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Spinnenfaden: Anti-Klump-Technik entschlüsselt

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Eine Faser aus künstlichem Spinnenseideprotein sieht zwar wie ein Spinnfaden aus, hat aber noch nicht die einzigartigen Eigenschaften des natürlichen Vorbilds. Quelle: Hardy/Universität Bayreuth

27.05.2010  - 

Für die Bionik ist der Spinnenfaden so etwas wie es der heilige Gral für die Kreuzritter war. Ein Material, reißfester als Stahl und gleichzeitig elastischer als Gummi, wäre in vielen Bereichen außerordentlich gefragt. In Deutschland wird seit Jahren an der Herstellung des kostbaren Stoffs geforscht. Mit Erfolg: Das Spinnenseiden-Protein lässt sich mittlerweile in E.coli-Bakterien produzieren. Doch ein Faden wurde daraus bisher nicht. Jetzt haben Wissenschaftler aus Bayreuth und München der Spinne ihr Geheimnis abgeguckt. Im Fachmagazin Nature (Ausg. 465, S. 239-242, 13. Mai 2010) stellten sie ihre Ergebnisse vor.



 

Seit dreißig Jahren arbeiten Wissenschaftler daran, einen Spinnenfaden künstlich herzustellen. Denn was die achtbeinigen Tiere aus dem Garten scheinbar so mühelos produzieren, hat es in sich: Ein Faden reißt noch nicht einmal, wenn er auf das Dreifache seiner Länge auseinander gezogen wurde. Würde man sie zu einem zwei Zentimeter dicken Tau verflechten, könnte man damit einen Jumbojet bei der Landung bremsen. Wasser macht Spinnenseide ebensowenig aus wie Attacken von Bakterien und Pilzen. Natürlich ist sie zugleich biologisch abbaubar. 

Das Geheimnis liegt im Faden

Professor Thomas Scheibel, Inhaber des Lehrstuhls Biomaterialien der Universität Bayreuth, bis 2007 an der Technischen Universität München tätig, ist dem Geheimnis der Spinnenseiden seit einigen Jahren auf der Spur. Schon 2001 begann Scheibel in seinem "Fiberlab" an der TU damit, über die biotechnologische Herstellung der Spinnenseide nachzudenken. Grundsätzlich bestehen Spinnenfäden bestehen aus Eiweißmolekülen, langen Ketten, die aus Tausenden von Aminosäure-Bausteinen aufgebaut sind.

Reines Spinnenseideprotein formt sich nicht zu einem formidablen Faden, sondern einem unansehnlichen und recht unnützen Klumpen.Lightbox-Link
Reines Spinnenseideprotein formt sich nicht zu einem formidablen Faden, sondern einem unansehnlichen und recht unnützen Klumpen.Quelle: Scheibel/Kessler

Nach Versuchen mit Seidenraupen und Ziegen griff Scheibel auf das bekannte und gut erforschte Bakterium Escherichia coli zurück, das weltweit als Arbeitsmikrobe der Biotechnologie zu den verschiedensten Zwecken genutzt wird. Scheibel pflanzte in E. coli die Gene für die Proteinherstellung einer Seidenart der Kreuz- oder Gartenspinne ein. Tatsächlich produzierte das Bakterium in der Folge Spinnenseideneiweiße (mehr...). Doch das war erst die halbe Miete. Reines Spinnenseideneiweiß verklumpt schnell zu einem soliden Konglomerat. Erst im Faden jedoch entstehen die besonderen Eigenschaften, und zwar in einem speziellen Organ im Rumpf der Spinne. 2008 gelang es Scheibel, den Spinnkanal im Labor nachzubilden. Aus winzigen Plexiglasröhren ließen sich verschiedene Arten von Spinnenseide als Fäden ziehen (mehr...).

Das natürliche Vorbild wird noch nicht erreicht

Den weiteren Feinheiten der Fadenherstellung ging Scheibel in der Folge nicht nur als Professor, sondern auch als Unternehmer auf den Grund. Im Oktober 2008 gründete er zusammen mit den TU-Kollegen Lin Römer und Axel Leimer die Amsilk GmbH (mehr...). Zunächst erwarb das Unternehmen die Rechte an den Spinnenseidenpatenten, die von der TU München gehalten wurden. Das BMBF unterstützte die Gründungspläne von Anfang an. 2007 war Scheibel einer der Gewinner des BMBF-Wettbewerbs ""Bionik - Innovationen in der Natur", der anwendungsorientieren wissenschaftlichen Projekten den Sprung in die Wirtschaft erleichtern will (mehr...).

