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Lübeck: Zelltechnologen haben industrielle Anwendungen im Blick

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Der erste Kongress zur industriellen Zelltechnik lockte mehr als 100 Biomediziner und Ingenieure in die Kongresshalle Lübeck. Quelle: biotechnologie.de

14.09.2010  - 

Zellen im großen Maßstab züchten, und zwar möglichst zuverlässig, unbeschadet und kostengünstig. So wünschen es sich Forscher und industrielle Anwender aus den Zellkultur-Laboren. Von methodischen Fortschritten der dreidimensionalen Zellkulturtechnik sollen etwa die Analytik, die Regenerative Medizin oder die Kosmetikindustrie profitieren. Über die neuesten Entwicklungen und Perspektiven ihrer Zunft tauschten sich am 10. September Biomediziner, Informatiker und Verfahrenstechniker beim Kongress „Industrielle Zelltechnik“ in Lübeck aus. Die Veranstaltung mit knapp 120 Teilnehmern bildete die Auftaktveranstaltung für den Aufbau eines strategischen Netzwerks, in dem Akteure der Zell- und Gewebetechnologie in Norddeutschland fortan noch stärker kooperieren wollen. Diese Initiative wird vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium des Landes Schleswig-Holstein unterstützt.

Organisiert wurde die Konferenz von der Norddeutschen Life Science Agentur Norgenta und der IHK Lübeck. 120 Akteure aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen, nicht nur aus Norddeutschland, hatte die Tagung in die Kongresshalle nach Lübeck gelockt. Parallel zum Vortragsprogramm präsentierten 19 Aussteller aus der Industrie ihre Produkte. Als so etwas wie die Keimzelle der „industriellen Zelltechnik“ im Norden Deutschlands sieht sich die Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie (EMB) in Lübeck. Hervorgegangen aus einer Projektgruppe in der Hansestadt, ist sie seit 2008 eine eigenständige Einrichtung. Neben der Untersuchung von marinen Ressourcen für biotechnologische Anwendungen steht im EMB die Zellmedizin im Vordergrund der Forschungsaktivitäten. Ab 2013 soll nun am Standort Lübeck sogar ein eigenes Fraunhofer-Institut daraus entstehen. Aufgrund dieser Expertise hatte EMB-Leiter Charli Kruse (zu seinem Forscherporträt: hier klicken) die wissenschaftliche Leitung für den ersten Kongress zur „Industriellen Zelltechnik“ übernommen.

Ein Wissenschaftler der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie im Gespräch mit einem Kongressbesucher.Lightbox-Link
Ein Wissenschaftler der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie im Gespräch mit einem Kongressbesucher.Quelle: Norgenta

Jährlicher Kongress und ein strategisches Netzwerk zur Zelltechnik

„In Hamburg und Schleswig-Holstein verfügen wir bei der Zellbiologie, den Stammzelltechnologien und der Labortechnik über eine hohe Expertise, die wir weiter bündeln und ausbauen wollen“, sagte Hans Kuhn, der bei Norgenta die Projekte in den Lebenswissenschaften koordiniert. Bei einem Kongress zum Thema soll es deshalb auch nicht bleiben. So werde derzeit ein „Netzwerk Industrielle Zelltechnik“ aufgebaut. „Wir erwarten, dass 20 bis 30 aktive Partner aus Norddeutschland  an diesem Themencluster teilnehmen werden“, so Kuhn. Das Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium des Landes Schleswig-Holstein fördert das Unterfangen bis 2013 mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). 

An den Anfang des Kongresses in Lübeck hatten die Veranstalter einen bioethischen Vortrag gestellt. Darin erörterte der Lübecker Medizinhistoriker Christoph Rehmann-Sutter, warum die von Craig Venter kürzlich im Fachjournal Science vorgestellten „synthetischen Zellen“ keineswegs künstlich sind (mehr...).  Zwar markiere die technische Leistung der US-Forscher einen Meilenstein, aber die Zellen seien zu stark an dem natürlichen Vorbild orientiert. Nur wenn man sich davon viel stärker löse, sei der Begriff künstliches Leben erst gerechtfertigt.

