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Verkehrt präsentiert: Eiweiße verwirren Immunsystem

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Der körpereigene Eiweißschnipsel CLIP (hier als gelb-grüner Zylinder) kann in zwei Richtungen auf dem molekularen Präsentierteller des MHCII-Komplexes dargeboten werden. Quelle: FMP

25.11.2010  - 

Verkehrte Vorstellung: Die Präsentation von umgedrehten Proteinschnipseln auf der Oberfläche von Fresszellen der Körperabwehr könnten eine mögliche Ursache für die Entstehung von Autoimmunkrankheiten sein. Das haben Berliner Forscher vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) herausgefunden. Mithilfe von Strukturanalysen entdeckten die Biochemiker, dass ein körpereigenes Peptid in zwei Orientierungen in molekularen Präsentiertellern, den sogenannten MHC II-Komplexen, dargeboten wird. Wie die Forscher im Fachjournal PNAS (November 2010, Online-Vorabveröffentlichung) berichten, könnte dies in manchen Fällen vom Immunsystem irrtümlich als Angriffsignal verstanden werden.

 

Immer noch rätseln Biomediziner, wie Autoimmunerkrankungen entstehen und welche Schritte auf molekularer Ebene bewirken, dass die Körperabwehr irrtümlich eigene Gewebe attackiert. Bei der Analyse der komplexen Zusammenhänge im Immunsystem sind Berliner Forscher nun auf einen möglicherweise entscheidenden Mechanismus gestoßen.  Die Wissenschaftler haben entdeckt, dass die Entstehung von Autoimmunerkrankungen offenbar davon abhängt, in welcher Orientierung Protein-Bruchstücke bestimmten Zellen des Immunsystems präsentiert werden.

MHC–Komplex als molekularer Präsentierteller

Wenn Erreger in den Körper eindringen, werden sie von Fresszellen des Immunsystems aufgenommen und in kurze Peptidschnipsel, die man Antigene nennt, zerlegt. Die Fresszellen enthalten zudem Proteine des Major Histocompatibility Complex Klasse II (MHCII). Die MHCII-Moleküle binden die Peptidschnipsel und schieben sie wie eine molekulare Gabel an die Zelloberfläche. Dort präsentieren sie die Antigene anderen Immunzellen, den sogenannten T-Helferzellen. Die T-Helferzellen schließlich docken an den MHCII-Komplex samt Antigen an, lernen somit das molekulare Profil des Eindringlings kennen und lösen dann eine umfassende Immunantwort aus, wodurch die Erreger im Körper schließlich vernichtet werden. Hat der MHCII-Komplex nichts zu tun, wird seine Bindungsstelle durch ein eigens dafür zuständiges körpereigenes Peptid namens CLIP geschützt. Dieses passt exakt in die Bindungstasche des MHCII-Komplexes. Aber auch andere körpereigene Peptide werden von den MHCII-Komplexen auf der Zelloberfläche präsentiert. Die T-Helferzellen haben im Laufe ihrer Reifung gelernt, die körpereigenen Peptide zu tolerieren und nicht anzugreifen. Wird diese Toleranz gebrochen, kann es zu Autoimmunerkrankungen kommen. Der Präsentation von Peptiden auf der Zelloberfläche kommt also eine Schlüsselfunktion bei Reaktionen des Immunsystems zu.

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Strukturanalysen verraten Orientierung

Das FMP-Team um Christian Freund hat in diesem Zusammenhang eine überraschende Entdeckung gemacht: Offenbar können die CLIP-Peptide in zwei verschiedenen Ausrichtungen in der Bindungstasche des MHC-Komplexes liegen. „Auf Grund der Molekülstruktur des MHC-Komplexes und der CLIPs ist man bislang davon ausgegangen, dass es nur eine bestimmte Ausrichtung von CLIP und allen anderen Antigenen im Komplex geben kann. Niemand hat aber je nachgeschaut, ob das wirklich so sein muss“, sagt Christian Freund. Untersuchungen mit Röntgenstrukturanalyse und NMR-Spektroskopie haben nun gezeigt, dass das längliche CLIP-Molekül auch invertiert, also um 180 Grad gedreht,  im MHC-Komplex eingebettet sein kann, so als würde man im Bett mit den Füßen auf dem Kopfkissen liegen.

Mittels NMR konnten die Forscher das Umdrehen des CLIP-Peptids direkt beobachten. Andere Untersuchungen zeigten, dass das verkehrt herum liegende CLIP alle Eigenschaften eines funktionstüchtigen MHC-II-Peptidkomplexes hat und so theoretisch auch von T-Helferzellen erkannt werden kann.
Phänomen der zwei Ausrichtungen

Die Forscher haben Hinweise darauf, dass dieses Phänomen der zwei Ausrichtungen auch für andere körpereigene Peptide zutrifft. Und hier liegt auch die Brisanz ihrer Entdeckung. Für Christian Freund ist dies ein möglicher Schlüssel zur Erklärung von fehlgeleiteten Immunprozessen: „Wenn T-Helferzellen aus irgendeinem Grund gelernt haben, nur die eine Ausrichtung im Komplex zu erkennen, kann es sein, dass sie die andere Ausrichtung als fremd einstufen und somit eine Immunreaktion auslösen“, so der Forscher. Gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern wollen die Forscher nun herausfinden, ob und wo im Organismus solche ungewöhnlichen MHCII-Komplexe auftreten und inwieweit sie eine Rolle bei organspezifischen Autoimmunerkrankungen wie etwa Typ I Diabetes mellitus oder der Multiplen Sklerose spielen.

 

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