Doch die Fäden, die bisher mit der künstlichen Spinndrüse hergestellt werden können, kommen noch nicht an das Vorbild aus der Natur heran. "Die hohe Elastizität und extreme Reißfestigkeit der natürlichen Spinnenseide erreichen selbst Fasern aus reinem Spinnenseiden-Protein bisher nicht," sagt Professor Horst Kessler, Carl-von-Linde-Professor am Institute for Advanced Study der TU München (TUM-IAS). Zusammen mit dem früheren Kollegen Thomas Scheibel sah er sich die Entstehung der Fäden in der Spinne nun genauer an.

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Röntgenstreuungsexperimente haben gezeigt, dass sich im fertigen Faden Bereiche befinden, in denen mehrere Eiweißketten über stabile physikalische Bindungen miteinander vernetzt sind. Sie bewirken die Stabilität. Dazwischen befinden sich unvernetzte Bereiche, sie sind für die hohe Elastizität verantwortlich. In der Spinndrüse herrschen ganz besondere Verhältnisse, wie Kessler und Scheibel wussten. In einer wässrigen Umgebung lagern hier die Seiden-Proteine in hoher Konzentration und warten auf ihren Einsatz. Die für die festen Quervernetzungen verantwortlichen Bereiche dürfen sich dabei nicht zu nahe kommen, da sonst die Eiweiße augenblicklich verklumpen würden. Wie wird das bewerkstelligt?

Regulatoren wirken als Trennmittel im Spinnenkörper

Mit einer anderen Methode, der kernmagnetischen Resonanz-Spektroskopie, gelang es nun, die Struktur eines chemischen Regulationsmoleküls aufzuklären, das für die Bildung des festen Fadens verantwortlich ist. Wie die Forscher in Nature berichten (Ausg. 465, S. 239-242, 13. Mai 2010), wirkt es als Trennmittel, das genau im richtigen Moment verschwindet. "Unter den Speicherbedingungen in der Spinndrüse sind immer zwei dieser Regulationsbereiche so miteinander verknüpft, dass die quervernetzenden Bereiche beider Ketten nicht parallel zueinander liegen können," erklärt Thomas Scheibel die Ergebnisse. "Die Vernetzung ist damit wirkungsvoll unterbunden." Die Eiweißketten lagern sich so zusammen, dass die Wasser abweisenden Teile der Kette nach innen gerichtet sind. Somit ist die Löslichkeit im Spinnenkörper nicht beeinträchtigt.

Kommen die so eingelagerten Proteine nun aber zum Einsatz und in den Spinnkanal, verändert sich alles. Zunächst einmal ist die chemische Zusammensetzung der Umgebung völlig anders. Dadurch lösen sich einige chemische Stützen des Regulationsmoleküls auf, was es instabil macht. Die vorher getrennten Eiweißketten können sich nun ungehindert entfalten und aneinander anlagern. Durch die Strömung im engen Spinnkanal werden langen Eiweißketten zudem nebeneinander und parallel zueinander ausgerichtet, sodass die für die Quervernetzung verantwortlichen Bereiche direkt nebeneinanderliegen. Ein stabiler Spinnenseidenfaden entsteht.

"Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass der von uns entdeckte molekulare Schalter am C-terminalen Ende der Eiweißkette sowohl für die sichere Lagerung als auch für den Faserbildungsprozess von entscheidender Bedeutung ist," sagt der an der Studie beteiligte Strukturexperte  Franz Hagn. Eine wichtige Grundlage für diese Ergebnisse schuf eine Kooperation der Arbeitsgruppe um Thomas Scheibel mit dem Team von Professor Bausch am Physik-Department der TUM. Dort wurde ein künstlicher Spinnkanal mit Hilfe der Mikrosystemtechnologie entwickelt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen arbeiten die Bayreuther Wissenschaftler seit 2008 inzwischen im Rahmen eines BMBF-Verbundprojektes der Nanobiotechnologie zusammen mit Industrieunternehmen wie der BASF und dem Freudenberg-Konzern an der Entwicklung eines biomimetischen Spinnapparates. An den Ergebnissen sind Unternehmen aus den verschiedensten Branchen interessiert. Vom resorbierbaren Nahtmaterial für Operationen bis hin zu technischen Fasern für den Automobilbereich - Spinnenfäden ließen sich nicht nur zum Abseilen und Netze bauen einsetzen. Wegen dieser Zukunftaussichten ist Amsilk wohl auch auf der Expo in Shanghai gefragt. Einige Exponate kommen aus dem Münchener Biotechnologie-Unternehmen.

 

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