Parallel zu den Vorträgen präsentierten Aussteller aus der Industrie neue Verfahren, mit denen sich Zellen im Labor züchten lassen.Lightbox-Link
Parallel zu den Vorträgen präsentierten Aussteller aus der Industrie neue Verfahren, mit denen sich Zellen im Labor züchten lassen.Quelle: Norgenta

Zellen in Echtzeit und automatisch verfolgen

In den weiteren Vorträgen stellten zunächst Entwickler aus Forschung und Industrie neueste Geräte vor, die für die Zellkultur benötigt werden. Daniel Rapoport von der Arbeitsgruppe Zelltechnologie des Lübecker EMB erläuterte ein Verfahren, mit dem sich das Schicksal einzelner Zellen in der Kulturschale mit bisher unerreichter Präzision nachverfolgen lässt. Dank moderner Bildverarbeitung und einer Software können die Fraunhofer-Forscher so für das Verhalten einzelner Zellen jeweils ganze Teilungs-Stammbäume erstellen, und zwar in Echtzeit und ohne die Zellen dabei zu schädigen. „Mit unserem Verfahren kommen wir weg von der mühsamen Einzelzellanalyse hin zu einem automatisierbaren und standardisierbaren Zelltracking“, so Rappoport. Mit der Methode können Forscher beispielweise die Qualität einer Zellkultur bestimmen. Die Vision der EMB-Forscher: Solche Zell-Tracker könnten künftig genutzt werden, um automatische Zellfarmen zu steuern.

Wie Zellen in der kosmetischen Industrie eingesetzt werden, erläuterte Julia Weise vom Kosmetikhersteller Beiersdorf aus Hamburg. Dort arbeiten allein 400 Wissenschaftler in der Hautforschung. An zweidimensionalen sowie dreidimensionalen Hautmodellen in der Kulturschale suchen und testen die Forscher spezielle Wirkstoffe, die beispielweise die Fleckenbildung im Alter abmildern sollen. Solche Hautmodelle sollen auch dabei helfen, Tierversuche zu ersetzen.  „Für die Anwendung im industriellen Maßstab sind die organotypischen 3D-Hautmodelle allerdings noch zu aufwendig in der Handhabung“, betonte Weise.

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Haarfollikel und Schweißdrüsen als reiche Stammzellquellen

Trotzdem versuchen Gewebeingenieure, den Aufbau der Haut zu Testzwecken immer besser nachzustellen. Dazu gehört auch eine Haut mit Haaren. Der Zellforscher Stefan Tiede von der Universitätsklinik Lübeck untersucht, wie die Entwicklung von Haarfollikeln in der Haut durch Hormone beeinflusst wird. „Haarfollikel sind stammzellreiche Mini-Organe“, sagte Tiede. Durch den Einfluss bestimmter Hormone, wie zum Beispiel das in der Schwangerschaft erhöhte Prolactin, verschwinden die Stammzellen zunehmend. Die Folge: Haarausfall. Die Forscher wollen deshalb verstehen, wie sich der Stammzellabnahme in den Haarfollikeln entgegenwirken lässt. In einer anderen Struktur in der Haut hat Tiede zusammen mit Wissenschaftlern vom EMB in Lübeck zudem eine neue Quelle von adulten Stammzellen aufgespürt: in den Schweißzellen. „Die Stammzellen aus den Schweißdrüsen sind sehr teilungsfreudig, sie sind recht vielseitig in ihrem Entwicklungspotenzial, und außerdem relativ einfach durch eine Hautentnahme an der Achselhöhle zu gewinnen“, so Tiede. Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Forscherverbund will den Stammzellen nun weiter auf die Schliche kommen.

Stammzellen als Beschichtung für Neuroprothesen

Noch in weiterer Ferne ist nach Ansicht mehrerer Redner der Routineeinsatz von Zellen für regenerative Therapien, um krankes oder verlorengegangenes Gewebe zu ersetzen. Ulrich Hofmann vom Institut für Signalverarbeitung und Prozesstechnik der Universität Lübeck stellte ein Kooperationsprojekt vor, in dem Forscher aus Lübeck mithilfe von adulten Stammzellen neuroprothetische Sonden beschichten wollen. Dadurch sollen Elektroden, wie sie für die sogenannte Tiefenhirnstimulation bei Parkinson-Patienten eingesetzt werden, verträglicher werden und sich besser in das Gehirn integrieren. Charli Kruse vom EMB unterstrich, die Regenerative Medizin habe noch mit vielen regulatorischen aber auch praktischen Hürden zu kämpfen. „So gibt es kaum praxisrelevante Gerätschaften, mit denen man adulte Stammzellen zuverlässig im Körper des Patienten gewinnen kann“. Auch für eine Vermehrung von adulten Stammzellen im industriellen Maßstab bedürfe es noch weiterer Fortschritte.

Die Veranstalter zeigten sich mit dem Debut des Kongresses "Industrielle Zelltechnik" zufrieden. Bereits für das nächste Jahr ist die nächste Konferenz in Lübeck geplant.

 

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