Alters-Alarm öffnet die Blüten
20.08.2009 -
Manche spüren sie früher, manche später, einige nie. Die Torschlusspanik befällt Zeitgenossen, die an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben realisieren, dass es langsam Zeit für einen Partner wäre. Zum Symptom gehört das nagende Gefühl, vielleicht schon zu spät dran zu sein. Um die als von manchen als Nachteil empfundene Reife an Jahren auszugleichen, wird an der eigenen Erscheinung gearbeitet und gleichzeitig das Kennenlernen potenzieller Partner forciert. Pflanzen, die wegen schlechten Wetters noch nicht aufblühen konnten, geht es ganz ähnlich. Ab einem gewissen Alter blühen sie ohne Rücksicht auf ihre Umgebung. Den eingebauten Alters-Alarm haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen entdeckt. Sie berichten in der Fachzeitschrift Cell (Vol. 138, Ausg. 4, 21. S. 738-749).
Für Pflanzen hängt viel davon ab, dass sie ihre Blüten zur richtigen Zeit ausbilden. Denn werden sie nicht bestäubt, können sie sich nicht fortpflanzen. Deshalb haben sie einige Mechanismen ausgebildet, um den Erfolg einer Blüte zu maximieren. So warten sie üblicherweise ab, bis die Temperatur hoch genug oder die Tage ausreichend lang sind, um ihre Chancen zu erhöhen. Denn dann sind ausreichend Insekten unterwegs, die bei vielen Pflanzen für die Bestäubung zuständig sind.
Zu alt fürs Blühen
Eine ausgedehnte Schlechtwetterperiode könnte bei aller Vorsicht allerdings dazu führen, dass eine Pflanze gar nicht blüht. Die Fortpflanzung ist unmöglich geworden. In so einem Fall ist es immer noch besser, selbst bei schlechten Bedingungen Blüten auszutreiben. Vielleicht ist ja das eine oder andere robuste Insekt unterwegs. Tatsächlich gibt es derartige Sicherheitsroutinen. Keine Pflanze soll so lange auf gutes Wetter warten, bis sie zu alt fürs Blühen ist.
Wissenschaftler um Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, sind Experten auf dem Gebiet. So erhielt der Forscher im Jahr 2007 den renommierten Leibniz-Preis - unter anderem für seine bahnbrechenden Entdeckungen zum genetischen Blühverhalten von Pflanzen. (zu seinem Profil: hier klicken). Nun konnte er ein weiteres Detail aufklären. Wie Weigel im Fachmagazin Cell berichtet, wurde ein bisher unbekannter Alters-Alarm bei der Ackerschmalwand Aradopsis thaliana entdeckt, der Modellpflanze, an der Weigel bereits seit Jahren forscht. Der Signalweg lässt die Pflanzen unabhängig von äußeren Einflüssen wie Tageslichtlänge und Temperatur erblühen.
Mehr zum Thema auf biotechnologie.de |
Im Profil: Detlef Weigel - Preisgekrönter Entwicklungsbiologe auf immer neuen Abwegen News: Nervenkrankheiten mithilfe von Pflanzen verstehen News: Tübinger Forscher entdecken Formel für längeres Pflanzenleben biotechnologie.tv mit Kreidezeit zum Thema MicroRNA: Folge 14 |
Winzige RNA-Schnipsel wirken als Stoppuhr
Ausgelöst wird der Alarm von winzigen RNA-Schnipseln, sogenannten microRNAs. RNA ist mit der DNA verwandt und transportiert Bauanleitungen für Eiweiße durch die Zelle. Die noch kleineren microRNAs bestehen aus nur 20 bis 22 Basenpaaren und übernehmen sowohl in Pflanzen als auch Tieren eine wichtige Aufgabe bei der Regulation von Genen. Sie kontrollieren dabei unter anderen, ob sie tatsächlich aktiv werden - und es zu einer Produktion der Eiweiße kommt, deren Baupläne auf den Genen abgespeichert sind.
Bei der Ackerschmalwand spielen für die Ausbildung der Pflanzenblüte die SPL-Gene eine wichtige Rolle. Wenn die Pflanze noch zu jung zum Blühen ist, wird die Aktivierung der SPL-Gene durch die micro-RNA156 weitgehend unterdrückt. In ihrer Studie zeigten die Tübinger Wissenschaftler um Weigel nun, dass die Konzentration der microRNA im Alter abnimmt. Das bedeutet, dass die SPL-Gene zunehmend in Eiweiße umgesetzt werden: Das Blütenwachstum kommt in Fahrt. Aus Sicht der Forscher ist das der erste Beweis dafür, dass auch altersabhängige Mechanismen die Pflanzenreproduktion regulieren. Die microRNA wirkt somit wie eine eingebaute Sanduhr: Ist eine bestimmte Lebenszeit verstrichen, wird die Blütenbildung angestoßen, egal ob die Bedingungen stimmen oder nicht.
Mehrstufiges Sicherungssystem
Der neu entdeckte Prozess ergänzt dabei einen bereits bekannten parallelen Signalweg, welcher von äußeren Tageslichtfaktoren abhängig ist. Beide Mechanismen aktivieren in der Pflanzensprosse eine Reihe verschiedener überlappender Gene, die für die Blütenbildung entscheidend sind. "Die Blütezeit ist für Pflanzen ein sehr wichtiger Prozess", erklärt Weigel. Durch die mehrfache Absicherung sei sichergestellt, "dass bei Ausbleiben entsprechender äußerer Reize die Pflanze nicht ewig wartet, bis sie blüht. Denn das Blühen ist für die Fortpflanzung unerlässlich." Und es sorgt dafür, dass auch an grauen Tagen hier da eine farbenfrohe Blüte die Stimmung aufhellt.
Die genetischen Grundlagen des Blühbeginns sind zudem nicht nur für Grundlagenforscher interessant. Für die moderne Pflanzenzüchtung kann sie ein wichtiges Werkzeug liefern, um neue Sorten schneller als bisher zu züchten.