diskutieren“, sagte Borst.

Staatsekretär Thomas Ilka vom Bundesgesundheitsministerium wiederum betonte, man arbeite daran, die erforderlichen Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. So sei in einem geplanten Versorgungsstrukturgesetz eine Erprobungsregelung für innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vorgesehen. In einem kürzlich vorgelegten Referentenentwurf für das Gesetz soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) künftig die Möglichkeit erhalten, vielversprechende innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der Versorgungspraxis zu erproben. „Damit erhält der Gemeinsame Bundesausschuss ein neues Instrument für die Bewertung von Methoden, deren Nutzen nicht oder noch nicht ausreichend belegt ist“, so Ilka. Matthias Perleth vom Gemeinsamen Bundesausschuss machte in einem Workshop-Vortrag klar, die Nutzenbewertung von neuen Produkten müsse sich künftig stärker am Bedarf ausrichten. „Dazu ist es nötig, Leitlinien für die Industrie zu erstellen, aus denen hervorgeht, wann eine klinische Studie nötig ist und wann nicht“, so Perleth.

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Andererseits müssten auch die Hersteller lernen, bei der Nutzenbewertung umzudenken. In einigen Fällen seien auch für Medizintechnikprodukte klinische Studien ähnlich denen in der Pharmaindustrie angezeigt (kontrolliert, randomisiert). „Solche Phase III-Studien sind machbar und die Firmen sollten sie als Verkaufsargument in die Wertschöpfung integrieren“, so Perleth. Meinrad Lugan vom Branchenverband BVMed forderte indes, auch bei noch unzureichenden Erfahrungswerten für Produkte diese nicht von der Kostenerstattung auszunehmen. „Wichtig ist es, den Nutzen für den Patienten, für die Anwender und für den Prozess zu bewerten“. Lugan plädierte für ein Konzept, das er „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“ nennt.

Geschäftsmodelle mit Zukunft

Zwar dominierten Themen wie die Kostenerstattung viele Diskussionsrunden, in anderen Workshops ging es jedoch auch um vielversprechende Geschäftsmodelle für innovative Medizintechnik. Frank Apostel vom größten deutschen Biotech-Unternehmen Qiagen erläuterte beispielsweise die Ambitionen des Diagnostikspezialisten in der Personalisierten Medizin. Qiagen kooperiert mit zahlreichen Biopharma-Firmen und stellt die notwendigen Begleittests für die entwickelten Medikamente her (Companion diagnostics). Neben der Infektionsdiagnostik habe Qiagen – zum Beispiel über eine Kooperation mit dem Biotech-Riesen Amgen- Zugang zum attraktiven Krebsmedizinmarkt. Michael Brandkamp, Geschäftsführer des High-Tech-Gründerfonds, sprach in einem Podiumsgespräch über Finanzierungmodelle für junge Medizintechnikfirmen. Der High-Tech-Gründerfonds unterstützt etwa 70 Life Sciences-Unternehmen, darunter rund 30 Medizintechnikfirmen, in der Frühphase ihrer Unternehmensgründung mit einer Seed-Finanzierung. „In Deutschland gibt es ein sehr gutes Ökosystem für Hightech-Gründungen, es gibt auch immer mehr Wiederholungstäter, sogenannte serial entrepreneurs“, so Brandkamp. Auch Wagniskapitalgeber würden zunehmend von der Medizintechnik angelockt, auch wenn die Töpfe der Investoren sich geleert hätten. Malte Bahner, Geschäftsführer der mivenion GmbH in Berlin, machte sich für mehr Firmen-Kooperationen zur Validierung neuer Technologien stark. „Innovationen müssen stärker als Kostendämpfer betrachtet werden“, sagte er.

Der Strategieprozess Medizintechnik „Innovationen in der Medizintechnik“, mit den drei Bundesministerien und den beteiligten Industrieverbänden an Bord, soll nun weiter an Fahrt aufnehmen. Eine Zukunftskonferenz ist wieder im Jahr 2013 geplant.

 

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