Intelligenter Gencheck ermittelt Darmkrebs-Typ
04.01.2011 -
Darmkrebs ist eine tückische Erkrankung, die jedes Jahr bei mehr als einer Million Menschen diagnostiziert wird. Auch wenn Dickdarmkrebs damit das dritthäufigste Krebsleiden darstellt, trägt jeder Krankheitsverlauf recht individuelle Züge. Die Gründe sind ebenso vielfältig wie die Veränderungen, die in den Zellen bei der Entartung ablaufen. Eine frühe Diagnose und eine exakte Bestimmung des jeweiligen Krebstyps sind daher entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung. Das Erbgut von Krebszellen liefert hier wichtige Informationen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin haben nun eine neue Methode entwickelt, um diese Informationen so schnell und präzise auszuwerten wie nie: Dazu haben sie eine gezielte Sequenzierung von Erbgutabschnitten mit bioinformatischen Ansätzen kombiniert. Wie sie im Fachjournal PLoSONE(22. Dezember 2010, Online-Veröffentlichung) berichten, können sie so in nur einem Schritt charakteristische Mutationsmuster identifizieren.
Wenn Humangenetiker verdächtig wuchernde Zellen aus dem Dickdarm auf ihre genetischen Eigenschaften untersuchen, prüfen sie zunächst die sogenannten Mikrosatelliten. Das sind kurze Abschnitte im Erbgut, die sich häufig wiederholen. Die Mikrosatelliten werden instabil, sobald das DNA-Reparatursystem in der Zelle nicht mehr richtig funktioniert. Es kommt zum Einbau falscher Bausteine in die neu replizierte DNA. Wenn sich derartige Mutationen anhäufen, kann das irgendwann zu Krebs führen.
Private Mutationen erforscht
Viele dieser Mutationen sind von Patient zu Patient verschieden. Die Fachleute sprechen in diesen Fällen deshalb auch von "privaten" Mutationen. Wenn sie vorhanden sind, kann man davon ausgehen, dass wiederum die Reparaturmechanismen, die normalerweise anspringen, in diesem Fall defekt zu sein scheinen. In einem zweiten Schritt sehen sich die Wissenschaftler dann die Gene für die Reparaturproteine an und suchen nach möglichen Schäden. "Diese schrittweise Diagnose ist langwierig und teuer und konnte bisher nur begrenzt eingesetzt werden", sagt Michal-Ruth Schweiger vom MPI für molekulare Genetik. Ihrem Team ist es gelungen, die Diagnosewerkzeuge der Darmkrebsforschung auf die neuen Sequenziertechnologien zu übertragen und mehrere Schritte der Diagnose zusammenzuführen.
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Kombination aus Sequenzieren und intelligenter Rechenkraft
Der Trick der Berliner Forscher: Sie entziffern nur die Abschnitte des Tumorgenoms, die die Bauanleitung für Proteine darstellen (das Exom). So kann in einem Schritt bestimmt werden, ob die Mikrosatelliten instabil sind und welche Mutationen die Krankheit begünstigen. Die Wissenschaftler verwenden dazu Hightech-Sequenziermethoden (Next Generation Sequencing). Die Mutationen des Tumors werden mit speziellen Computerprogrammen auf ihre Relevanz abgeklopft - die Software nutzt und kombiniert das enorme Wissen über Gene und deren Funktion, das sich in öffentlich zugänglichen Datenbanken befindet. Verwendet wurde eine Kombination zweier Klassifikationsalgorithmen namens Polyphen und MutationTaster (mehr...). Wenn beide Computerprogramme eine Mutation als "gefährlich" einstufen, wird diese in eine Kandidatenliste aufgenommen. Dann kommt der Mensch ins Spiel. Onkologen untersuchen die ausgewählten Kandidaten weiter.
Hunderte genetische Veränderungen aufgespürt
In der aktuellen Studie untersuchten die Berliner Wissenschaftler das Tumorgewebe von Darmkrebspatienten mit unterschiedlichem Mikrosatelliten-Status. Insgesamt sequenzierten sie sechs Genome von Krebstumoren. Dabei konnten zunächst rund 50.000 kleine Baustein-Veränderungen für jede Probe identifiziert werden. Eine stringente bioinformatische Analyse ermöglichte es, die funktionell bedeutsamen Mutationen herauszufiltern: 358 Mutationen bei Tumoren mit instabilen Mikrosatelliten und 45 bei solchen mit stabilen Mikrosatelliten. Es zeigte sich also deutlich, dass Mikrosatelliten-instabile Tumoren etwa achtmal mehr funktionell relevante Mutationen aufweisen als Tumoren mit stabilen Mikrosatelliten.
Gleichzeitig konnten die Wissenschaftler mehrere Mutationen in schon bekannten tumor-relevanten Genen bestimmen, den Genen BRAF und KRAS, inklusive der beschädigten Reparaturgene, sowie TP53, einem Gen, das auch als "Wächter des Genoms" bezeichnet wird, da es im Normalfall ein Tumorwachstum verhindern kann. Neben den bekannten Mutationen wurden bei zwei Patienten zudem Veränderungen im Gen namens BMPR1A nachgewiesen. Von diesem Gen weiß man bereits, dass es bei dem sogenannten Juvenilen Polyposis-Syndrom eine Rolle spielt, eine Erkrankung im Jugendalter, die mit starker Polypenbildung im Darm einhergeht und somit eine Vorstufe von Darmkrebs sein kann.
Wichtiger Schritt in Richtung Personalisierte Medizin
Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass mit ihrer neuen Analysestrategie nicht nur Zeit in der Krebstherapie gewonnen, sondern auch ein wichtiger Schritt in Richtung personalisierter Medizin unternommen wird. Ihre Analysen gaben unter anderem Hinweise auf Gene, die auf bestimmte Medikamente ansprechen. "Dadurch, dass wir neben der erhöhten Mutationsrate die molekularen Ursachen ermitteln, legen wir auch die Basis für individuell zugeschnittene Therapien", ist Schweiger überzeugt. "Für eine individuelle Darmkrebstherapie könnte unsere Kombination aus Gensequenzierung und bioinformatischer Analyse in Zukunft zum Goldstandard werden."